Mexiko: Ayotzinapa, die unabhängige Expertengruppe und die Mauer der Streitkräfte

Staatliche Institutionen, vor allem die Armee, verheimlichen hartnäckig wichtige Informationen

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Angehörige der 43 Lehramtsstudenten bei einer Protestaktion
Angehörige der 43 Lehramtsstudenten bei einer Protestaktion

Kurz vor ihrem neunten Jahrestag und nach acht Jahren unermüdlicher Arbeit auf der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit für die Opfer und Angehörigen der 43 verschwundenen Ayotzinapa-Studenten beendete die Interdisziplinäre Gruppe unabhängiger Experten (GIEI) am 31. Juli ihre Arbeit in dem Land.

Bedauerlicherweise erfolgt ihre Abreise nicht nach der Klärung der Geschehnisse in der Nacht des 26. September 2014 und in den darauffolgenden Tagen. Im Gegenteil, das Ende ihrer Arbeit findet in einer Atmosphäre der Ohnmacht angesichts der systematischen Verschleierung von Informationen durch die Streitkräfte statt.

Einige Tage vor ihrer Abreise, am 25. Juli, legten die in Mexiko verbliebenen Mitglieder der GIEI, Ángela Buitrago und Carlos Beristain, den letzten Bericht über die Ereignisse in Ayotzinapa und die Aktivitäten der staatlichen und militärischen Behörden vor, während und nach den Ereignissen. Im Mittelpunkt des Berichts steht die Darstellung der Bewegungen von Teilen der Streitkräfte und anderen Behörden während der Ereignisse, die durch die Nachverfolgung ihrer Mobiltelefone und das lokale C 4-Überwachungssystem ermittelt wurden.

Diese Nachverfolgung hat erneut bestätigt, dass alle Sicherheitsorgane über die Bewegungen der Studenten in der Nacht des 26. Septembers informiert waren, sogar noch bevor sie in Iguala ankamen. Der Bericht befasst sich auch genau mit der Spionagetätigkeit der Armee gegen das organisierte Verbrechen in der Region, mit der Rolle anderer Akteure wie der Policía Federal Ministerial – der Dienststelle, die die föderale Ermittlungspolizei der Generalbundesanwaltschaft verwaltete – sowie mit den allgemeinen Versäumnissen der Behörden während und nach den Ereignissen. Versäumnisse, die bis heute anhalten.

Die acht Jahre und vier Monate, in denen die GIEI in Mexiko arbeitete, waren geprägt von einer Konstante: Die hartnäckige Verheimlichung wichtiger Informationen durch die staatlichen Institutionen, insbesondere durch die Armee. Dies ist ein Kennzeichen für ein Muster, das in den öffentlichen Einrichtungen trotz des Zeitablaufs und des Regierungswechsels fortbesteht.

Weder die Klagen der Familien, noch die öffentlichen Äußerungen und Demonstrationen, noch die Beteiligung internationaler Experten und der Interamerikanischen Menschenrechtskommission konnten etwas gegen die offensichtliche Unantastbarkeit der Streitkräfte ausrichten, die bis heute verhindert, dass der aktuelle Präsident der Republik eines der zentralen Versprechen seiner Wahlkampagne erfüllt: die Ereignisse aufklären und den Verbleib der 43 Studenten ermitteln

Ángela Buitrago erklärte in einem Interview im Anschluss an die Vorstellung des jüngsten Berichts, dass "es unvorstellbar ist, dass eine Staatsanwaltschaft keinen Zugriff auf die Militärarchive bekommen kann. Wenn sie das nicht kann, ist sie eine beschädigte Staatsanwaltschaft für die Untersuchung von schweren Verbrechen".

Diese Unfähigkeit ist ein Beleg für das historische Versagen des mexikanischen Staates im Bereich der Justiz, aber auch ein vielsagender Ausdruck für die Dimensionen und Auswirkungen der institutionellen und über der Verfassung stehenden Macht, die die Streitkräfte zum Nachteil der demokratischen Garantien des Landes angehäuft haben. Sechs Jahre sind vergangen und die Regierungen entscheiden sich weiterhin dafür, die Privilegien der militärischen Institutionen zu schützen und sie über die verfassungsmäßige Verpflichtung zu stellen, den Zugang zu Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für die Opfer sicherzustellen.

Ayotzinapa ist und bleibt eine der größten Schulden des Staates gegenüber seiner Bürgerschaft. Und solange Straflosigkeit vorherrscht, wird Ayotzinapa weiterhin ein Banner des Kampfes und der Forderung für die Tausenden von Opfern sein, die das Land in der endlosen Spirale der Gewalt und des institutionellen Zerfalls, die wir durchlaufen, angehäuft hat. Vieles wird in diesem Fall verschwiegen, aber das kollektive Gedächtnis, das das Leben der 43 Familien und so vieler anderer, die durch Ungerechtigkeit und die Ineffizienz unserer öffentlichen Institutionen gestorben sind, ehrt und würdigt, muss über das Schweigen siegen.

Die GIEI hat sich zurückgezogen, aber die Sonderermittlungs- und Prozesseinheit für den Fall Ayotzinapa (UEILCA) und die Kommission für Wahrheit und Zugang zur Justiz im Fall Ayotzinapa (Covaj) sind weiterhin als die für die Fortführung der Ermittlungen zuständigen Stellen tätig; vor allem die Gruppe der zivilen Organisationen, die die Opfer und Angehörigen in ihrem würdigen Kampf, die Mauer des systematischen Verschweigens zu durchbrechen, die die Klärung der Fakten behindert, eng begleitet haben, besteht fort.

Die Erfahrung der GIEI ist eine doppelte Lehre: Nur wenn die Opfer in den Mittelpunkt gestellt werden, kann der Zugang zu Wahrheit und Gerechtigkeit möglich werden; wenn aber die Transparenz nicht bis zu den Streitkräften vordringt, bleibt die Gerechtigkeit als zentrales Versprechen einer Regierung, die sich für die Umgestaltung des öffentlichen Lebens in Mexiko einsetzt, ein leeres Wort.