Haiti / Politik

Sicherheitsrat der Vereinten Nationen billigt Einsatz einer multinationalen Truppe in Haiti

China und Russland enthalten sich. Kenia wird Polizeieinsatz leiten. Journalist aus Haiti: Mission ist "echtes Rezept für ein Desaster"

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Am 2. Oktober autorisierte der Sicherheitsrat die MSS in Haiti
Am 2. Oktober autorisierte der Sicherheitsrat die MSS in Haiti

New York. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UNO) hat am Montag die Entsendung einer Multinationalen Sicherheitsmission (Multinational Security Support, MSS) für Haiti genehmigt. Diese soll die nationale Polizei zunächst für zwölf Monate operativ unterstützen, um die Sicherheitslage angesichts einer Welle von Gewalt zu verbessern. Kenia wird den Einsatz in enger Zusammenarbeit mit der haitianischen Regierung leiten. Wann der Einsatz beginnt, ist noch unklar.

Für die von den USA eingebrachte Resolution stimmten 13 Sicherheitsratsmitglieder, China und Russland enthielten sich.

Der russische UNO-Botschafter, Vasily Nebencia, erklärte, man sei sich der Dringlichkeit der Probleme Haitis bewusst, es gebe keine grundsätzlichen Einwände gegen die Initiative. Die Entsendung von Truppen sei jedoch eine extreme Maßnahme, die gut überlegt sein müsse. Fragen seines Landes im Vorfeld der Resolution zu Details der geplanten MSS-Operationen, zum Einsatz von Gewalt und einer Abzugsstrategie seien jedoch unbeantwortet geblieben. Zudem beinhalte "die Geschichte Haitis viele Fälle unverantwortlicher ausländischer Einmischung, die zu der Gewaltspirale führten, die das Land seit Jahren nicht überwinden konnte."

Der chinesische Diplomat Zhang Jun betonte, sein Land verfolge stets "einen vorsichtigen und verantwortungsvollen Ansatz" in Bezug auf die Souveränität eines Staates und die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Man hoffe, dass die Mission eingehende Konsultationen mit Haiti über den Einsatz von Sicherheitskräften führen werde, um sicherzustellen, dass die Maßnahmen von der Bevölkerung mitgetragen werden. Ohne eine legitime und handlungsfähige Regierung werde jede Unterstützung von außen "kaum eine dauerhafte Wirkung haben können". Die haitianischen Behörden und alle Parteien und Gruppierungen sollten so bald wie möglich einen breiten Konsens über die Übergangsregelungen erzielen und einen realistischen Zeitplan aufstellen.

Der Premierminister Haitis, Ariel Henry, der nach dem Mord an Präsident Jovenel Moïse im Juli 2021 das Amt übernahm und sich bisher keiner Wahl stellte, hatte im Oktober 2022 angesichts der eskalierenden Gewalt und der Blockade des wichtigsten Ölterminals des Landes durch bewaffnete Gruppen die UNO formell um Militärhilfe ersucht und dies seither mehrfach wiederholt. Die USA und Kanada unterstützten ihn.

Trotz der sich verschlechternden Lage im Land kritisieren Opposition und progressive Kräfte Henrys Ersuchen und verweisen auf seine fehlende Legitimität. Zugleich erinnern sie an frühere ausländische Missionen, die von Skandalen sexuellen Missbrauchs, Massakern und der Einschleppung der Cholera geprägt waren.

Haitis Außenminister Jean Victor Geneus bezeichnete die Entscheidung des Sicherheitsrates indes als "Ausdruck der Solidarität mit einer Bevölkerung in Not". Auch die Leiterin des Integrierten UN-Büros in Haiti (Binuh), María Isabel Salvador, begrüßte die Genehmigung. "Dies ist ein positiver und entscheidender Schritt, um Frieden und Stabilität in das Land zu bringen", sagte sie.

Ganz anderes der Journalist Kim Ives von der Zeitung Haïti Liberté: Der Einsatz von 1.000 kenianischen Polizisten sei "ein echtes Rezept für ein Desaster", ähnlich wie bei den beiden vergangenen UN-Interventionen in Haiti 1994 und 2004, sagte er im Interview mit dem türkischen Fernsehsender TRT World.

Ives erinnerte an das gewaltsame Vorgehen gegen Demonstranten in Kenia im Juli dieses Jahres, als die Polizei bei Protesten gegen die Regierung scharfe Munition und Tränengas einsetzte, mindestens 20 Demonstranten tötete und zahlreiche weitere schwer verletzte. Das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen hatte die kenianische Regierung daraufhin "ermahnt" und sich besorgt gezeigt über "Vorwürfe unnötiger oder unverhältnismäßiger Gewaltanwendung durch die Polizei, einschließlich des Einsatzes von Schusswaffen".

Auf Nachfrage, wie eine Lösung für die Probleme Haitis denn aussehen sollte, antwortete Ives, die Menschen wollten vor allem selbst über ihre Geschichte bestimmen. Eine ausländische Intervention und die ständige Einmischung der alten Kolonialmächte Frankreich, Kanada und USA würden von der Mehrheit strikt abgelehnt. Es sei der verhasste Premier, der um die Entsendung einer internationalen Truppe ersucht habe, nicht die Bevölkerung, betonte er. Diese fordere seinen Rücktritt und grundlegende Veränderungen im Sinne der verarmten Mehrheit. Dafür setzten sich auch einige der bewaffneten Gruppen ein, die von der UNO fälschlich mit tatsächlich kriminellen Banden in einen Topf geworfen würden.

Der Journalist bezeichnet Kenia als Washingtons "Pudel". Das eigentliche Ziel der USA bestehe nicht darin, "die Bandengewalt zu bekämpfen", wie sie behaupteten, sondern "eine Revolution gegen ihre Marionette Henry" zu verhindern.

Am 25. September unterzeichneten die USA und Kenia ein Verteidigungsabkommen für die nächsten fünf Jahre. Das ostafrikanische Land wird laut der Nachrichtenagentur AP Ressourcen und Unterstützung im Kampf gegen die islamistische Al-Shabab-Miliz und für den Einsatz in Haiti erhalten. Kenias Verteidigungsminister Aden Duale verwies bei der Gelegenheit auf Kenias "sehr lange Geschichte der globalen Friedenssicherung" im Kosovo, im benachbarten Somalia und im Kongo.