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Soziale Organisationen in Haiti appellieren an Afrikas Solidarität

Warnung vor Kenias Rolle bei einer militärischen Intervention. Kein afrikanisches Land solle sich an der weiteren Destabilisierung Haitis und der systematischen Sabotage seiner Souveränität beteiligen

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Zu großen Protesten im ganzen Land hat die Forderung nach ausländischer Militärintervention geführt
Zu großen Protesten im ganzen Land hat die Forderung nach ausländischer Militärintervention geführt

Port-au-Prince. Eine große Anzahl haitianischer sozialer und politischer Organisationen hat sich gegen eine militärische Intervention in Haiti ausgesprochen. Sie beziehen sich dabei auf die Zusage der Regierung von Kenia, die Führung in einer internationalen Eingreiftruppe zu übernehmen.

Kenia nahm damit den Platz der USA ein, die seit langem eine Intervention befürworten (amerika21 berichtete), aber nicht selbst mit Truppen in Erscheinung treten wollen.

Mit einem offenen Brief haben die haitianischen Organisationen sich "an die brüderlichen Länder Afrikas, dem Land unserer Vorfahren, und insbesondere an die Länder der Afrikanischen Union (AU)" gewandt und diese aufgefordert, nicht "als Resonanzboden für die ehemaligen Kolonial- und Sklavenmächte zu dienen" und sich nicht an der "Destabilisierung Haitis und der systematischen Sabotage seiner Souveränität" zu beteiligen.

Die Haitianer hätten "mit Erstaunen die überraschende Nachricht erhalten, dass ein brüderliches Land wie Kenia zugestimmt hat, eine US-UN-Besatzungstruppe gegen Haiti anzuführen". Dies sei ein Vorhaben, das die nationale und internationale Öffentlichkeit über die Ursachen der sozialen und Sicherheitskrise in dem karibischen Land täuschen würde, so der offene Brief.

Die Verfasser verweisen auf einen im März 2023 veröffentlichten Bericht des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC), dem zufolge die von den kriminellen Banden in Haiti verwendeten Waffen und Munition insbesondere aus den USA stammen. Dem US-Bundesstaat Florida wird in dem Bericht eine hervorgehobene Rolle bescheinigt.

Tatsächlich nimmt die Gewalt in Haiti, unter der die Bevölkerung massiv leidet, noch zu. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) hat jüngst einen weiteren Anstieg der Entführungen von Frauen und Kindern bestätigt. Nach den neuesten Daten der Organisation gab es in den ersten sechs Monaten des Jahres 2023 fast 300 Entführungen. Das entspricht bereits der Zahl des gesamten letzten Jahres und hat sich gegenüber 2021 fast verdreifacht. In den meisten Fällen ginge es den Urhebern darum, diese Menschen "für wirtschaftliche oder taktische Zwecke zu nutzen".

Die kubanische Nachrichtenagentur Prensa Latina berichtete, dass die Zunahme der Gewalt nur zeitweise abgeflaut war, als selbstorganisierte Bürgerwehren "seit Ende April mehr als 250 mutmaßliche bewaffnete Bandenmitglieder gelyncht" hatten. Lynchjustiz beginnt bereits die entstandene Lücke durch die Abwesenheit von staatlicher Präsenz und Legitimität zu füllen.

Indes berichtet Prensa Latina auch von staatlicher Gewalt gegen politische Demonstrationen. Proteste mit wirtschaftlichen Forderungen und gegen die Unsicherheit im Land seien mit Tränengas aufgelöst worden.

Die Menschen in den Straßen prangern immer wieder die Bandengewalt und das "mitschuldige Schweigen" der Führung des Sicherheitsapparats und der Regierung des amtierenden, aber nicht gewählten Präsidenten Ariel Henry an. Sie fordern, dass er sofort zurücktritt und die Behörden ihrer Verantwortung gerecht werden, ein friedliches Klima im Land wiederherzustellen.

Seit dem Vorschlag, dem Land wieder eine ausländische militärische Mission aufzuerlegen, richten sich massive Proteste auch gegen diese Absichten. Die "United Nations Stabilisation Mission in Haiti" (Minustah) von 2004 bis 2017 ist bei der Bevölkerung noch in schlechtester Erinnerung.

In den vergangenen Tagen zeigte sich ein weiterer Aspekt der Unsicherheit, als die US-Botschaft in der Hauptstadt Haitis wegen Schießereien in der Umgebung zeitweilig schließen musste. Das Personal der diplomatischen Vertretung stellte alle Dienste ein und konnte die Gebäude nicht mehr verlassen.

Die haitianischen Organisationen zeigen sich besorgt, dass die Darstellung der nicht mehr kontrollierbaren Verhältnisse die internationale Öffentlichkeit zu falschen Schlüssen bringt. Auch die Regierung des benachbarten Inselstaates Jamaika hat sich bereit erklärt, "Haiti im Bereich der Sicherheit und der humanitären Hilfe Unterstützung zu gewähren". Innerhalb der Karibischen Gemeinschaft Caricom werden Beratungen darüber abgehalten.

Der offene Brief fordert die "verehrten Staats- und Regierungschefs der befreundeten afrikanischen Länder" auf, die Situation in Haiti "zu untersuchen, um sie besser zu verstehen, um uns zu helfen, sie zu überwinden und vor allem, um Kenia von der Notwendigkeit zu überzeugen, sich nicht von der verbrecherischen Logik der imperialistischen Mächte mitreißen zu lassen, die darauf aus sind, die Souveränität Haitis zu begraben".

Bislang haben alle Befürworter einer militärischen Intervention in Haiti betont, dass sie mit einem Mandat des UN-Sicherheitsrats ausgestattet sein müsse. Ein Vorstoß der USA im Oktober 2022, dort eine Resolution zur Entsendung einer "Schnellen Eingreiftruppe" nach Haiti durchzusetzen, war jedoch zurückgewiesen worden.