Geberländer verschleppen die Finanzmittel für Maßnahmen zur Stabilisierung von Haiti

UN-Generalsekretär befürchtet Ausstrahlung der Krise über die Region hinaus. Lynchjustiz füllt Abwesenheit von staatlicher Präsenz und Legitimität

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Die Proteste gegen die Gewalt, ausländische Intervention und die nicht-gewählte Regierung in Haiti reißen nicht ab
Die Proteste gegen die Gewalt, ausländische Intervention und die nicht-gewählte Regierung in Haiti reißen nicht ab

Port-au-Prince. Die Vereinten Nationen haben neun Millionen US-Dollar an Soforthilfe angekündigt, um auf die sich verschärfende humanitäre Krise in Haiti zu reagieren. Das Geld soll dem zentralen Nothilfefonds der UNO entnommen werden und wurde vom Leiter der humanitären Hilfe der Organisation, Martin Griffiths, genehmigt, wie dessen Sprecher Stephane Dujarric erklärte.

In den letzten fünf Jahren hat sich die Zahl der Haitianer, die humanitäre Hilfe benötigen, auf 5,2 Millionen verdoppelt ‒ bei einer Gesamtbevölkerung von circa elf Millionen. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Kinder, die an schwerer Unterernährung leiden, um 30 Prozent gestiegen.

Nach Angaben der UNO hat sich die humanitäre Lage in Haiti aufgrund einer starken Zunahme von Gewalt und Unsicherheit massiv verschlechtert. Bewaffnete Banden kontrollieren laut einer Studie des Zentrum für Analyse und Forschung zu Menschenrechten (Centre d'analyse et de recherche en droits humains, Cardh) durchschnittlich 60 Prozent allein des Stadtgebiets der Hauptstadt Port au Prince.

Seit der Ermordung von Präsident Jovenel Moïse im Juli 2021 und den abgelaufenen Amtszeiten der letzten Senatoren hat Haiti keine gewählte Regierung mehr. Die staatliche Präsenz und Legitimität ist zunehmend geschwunden.

Laut Medienberichten reagiert die UNO mit ihrer Intervention auf die mangelnde Unterstützung der Geber, die ihren Pflichten für die Umsetzung des für 2023 aufgestellten Hilfsplans für Haiti nur zu zwölf Prozent nachgekommen seien. Als Bedarf waren ursprünglich 720 Millionen Dollar verabredet worden.

Gleichwohl entspricht die von der UNO aufgestockte Summe lediglich der, die beispielsweise die USA zwischen Februar 2022 und Feburar 2023 ungefähr stündlich, oder Frankreich ungefähr alle 48 Stunden zur Unterstützung der Ukraine investiert haben.

UN-Generalsekretär António Guterres forderte nach Gesprächen mit dem Premierminister von Jamaika, Andrew Holness, während eines Besuchs in Kingston die internationale Gemeinschaft auf, Maßnahmen gegen die zunehmende Bandengewalt in Haiti zu ergreifen, die "die Sicherheit der Karibik gefährdet". Er erklärte, dass die Unsicherheit und die mangelhaften hygienischen Zustände in Haiti eine Gefahr darstellten, die über den regionalen Bereich hinausgehe.

Als Antwort auf die Unsicherheit im Land haben sich in jüngster Zeit Bürgerwehren organisiert, die sich als Bwa-Kale-Bewegung bezeichnen. Darin finden sich Bewohner zusammen, die der Übernahme der Kontrolle ihrer Viertel durch bewaffnete Banden Widerstand entgegensetzen wollen. Die Bewegung soll sich landesweit gerade rasch ausbreiten. "Bwa Kale" heißt wörtlich übersetzt "Baumrinde abrasieren" oder "abziehen" und ist ein Aufruf an die Bevölkerung, angespitzte Holzstöcke, Steine, Macheten und jedes andere Werkzeug mitzubringen, das als Waffe verwendet werden kann, um die Bandenmitglieder zu bekämpfen.

Im Ergebnis berichtet die Menschenrechtsorganisation Cardh von deutlichen lokalen Erfolgen innerhalb der letzten vier Wochen hinsichtlich der Sicherheit in bestimmten Vierteln. Das Auftreten der Bürgerwehren soll zu einem starken Rückgang der Entführungen und anderer Erscheinungsformen der Gewalt durch bewaffnete Banden geführt haben.

Die Bwa-Kale-Bewegung müsse jedoch "für eine dauerhafte Sicherheit in einen Rahmen eingebunden werden". Andernfalls würde die Gegenwehr zu den Banden "schlimmer sein als die Gräueltaten vor Bwa Kale", schätzt Cardh ein. Nach deren Zahlen wurden bereits mindestens 160 tatsächliche oder vermeintliche Bandenmitglieder im ganzen Land gejagt, gelyncht und lebendig verbrannt.

Erst im April hatten Haiti und die Vereinten Nationen einen Kooperationsrahmen für nachhaltige Entwicklung für den Zeitraum 2023–2027 unterzeichnet (amerika21 berichtete). Die Vereinbarung soll einen umfassenden und integrierten langfristigen Ansatz mit den Schwerpunkten Regierungsführung, Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit, integrativer wirtschaftlicher Wandel, wirksame soziale Dienste und Umwelt etablieren. Ohne finanzielle Unterstützung würde die Umsetzung scheitern.