Havanna. Kubas Nationalversammlung hat auf ihrer letzten Sitzung des letzten Jahres ein weitreichendes Paket an Wirtschaftsmaßnahmen beschlossen, mit denen drei Jahre nach der Währungsreform makroökonomische Verzerrungen beseitigt und die kriselnde Wirtschaft des sozialistischen Landes angekurbelt werden soll. Die bisher stark subventionierten Preise für Treibstoff, Strom und Wasser sollen steigen, gleichzeitig werden Gehälter im Bildungs- und Gesundheitssystem erhöht.
"Momentan arbeiten wir in einem Szenario der Kriegswirtschaft, mit verschärfter Blockade und allen Problemen, die dies mit sich bringt" erklärte Premierminister Manuel Marrero. "Wir sind sehr unzufrieden darüber, nicht die notwendigen Fortschritte erzielt und die Auswirkungen dieser externen Phänomene gemindert zu haben. Wir hätten mehr tun können", so der Premier.
Wie das Wirtschaftsministerium mitteilte, schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr um ein bis zwei Prozent. 2024 soll die Wirtschaft wieder um zwei Prozent wachsen. Um hierfür "einen günstigen Rahmen" zu schaffen, wird in diesem Jahr ein bereits vor einiger Zeit angekündigtes "makroökonomisches Stabilisierungsprogramm" umgesetzt, dessen Details auf der Parlamentssitzung vorgestellt wurden.
Derzeit kostet ein Liter Treibstoff in Kuba 30 Pesos (circa elf Eurocent). Aufgrund der hohen Importkosten ist die Verfügbarkeit schlecht. Demnächst wird der Treibstoffpreis auf Basis regionaler Preise zum Wechselkurs von 120:1 gebildet, was in etwa 150 Pesos entsprechen könnte. Für Touristen mit Mietwagen wird Kraftstoff in Zukunft nur noch gegen Devisen verkauft. Auch die Bevölkerung sei der Ansicht, dass das Land nicht "einen der niedrigsten Treibstoffpreise der Welt" aufrechterhalten könne, so Wirtschaftsminister Alejandro Gil.
Der Strompreis für Privathaushalte wird für Vielverbraucher (ab 500 kWh pro Monat, was derzeit rund zehn Prozent betrifft) um 25 Prozent angehoben. Der Wasserpreis wird für Verbraucher ohne Wasseruhr von sieben auf 21-24 Pesos verdreifacht. Für Haushalte mit Verbrauchsmessung bleiben die Tarife unverändert. Der Preis für Kochgaszylinder steigt um 25 Prozent. Bei den Erhöhungen soll es "weniger um eine Steigerung der Staatseinnahmen, sondern vielmehr um wirksame Sparanreize gehen", erklärte Gil.
Auch die Preise für die staatlichen Transportdienste sowie für Zigaretten und Tabakwaren werden 2024 steigen. Genaue Zahlen wurden noch nicht genannt.
Das staatliche Bezugsheft "Libreta", über das ein Grundstock an stark subventionierten Lebensmitteln abgegeben wird, erhält zum ersten Mal seit Jahren größere Anpassungen. Die Preisstützen werden in diesem Jahr differenziert, Subventionen sollen vor allem vulnerablen Gruppen zu Gute kommen. "Es ist ungerecht, dass diejenigen, die viel haben, dasselbe erhalten wie diejenigen, die sehr wenig haben. Heute subventionieren wir einen armen alten Rentner genauso wie den Besitzer eines großen Privatunternehmens, der viel Geld hat", erklärte Marrero.
Derzeit läuft eine landesweite Erfassung vulnerabler Gruppen durch das das Arbeits- und Sozialministerium, diese wird in den "kommenden Wochen und Monaten" abgeschlossen werden.
Erste Libreta-Geschäfte (Bodegas) haben bereits zusätzliche Produkte wie Duschgel, Gewürze, Bier und andere Lebensmittel zu nicht subventionierten Preisen im Sortiment. 2024 Jahr soll dies im ganzen Land so sein.
Die Gehälter im Bildungs- und Gesundheitswesen werden ab dem 1. Januar 2024 steigen. Aktuell beträgt das Gehalt eines Grundschullehrers 4.010 Pesos pro Monat, ein Familienarzt verdient im ersten Jahr 5.060 Pesos. Ab fünf Dienstjahren wird ein Bonus von 1.000 Pesos aufgeschlagen, der in mehreren Schritten auf 3.000 bei 30 Dienstjahren ansteigt. Darüber hinaus gibt es weitere Sonderzulagen für Nachtschichten, Mehrbelastungen und besondere Anstrengungen in den beiden Sektoren.
Auch die Einführung eines neuen Wechselkurses wurde angekündigt. Aktuell liegt der offizielle Wechselkurs für den Staatssektor bei 24:1 zum US-Dollar. Für die Bevölkerung gilt ein Kurs von 120:1, während auf dem informellen Markt der Dollar gerade für 265 Pesos gehandelt wird. Im Rahmen einer Arbeitsgruppe der Zentralbank würden Studien zur Ermittlung eines "ökonomisch begründeten und stabilen Wechselkurses" durchgeführt, der im Laufe des Jahres eingeführt werde, sagte Marrero.
Neuerungen gibt es auch für die mittlerweile rund 10.000 kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) des Privatsektors, die im vergangenen Jahr Waren im Wert von über einer Milliarde US-Dollar importiert haben, was zu einer massiven Ausweitung des Angebots geführt hat. Die Preise sind jedoch aufgrund der geschmolzenen Kaufkraft des Pesos für viele Kubaner unerschwinglich.
Marrero kündigte an, das ab Anfang dieses Jahres mit der Genehmigung neuer Privatunternehmen auf kommunaler Ebene begonnen werden soll. Bislang ist für jede Gründung eine Autorisierung durch das Wirtschaftsministerium in Havanna erforderlich. Der Zolltarif für Fertigprodukte, die in Kuba selbst hergestellt werden, soll um fünf bis 30 Prozent steigen. Gleichzeitig wird es eine Senkung der Zölle für Rohstoffe und Zwischengüter um 50 Prozent geben, um mehr Anreize für lokale Produktion zu setzen. Die Umsatzsteuer von zehn Prozent, die bislang nur für Verkäufe im Einzelhandel erhoben wurde, gilt dann für die gesamte Wirtschaft.
Die 2021 eingeführte Zollbefreiung für die private Einfuhr von Lebensmitteln, Medikamenten und Hygieneprodukten wird erstmals nicht mehr um ein halbes Jahr sondern nur bis zum 31. März 2024 verlängert, was auf ein mögliches Auslaufen der Maßnahme hindeutet.
Mit einem neuen Institut für private Wirtschaftsakteure will die Regierung den Sektor institutionell begleiten. Im Juli soll ein Unternehmensgesetz beschlossen werden, um die rund 2.500 Staatsbetriebe wettbewerbsfähiger zu machen.
Darüber hinaus beschloss das Parlament eine Neufassung des Gesundheitsgesetzes. Der kostenlose und präventive Charakter des Gesundheitswesens bleibt unverändert. Neu ist, dass Leistungen zu zahlen sind, die als Wahlleistungen und ästhetisch angesehen werden und nicht auf medizinische Indikationen, Krankheiten, deren Folgen oder Unfälle zurückzuführen sind.
Vorwürfe, bei den Wirtschaftsmaßnahmen handle es sich um eine "neoliberale Schocktherapie" wies Wirtschafsminister Gil zurück. "Das Programm ist Ergebnis eines umfangreichen Konsultations- und Analyseprozesses der Regierungsinstitutionen, unter Beteiligung von Wissenschaftlern, Parteikadern und Meinungsumfragen in der Bevölkerung", erklärte er. "Die Maßnahmen wurden getroffen, um die sozialen Errungenschaften der Revolution zu erhalten."