Alarm wegen beispielloser Auslandsverschuldung des Globalen Südens

Weltbank spricht über "künftige Krise". Schuldenlast "untragbar". Sozialpolitik kaum möglich. Weltmächte erkennen Problem an, bleiben aber untätig

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Achim Steiner, Leiter des UN-Entwicklungsprogramms: Die Zunahme der Armut ist "alarmierend" und die Schuldenlast "untragbar".
Achim Steiner, Leiter des UN-Entwicklungsprogramms: Die Zunahme der Armut ist "alarmierend" und die Schuldenlast "untragbar".

Washington. Laut dem jüngsten Bericht der Weltbank über die weltweite Auslandsverschuldung haben die "Entwicklungsländer" im Jahr 2022 einen "Rekordbetrag" von 443,5 Milliarden US-Dollar für die Bedienung ihrer öffentlichen Auslandsschulden ausgegeben.

Bereits im Mai 2023 warnte die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (Cepal) vor einer drohenden Krise auf dem Subkontinent, da der stetig steigende Schuldendienst die notwendigen sozialen Investitionen stark einschränke.

Die 75 Länder weltweit, die von der Internationalen Entwicklungsbank als besonders einkommensschwach eingestuft werden, mussten laut Weltbankbericht die "beispiellose Summe" von 88,9 Milliarden US-Dollar für den Schuldendienst aufbringen. Allein die Zinszahlungen dieser Länder haben sich im letzten Jahrzehnt vervierfacht und "erreichten im Jahr 2022 mit 23,6 Milliarden US-Dollar einen historischen Höchststand".

Bereits vor der Pandemie war die Tendenz der Auslandsverschuldung weltweit stark steigend. Nach der Pandemie hat sich die Situation noch verschärft. Dem Bericht zufolge dürften die Gesamtkosten für den Schuldendienst der 24 ärmsten Länder in den Jahren 2023 und 2024 um bis zu 39 Prozent ansteigen.

Die Weltbank befürchtet, dass immer mehr Länder zahlungsunfähig werden und sieht steigende Zinsen als eine der Ursachen. Die Zinszahlungen verschlingen einen immer größeren Teil der Exporte der einkommensschwachen Länder. Allein in den vergangenen drei Jahren habe es 18 Zahlungsausfälle in zehn "Entwicklungsländern" gegeben. Das seien mehr als in den zwei Jahrzehnten zuvor, heißt es in dem Bericht.

Heute sind rund 60 Prozent der Länder mit niedrigem Einkommen überschuldet oder akut von Überschuldung bedroht. Die Aufwertung des US-Dollars verschärft die akuten Probleme und macht die Zahlungen für die Länder noch teurer.

Indermit Gill, Chefökonom und Senior Vizepräsident der Weltbankgruppe, spricht von "beispielloser Verschuldung und hohen Zinssätzen", die "viele Länder auf den Weg in eine zukünftige Krise gebracht haben". "Mit jedem Quartal, in dem die Zinsen hoch bleiben, sind mehr Entwicklungsländer betroffen und stehen vor der schwierigen Wahl, entweder ihre Schulden zurückzuzahlen oder in öffentliche Gesundheit, Bildung und Infrastruktur zu investieren. Die Situation erfordert rasches Handeln".

Die Cepal und die Interamerikanische Entwicklungsbank (IDB) kommen zu einer ähnlich besorgniserregenden Analyse. Ihnen zufolge ist Lateinamerika mit einem Ungleichgewicht zwischen Vermögenswerten (Aktiva) und Verbindlichkeiten (Passiva) konfrontiert, das sich in den letzten fünf Jahrzehnten verschärft hat und seine Haushaltslage in Schwierigkeiten bringt.

Eine Messung der IDB, die Daten seit 1970 berücksichtigt, zeigt, dass die Vermögenswerte der wichtigsten Volkswirtschaften des Subkontinents im Jahr 2020 75 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichten. Die Verschuldung liegt jedoch bei 125 Prozent des BIP.

Der Schuldendienst und die Zinszahlungen verschlingen viele Ressourcen und schränken die Fähigkeit der Regierungen ein, Mittel für Bildung und soziale Investitionen bereitzustellen, so Daniel Titelman, Direktor für wirtschaftliche Entwicklung bei Cepal. Die hohen Kosten der Staatsverschuldung in Lateinamerika wirken sich laut Titelman auch auf die Pläne für "Investitionen zur Bekämpfung des Klimawandels" aus.

Nach dem "Wirtschaftsbericht Lateinamerika und Karibik 2023" der Cepal sind die Länder mit der höchsten Staatsverschuldung in der Region im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt folgende: Argentinien (85,4 Prozent), Brasilien (73 Prozent), Panama (59,4 Prozent), Costa Rica (58,2 Prozent) und Kolumbien (51,7 Prozent).

Gleichzeitig haben diese Länder mit hohen Arbeitslosenquoten zu kämpfen.

Zudem sind 50 Prozent der lateinamerikanischen Beschäftigten im informellen Sektor tätig. Die hohe Verschuldung erschwere es den Regierungen, Maßnahmen zur Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze zu ergreifen, sagte Titelman.

Ähnlich sehen es die Vertreter:innen anderer multilateraler Organisationen. Achim Steiner, Leiter des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP), klagt, dass Regierungen des Globalen Südens wegen des Auslandsschuldendienstes ihre Lehrer:innen, Ärzt:innen, Krankenpfleger:innen und auch die Medikamente für die Gesundheitszentren auf dem Land nicht bezahlen können.

Für die Länder mit niedrigem Einkommen ist die Zunahme der Armut "alamierend" und die Schuldenlast "untragbar", sagte Steiner. Rund 165 Millionen Menschen sind zwischen 2020 und 2023 in Armut abgerutscht.

Auch UN-Generalsekretär António Guterres betonte, dass "die Hälfte der Menschheit in Ländern lebt, die gezwungen sind, mehr für den Schuldendienst als für Gesundheit und Bildung auszugeben".

Obwohl sich immer mehr internationale und institutionelle Stimmen für eine Umstrukturierung der Auslandsschulden der einkommensschwachen Länder aussprechen, handeln die Gläubigerländer nicht. Auf dem Gipfeltreffen der Gruppe der Zwanzig im Juli 2023 forderte das UNDP die 20 am meisten entwickelten Volkswirtschaften der Welt auf, eine Pause bei der Eintreibung der Auslandsschulden einzulegen.

Die G20 erkannten zwar an, dass ohne wirtschaftliche und politische Maßnahmen zugunsten der Schwächsten die Kluft zwischen Arm und Reich weiter wachsen wird, beschlossen aber keine Maßnahmen.