Generalstreik und Massenproteste gegen Regierung in Argentinien

Friedliche Kundgebungen im ganzen Land gegen Notstandsdekret des Präsidenten und Mega-Gesetz zum Umbau des Staates. Weltweite Solidarität. Regierung kämpft im Kongress um Durchsetzung ihrer Projekte

argentinien_generalstreik_24-1-24._c_duerr.jpg

Hunderttausende kamen rund um den Platz des Kongresses zusammen. "Presente": Ernesto Che Guevara, gebürtiger Argentinier
Hunderttausende kamen rund um den Platz des Kongresses zusammen. "Presente": Ernesto Che Guevara, gebürtiger Argentinier

Buenos Aires. Hunderttausende Menschen haben am Mittwoch in ganz Argentinien gegen die Politik der ultrarechten Regierung des Präsidenten Javier Milei protestiert. Gleichzeitig galt ein bis Mitternacht andauernder zwölfstündiger Generalstreik im ganzen Land.

In der Hauptstadt Buenos Aires versammelten sich ab Mittag laut Angaben der Organisatoren rund 600.000 Personen rund um den Platz des Nationalkongresses, landesweit sollen es bis zu 1,5 Millionen gewesen sein. Das Sicherheitsministerium und seine Ministerin Patricia Bullrich wollen in der Hauptstadt dagegen nur 40.000 Teilnehmer:innen gezählt haben.

Demonstriert wurde auch in zahlreichen Provinzen, am massivsten in den Städten Córdoba, Mar del Plata und Santa Fe. Auf internationaler Ebene solidarisierten sich unter anderen der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) und der Bund der Gewerkschaften Amerikas (CSA). In Berlin hatte das internationale Netzwerk "Argentina no se vende" (Argentinien wird nicht verkauft) zu Protesten aufgerufen. Größere Kundgebungen fanden auch in Paris, Rom, Barcelona, Lissabon, Brüssel, London, Amsterdam, Toulouse, Genf, Bern, São Paulo, Mexiko-Stadt, Santiago de Chile, Rio de Janeiro und Montevideo statt.

Zu den Protesten hatte der argentinische Gewerkschaftsdachverband CGT bereits Ende Dezember, drei Wochen nach dem Amtsantritt der neuen Regierung, aufgerufen. Angeschlossen haben sich die beiden Flügel des zweiten großen Gewerkschaftsbundes CTA, unzählige Einzelgewerkschaften, soziale Bewegungen, Menschenrechtsorganisationen wie die Mütter und Großmütter der Plaza de Mayo sowie Interessensvertretungen aus den Bereichen Kultur, Wissenschaft und Sport.

Unterstützt wurden die Proteste auch von Teilen der politischen Opposition. Für das frühere Regierungsbündnis Union por La Patria des aus dem Amt geschiedenen Präsidenten Alberto Fernández war der Gouverneur der Provinz Buenos Aires, Axel Kiciloff, auf dem Kongressplatz anwesend. Das Linke Bündnis FIT-U (Frente de Izquierda y de Trabajadores-Unidad) war durch die Abgeordneten Myriam Bregman und Nicolás del Caño vertreten.

Der Generalstreik und die Massendemonstrationen stellen nach nur 45 Tagen Amtszeit der Regierung einen Rekord in der politischen Geschichte Argentiniens dar. Bislang galt für neu antretende Regierungen zumeist eine stillschweigende Schonfrist von 100 Tagen.

Grund für dieses frühe Aufkochen der sozialen Massenproteste ist die Geschwindigkeit, mit der die Regierung Milei versucht, den Umbau des Staates voranzutreiben. Ein Ende Dezember verkündetes Notstandsdekret (amerika21 berichtete) sowie ein im parlamentarischen Verhandlungsprozess befindliches Mega-Gesetz (amerika21 berichtete) bestehend aus über 600 Einzelartikeln aus unterschiedlichsten Politikbereichen zielen unter anderem auf die Ausweitung der Machtbefugnisse der Regierung, die Liberalisierung der Wirtschaft samt Aushöhlung des Staates, die Privatisierung von Staatsunternehmen und die Kürzung von Pensionen und Sozialleistungen ab.

Des Weiteren sind die Erhöhung von Tarifen und Abgaben, massive Entlassungen im öffentlichen Sektor, die Aushöhlung des Arbeitsrechts und weitere Einschnitte in soziale und politische Rechte geplant. Zudem hatte die Regierung im Dezember mit der Abwertung des Pesos im Hinblick auf eine angestrebte Dollarisierung für eine Rekordinflation von über 25 Prozent in einem Monat gesorgt.

argentinien_generalstreik_ate.jpeg

Block der Gewerkschaft der Staatsangestellten ATE. Staatsangestellte sind als erste von massiven Entlassungen betroffen
Block der Gewerkschaft der Staatsangestellten ATE. Staatsangestellte sind als erste von massiven Entlassungen betroffen

Die beiden Hauptredner des Abschlussakts in Buenos Aires, Pablo Moyano und Héctor Daer vom peronistisch dominierten Gewerkschaftsbund CGT, appellierten daher auch an die Abgeordneten, beiden Regierungsprojekten im Kongress die Zustimmung zu verweigern. "Ein Peronist kann nicht für dieses Notstandsdekret stimmen, das sich gegen die Arbeiter und Arbeiterinnen, Rentner und Rentnerinnen und die nationale Souveränität richtet", so Moyano.

Daer ergänzte: "Die Regierung will persönliche und kollektive Rechte abschaffen und die Gewerkschaften zerstören. Sie attackiert die gewerkschaftliche Aktion, die Arbeiter und Arbeiterinnen, die Kultur und sie richtet sich gegen alles Populare, indem sie auch den Sport privatisieren will."

Der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes CTA und Abgeordnete Hugo Yaski hatte im Vorfeld der Proteste gesagt: "Milei sieht sich als messianischen Anführer, der Argentinien in das Jahr 1905 zurückversetzen will, als die Armen keine Rechte hatten, anonym blieben und in aller Stille mit gesenktem Haupt Hunger litten, während die wenigen, die dagegen aufstanden, brutal unterdrückt wurden."

Trotz diverser Drohungen im Vorfeld insbesondere von Seiten der Sicherheitsministerin Bullrich verliefen sämtliche Proteste friedlich und in Volksfeststimmung. Bullrich hatte davor mehrfach auf das von ihr eingeführte Sicherheitsprotokoll verwiesen, das jegliche Behinderung des Verkehrs auch für politische Demonstrationen verbietet und mit beträchtlichen Strafen sanktioniert. Zudem ließ sie eine Telefonhotline einrichten, über die Einzelpersonen anonyme Anzeige erstatten konnten, sollten sie sich zur Teilnahme an der Demonstration erpresst fühlen.

Polizisten der Bullrich unterstehenden Bundespolizei blockierten Demonstrationszüge aus den südlichen Vororten und untersagten ihnen den Weitermarsch in Richtung Hauptstadt. Während die Hauptstadtpolizei während der Proteste kaum sichtbar war, führte die Bundespolizei außerhalb ihres eigentlichen Zuständigkeitsbereichs Kontrollen durch.

Unterdessen führte die Regierung weitere Verhandlungen mit ihr wohlgesonnenen Fraktionen der Opposition, um dem Notstandsdekret und dem Mega-Gesetz in beiden Kammern des Nationalkongresses eine Mehrheit zu verschaffen. Bisher gemachte Zugeständnisse betreffen etwa die Reduzierung von Notstandsbefugnissen für die Regierung von zwei auf ein Jahr mit der Möglichkeit der Verlängerung um ein weiteres Jahr und eine Beibehaltung der Anpassung der Renten, die für die Betroffenen dennoch zu einem hohen Kaufkraftverlust führen würde. Weiter soll der staatliche Erdölkonzerns YPF von den Privatisierungsmaßnahmen ausgenommen werden.

Beschlossen wurde zudem die vorläufige Rücknahme von Änderungen im Wahlrecht, außerdem soll von Kürzungen im Kultur- und Wissenschaftsbereich abgesehen werden. Ein Begutachtungsverfahren im Abgeordnetenhaus wurde mit Stimmen der Regierung und Teilen der Opposition mehrheitlich angenommen. Kommende Woche sollen die Debatten im Plenum beginnen.

Die linke Abgeordnete Myriam Bregman sagte dazu: "Wir können uns nach dem Streik und den Demonstrationen nicht zurücklehnen, denn was hier passiert ist schwerwiegend. Wir müssen weiterhin die Straßen besetzen."