Der dritte Irak-Krieg

Ignacio Ramonet über den Krieg gegen die Organisation "Islamischer Staat" und Veränderungen in der globalen Strategie der USA

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Ignacio Ramonet, Herausgeber der spanischen Ausgabe der Le Monde Diplomatique und Kolumnist von amerika21
Ignacio Ramonet, Herausgeber der spanischen Ausgabe der Le Monde Diplomatique und Kolumnist von amerika21

Am vergangenen 11. September – ein mehr als symbolisches Datum – richtete sich Präsident Barack Obama an die Nation, um seine neue Militärstrategie gegen den Islamischen Staat (IS) anzukündigen, der seiner Ansicht nach eine "Gefahr für den gesamten Mittleren Osten" darstellt. Obama erklärte, dass die US-amerikanischen Streitkräfte den IS angreifen werden, "wo auch immer sie sich befinden", Syrien inbegriffen.1

Die neue Strategie besteht darin, "systematische" Luftangriffe gegen die Dschihadisten2 zu fliegen, und die Zahl der in den Irak geschickten US-amerikanischen Militärspezialisten zu erhöhen, um die irakischen Truppen in Fragen von militärischer Ausbildung, bei den Nachrichtendiensten und mit technischer Ausrüstung zu unterstützen.

Obama fügte hinzu, dass die US-Armee sich nicht an Bodenoffensiven gegen den IS beteiligen werde und dass Washington nicht die Absicht habe, den Kampf gegen die Dschihadisten "allein" zu führen. "Der Einsatz amerikanischer Streitkräfte", erklärte er, "könnte einen den Krieg entscheidenden Unterschied ausmachen. Aber wir können für die Iraker nicht das erledigen, was sie selbst tun müssen, genauso wenig, wie wir den Platz der arabischen Verbündeten einnehmen können, um die Sicherheit in ihrer Region zu gewährleisten."

Barack Obama, der im Jahr 2008 als Kritiker des Einmarsches in den Irak gewählt wurde, eines Kriegs, den sein Vorgänger George W. Bush im Jahr 2003 angeordnet hatte, sagte, er werde keine Bodentruppen zurück in dieses Land schicken. Und, in einem typischen Beispiel der Freud'schen Verleugnung, erklärte er: "Als Oberbefehlshaber werde ich nicht zulassen, dass die Vereinigten Staaten erneut in einen Krieg im Irak verwickelt werden." Das würde bedeuten, dass ein dritter Irak-Krieg begonnen hat.

Der erste, auch bekannt als "Golfkrieg" von 1990 bis 1991, wurde von US-Präsident George Bush an der Spitze einer Koalition aus 34 Ländern angeführt, die, mit einem UN-Mandat versehen, einen Einmarsch der irakischen Truppen von Saddam Hussein in Kuwait beenden wollten. Er endete mit der Niederlage des Irak und dem Rückzug aus Kuwait.

Den zweiten Irakkrieg von 2003 bis 2010 begann Präsident George W. Bush, der Sohn des oben genannten, in einer Atmosphäre der Paranoia, die auf die Angriffe des 11. September 2001 folgte, und er wurde unter dem falschen Vorwand angezettelt, dass Saddam Hussein über "Massenvernichtungswaffen" verfüge. Diesen Krieg autorisierte die UN nicht. Die irakischen Streitkräfte wurden innerhalb weniger Wochen besiegt, aber ein Frieden wurde nie erreicht. Der Irak versank in einem Chaos aus Gewalt, aus dem es bis heute keinen Ausweg gibt.

Wie auch schon die beiden vorhergehenden, und nach fast 25 Jahren der gewalttätigen Auseinandersetzungen, wird dieser neue Krieg seine Ziele nicht erreichen. Erstens, weil noch nie ein Krieg nur mit Luftangriffen entschieden wurde, und zweitens einfach weil die Ziele dieses Krieges völlig unklar sind.

Worum geht es überhaupt? Darum, den Islamischen Staat zu besiegen? Aber wenn man noch nicht einmal in der Lage war, Al-Qaida zu besiegen? Und verglichen damit stellt der IS eine noch radikalere und monströsere Kreatur dar.

Geht es vielleicht darum, die Einheit des Irak zu erhalten? Aber warum startet man die aktuelle Offensive damit, dass die kurdischen "Peschmerga" massiv bewaffnet werden, die öffentlich ihre Absicht bekannt geben, dass sie sich vom Irak trennen und die Unabhängigkeit eines irakischen Kurdistan ausrufen werden?

Oder vielleicht geht es darum, wie schon im Jahr 2003, eine wahre Demokratie im Irak zu etablieren. Aber warum wurde bis vor kurzem toleriert, dass ein Nuri al-Maliki, irakischer Premierminister von 2008 bis 2014, eine skandalös diskriminierende Politik gegen die Sunniten und zugunsten der Schiiten verfolgt, welche die Sunniten erst in die Arme vom IS trieb?3

Auf der anderen Seite: Die große Koalition, welche sich um die Vereinigten Staaten bildete, um den IS anzugreifen, umfasst mehr als 40 Länder4 und sie scheint sehr heterogen, ja sogar widersprüchlich zu sein. Zum Beispiel ist eine ihrer Säulen Saudi-Arabien – eine der schlimmsten Diktaturen der Welt, mit tausenden politischen Gefangenen in den Kerkern, mit der Todesstrafe für Homosexuelle, mit abwegigen Diskriminierungen gegen Frauen, mit der rückständigsten und fundamentalistischsten Sichtweise des Islam, dem Wahhabismus. Vor allem aber handelt es sich um das Land, das den Islamischen Staat über Jahre finanzierte, bevor er entdeckt wurde, so wie Dr. Frankenstein das Monster finanzierte, das dann seinen Händen entglitt.

Oder Katar, eine andere schreckliche Diktatur, welche die Muslimbruderschaft in der gesamten islamischen Welt finanziert, einschließlich der Hamas, der palästinensischen Organisation, die Gaza regiert und von den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union in die offizielle Liste der "terroristischen Organisationen" aufgenommen wurde (obwohl diese Entscheidung umstritten ist). Besteht da nicht ein Widerspruch, wenn man sich im Krieg gegen die Terroristen des IS mit Ländern verbündet, die offen andere Formen des islamistischen Terrorismus finanzieren?

Es wird offensichtlich, dass Präsident Obama mit seiner Entscheidung, einen neuen Krieg im Nahen Osten zu beginnen, auch die globale Strategie der Vereinigten Staaten verändert hat, was Konflikte und geopolitische Prioritäten betrifft. Washington hatte beschlossen, sich in einer breiten Bewegung nach Asien auszurichten, wo sich sein wichtigster Gegenspieler für das 21. Jahrhundert befindet: China. Und wo das wirtschaftliche Zentrum der Weltwirtschaft von heute liegt (und noch viel stärker von morgen).

Den großen Think-Thanks der Amerikaner zufolge benötigen sie in Europa keine große US-Militärpräsenz mehr (trotz der Situation im Osten der Ukraine). Obwohl die Verstrickungen im Nahen Osten weiterhin unentwirrbar bleiben, gefährden sie heute nicht mehr die strategische Sicherheit der Vereinigten Staaten, da deren Abhängigkeit von Kohlenwasserstoffen aus dem Nahen Osten signifikant zurückgegangen ist – dank der Öl- und Schiefergasvorkommen, die auf US-amerikanischem Boden entdeckt wurden.

Seit seinem Amtsantritt versprach Präsident Obama daher, die Kriege im Nahen Osten zu beenden und die Truppen aus dem Irak und aus Afghanistan zurückzuziehen. Jetzt sehen wir, dass dies zu schnell passierte, auf eine stümperhafte Weise, ohne das verlassene Feld politisch zu stabilisieren. Unterdessen startete man improvisierte Operationen, die schlimme Folgen hatten: den Angriff gegen Libyen und den versuchten Sturz von Baschar Hafiz al-Assad im Jahr 2011. Sie haben Waffenarsenale über einer ohnehin hochgerüsteten Region ausgestreut und die Entstehung einer neuen Art von Dschihad-Milizen gefördert, radikaler noch als Al-Qaida.

Der pakistanische Analyst Ahmed Rashid, Autor von "Pakistan am Abgrund", beschreibt die Situation so: "Al-Qaida ist ein bisschen veraltet", erläutert Rashid, "sie sind etwas zurückgeblieben. Der IS geht noch weiter, sie sind extremer." Radikaler, weil sie, nach Ansicht des Schriftstellers, darauf abzielen, ihre Länder mit vorgehaltener Waffe von schiitischen Bürger zu säubern und weil sie die Grenze zwischen Irak und Syrien niederreißen, um ihr neues Kalifat zu errichten. "Al-Qaida", sagt Rashid, unter Verweis auf das von Ayman al Zawahiri befehligte Netzwerk, "glaubt an die Staaten, sie möchten, dass sie weiterbestehen". Die Dschihadisten, Al-Qaida oder die Taliban, tauschen Ideen aus. Sie alle wollen ihr Kalifat, ein Imperium nach islamischen Gesetzen, aber jede dieser Organisationen auf eine eigene Weise. "Die Taliban in Afghanistan zum Beispiel", meint er, "wollen nicht alle Schiiten töten wie der IS".5

Diese intensive Mobilisierung von Gewalt, diese neue Barbarei, dieser Radikalismus zieht seltsamerweise jungen Dschihadisten aus der ganzen Welt an, vor allem aus den westlichen Ländern. Der französische Außenminister Laurent Fabius warnte, dass die Dschihadisten, die sich dem IS angeschlossen haben, aus 51 Ländern stammen. Allein aus Frankreich sind schon mehr als 900 in den Krieg gezogen.

Die Barbaren können nicht gewinnen. Dass hoffen wir zumindest. Aber vergessen wir nicht die Warnung von Ibn Khaldun (1332-1406), dem Erfinder der Soziologie und der Geschichtsphilosophie, wenn er uns daran erinnert, was Geschichte ist: die Geschichte der durch die Wut von Barbaren zerstörten Imperien.6

  • 1. Präsident Obama ordnete am 23. September an, die Lager des IS in Syrien zu bombardieren. Damit diese Angriffe nicht illegal sind, hätte der US-Präsident nach Einschätzung international renommierter Juristen, die Zustimmung des Kongresses und vor allem, um das Völkerrecht zu respektieren, das Einverständnis des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen benötigt, die er nicht erhielt, weil Russland und China ihr Veto einlegten. Offensichtlich informierte Washington, bevor die Bombenangriffe begannen, Damaskus und die syrischen Behörden, damit diese sich "der internationalen Maßnahme gegen Terroristen nicht widersetzen".
  • 2. Tatsächlich greifen die USA bereits seit dem 7. August Objekte des IS im Irak an.
  • 3. Mit der Wahl von Haider al-Abadi, ebenfalls ein schiitischer Politiker, wurde der autoritäre al-Maliki am 14. September ersetzt. Dadurch könnten sich die Dinge ändern, wenn der neue Ministerpräsident die sunnitische Gemeinschaft davon überzeugt, dass die Diskriminierung gegen sie eingestellt werden. Das Ziel besteht darin, dass die Sunniten sich dem Krieg gegen den IS anschließen.
  • 4. Die "Internationale Konferenz für Frieden und Sicherheit im Irak" am vergangenen 15. September in Paris versammelte mehrheitlich Außenminister aus den folgenden Ländern: Deutschland, Saudi-Arabien, Bahrain, Belgien, Kanada, China, Dänemark, Ägypten, Vereinigte Arabische Emirate, Spanien, USA, Frankreich, Irak, Italien, Japan, Jordanien, Kuwait, Libanon, Oman, Katar, Norwegen, Niederlande, Tschechische Republik, Großbritannien, Russland und die Türkei. Darüber hinaus versprachen folgende Staaten ihre Unterstützung: Albanien, Australien, Estland, Dänemark, Polen, Japan, die Schweiz, Norwegen, Finnland, Ungarn, Irland, Italien, Luxemburg, Neuseeland und Südkorea. Insgesamt umfasst die von den USA geführte Koalition zur Bekämpfung des Islamischen Staates (IS) mehr als 40 Länder.
  • 5. In: El País, Madrid, 21. Juni 2014.
  • 6. Siehe auch: Gabriel Martinez-Gros, "Brève histoire des empires. Comment ils surgissent, comment ils s’effondrent", Seuil, Paris, 2014.