Venezuela / Politik

Vor der Wahl – unterwegs in Caracas

Eindrücke vom Wahlkampf in der Hauptstadt Venezuelas

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Wahlkampf in einer bescheideneren Seitenstraße in Altamira
Wahlkampf in einer bescheideneren Seitenstraße in Altamira

Wie zeigt sich der Wahlkampf in den Straßen und Stadtvierteln von Caracas etwa 2 Wochen vor der Wahl zur Asamblea Nacional am 26. September? Schon der erste Eindruck ist, dass nicht allzu viel Materialschlacht in den Straßen stattfindet. Zu aller erst fallen die kleinen Stände an Straßenecken vor und in U-Bahnstationen ins Auge. Dort wird aber nicht für eine bestimmte Partei geworben, sondern die Passanten können sich genau über die technischen Aspekte des Wählens informieren. Die Stände werden vom Consejo Nacional Electoral (CNE) betreut, dem nationalen Wahlrat. Es liegen die Listen aller Parteien aus, die zur Wahl stehen und ein elektronischer Wahlapparat ist aufgestellt, der am Tag der Wahl zum Einsatz kommen wird. Dessen Handhabung wird erläutert, ebenso wie auch die Anzahl der Stimmen, die jedem zur Verfügung stehen und wie sie auf Direktkandidaten und Parteien aufzuteilen sind. Im Zentrum und an U-Bahn-Stationen ist die sozialistische Regierungspartei PSUV mit ihren Informationsständen oder einfach mit Tischen, Infomaterial zu den Kandidaten und ein paar Aktivisten präsent, während man nichts ähnliches von den Parteien der Rechten entdecken kann.

Am 10. September kamen wir über die Autopista Norte-Sur nach Caracas, vorbei am Stadtteil 23 de Enero und weiter über Stadtautobahnen ins Barrio Antímano. Seitdem hielten wir uns in den beiden genannten Armenvierteln auf, sowie in dem Bereich des Stadtzentrums um den Plaza Bolívar. Bis auf eine einzige Wand in Antímano sind überhaupt keine Plakate der rechten Opposition zu sehen gewesen, aber auch keine andere Art der Präsenz. Ein Einwohner des 23 de Enero erklärte dazu, dass die Parteien der Oligarchie sich in den armen Gebieten nicht sehen lassen, sie verließen sich im allgemeinen auf ihre finanzstarken Auftritte in den Massenmedien, die sie weiter zu etwa 80% dominieren. Die PSUV und mit ihr alliierte Parteien sind wie beschrieben in den Straßen präsent und gehen vor allem in den Barrios von Tür zu Tür, um mit den Menschen zu sprechen.

Diese ersten Eindrücke reizten zu der Idee, einmal die Situation in einem der Stadtviertel anzusehen, wo die Wohlhabenden und Reichen leben. Vom Zentrum von Caracas fährt man mit der U-Bahn Linie 1 einige Stationen nach Osten. Von der U-Bahn-Station Chacao aus kann man zu Fuß weiter in den Stadtteil Altamira laufen und dort eine in jeder Hinsicht andere Realität erleben. Hier sind sowohl die großen Durchfahrtstraßen wie auch die Seitenstraßen reich bestückt mit Wahlkampfplakaten der Rechten. Alle paar Meter hängt an den Laternen die Wahlwerbung der traditionellen Parteien sowie auch die einiger neuerer rechter Parteigründungen.

Meint der Wahlslogan "Vota Sol!" (Wähle Sonne!) die Perspektive, die sich bietet, wenn man vom Plakat den Blick zum Himmel richtet? Dort entdeckt man auf einem beeindruckenden Gebäude begrünte Terrassen, auf denen gehobene Angestellte Pausen zur Erholung genießen. Auf der Avenida Luis Roche läuft man ständig an massiven Zäunen vorbei, die nicht nur wehrhaft, sondern auch repräsentativ gestaltet und teuer geschmiedet sind. Ein Gedanke drängt sich auf: Wie viele einfache Ranchos in den Barrios für das Geld einer einzigen der Umzäunungen, die die Wohnblöcke der Wohlhabenden einfrieden, finanziert werden könnten? "Unidos por tu Propiedad!" (Vereint für dein Eigentum) heißt es ein paar Schritte weiter folgerichtig auf einem Plakat der COPEI, einer der beiden traditionellen Parteien, die 40 Jahre das Land regierten. Die COPEI wurde Anfang des Jahres von der deutschen Konrad Adenauer Stiftung mit Beratung zur "politischen Kommunikation" auf den Wahlkampf vorbereitet.

Die am weitesten verbreitete Parole gibt Auskunft über das gewohnte Selbstbild dieser zahlenmäßig so schmalen Schicht und ihrer Nutznießer: "Juntos Somos Mayoria!" (Gemeinsam sind wir die Mehrheit). Primero Justicia, eine neuere rechte Partei, der das deutsche Auswärtige Amt eine "wachsende Rolle" zuspricht oder einfach nur wünscht, ist auf Plakaten stark präsent. Schließlich gehört zu den Eindrücken bei der Besichtigung von Wahlplakaten der rechten Parteien noch folgendes: Es werden auffallend häufig Begriffe verwendet, die den Wandel im Selbstbewusstsein der Armen, wie der Bolivarische Prozess es fördert, aufgreifen – wohl besser gesagt, abschöpfen wollen. Der Kern der Bolivarischen Revolution ist die Aktivierung und Ermächtigung der Basis, also des Teils der Bevölkerung, der unter den Republiken der oligarchischen Familien immer rechtlos und in ihren Lebensbedingungen sich selbst überlassen geblieben ist. Dass es auf die Berücksichtigung der Bedürfnisse der bisher Ausgeschlossenen und auf ihre Partizipation ankommt, ist der Geist der chavistischen Politik und das hat im Massenbewusstsein schon deutliche Spuren gelegt. Dahinter kann schon niemand mehr zurück, der Wähler gewinnen will. Auf einem der Plakate der Rechten steht: "Die Basis entscheidet – Du bist die Basis", eine der rechten Oppositionsparteien heißt "Fuerza de la Gente" (Macht der Leute) und ihr Kandidat preist sich an mit: "Tu vecino soy yo" (Dein Nachbar bin ich).

Auf die Frage an Leute vor Ort, wie das Wahlprogramm der rechten Parteien ist, wird erklärt: Erstens über die aktuellen Wahlen Chávez schwächen und ihn dann über die Präsidentschaftswahlen 2012 loswerden, zweitens den Einfluss auf die obersten Posten in Justiz und Wahlbehörde zurückgewinnen und drittens die Gesetze, die eine erste Spur zur Institutionalisierung der Volksmacht gelegt haben, rückgängig zu machen. Die grundsätzliche Einheit des rechten Wahlbündnisses "Tisch der demokratischen Einheit" (Mesa de la Unidad Democrática, MUD) besteht in ihrem unbändigen Hass auf Chávez und in der Vision der Abrechnung mit dem Bolivarischen Prozess. Ihr Gründungsprogramm vor einigen Monaten las sich wie eine Kopie der sozialen Programme der chavistischen Bewegung. Davon ist im Wahlkampf aber keine Rede mehr gewesen.

Auf dem Weg zurück zur U-Bahn, dort, auf dem zentralen Platz von Altamira, wo die Avenida Luis Roche auf die Avenida Francisco de Miranda trifft, erleben wir noch einmal eine Überraschung. Was die Parteien der Oligarchie in den Armenvierteln nicht wagen, unternimmt umgekehrt die PSUV inmitten der Viertel der Oberschicht: einen Informationsstand für die Wahlwerbung hinzustellen, der von den Aktivisten der Partei gut gelaunt betrieben wird.