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Trump treibt Mexiko in die Arme der EU

Nach den Drohungen von Trump mit dem Bau einer Grenzmauer und Strafzöllen, sucht Mexikos Regierung die "Nähe" zur EU und zu Deutschland

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"Deutschland war immer ein strategischer Partner für Mexiko". - Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto mit Bundeskanzlerin Angela Merkel bei seinem Staatsbesuch in Deutschland im Mai 2016
"Deutschland war immer ein strategischer Partner für Mexiko". - Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto mit Bundeskanzlerin Angela Merkel bei seinem Staatsbesuch in Deutschland im Mai 2016

Die mexikanische Regierung dringt auf eine rasche Modernisierung ihres Freihandelsabkommens mit der EU und konstatiert "eine große Nähe" zu Deutschland. Ursache sind die Drohungen von US-Präsident Donald Trump, Mexiko mit dem Bau einer Grenzmauer und mit Strafzöllen massiven Repressalien auszusetzen. Dagegen könne das Land sich angesichts seiner derzeit extremen Abhängigkeit von den USA nur behaupten, wenn es seine Beziehungen zu anderen Ländern intensiviere, erklärt der mexikanische Außenminister Luis Videgaray. In deutschen Wirtschaftskreisen stößt das mexikanische Werben auf Sympathie: Die Mehrzahl der in Mexiko aktiven deutschen Unternehmen hat dort ohnehin Neuinvestitionen geplant, die trotz erwarteter Nachteile durch die künftige US-Handelspolitik realisiert werden sollen: Ausufernde Strafzölle oder andere Exzesse könne die US-Administration sich gar nicht leisten, vermuten Experten. Siemens-Chef Joe Kaeser hat vergangene Woche bei einem Auftritt in Mexiko demonstrativ Investitionen in Höhe von 200 Millionen US-Dollar angekündigt und gemeinsam mit dem mexikanischen Wirtschaftsminister eine Absichtserklärung für Infrastruktur- und Industrieprojekte unterzeichnet, die ein Volumen von bis zu 36 Milliarden US-Dollar erreichen könnten.

Existenziell bedroht

Die chauvinistischen Provokationen von US-Präsident Donald Trump gegenüber Mexiko träfen das Land, würden sie umgesetzt, existenziell. Unbeschadet der Tatsache, dass bereits die vorigen US-Administrationen die Grenze zwischen den beiden Ländern mit hochgerüsteten Sperranlagen abschotteten, die sich nicht von den Stacheldrahtanlagen um die EU-Exklaven Ceuta und Melilla unterscheiden, drückte der Bau einer Mauer auf der vollen Länge der Grenze und die Eintreibung der Kosten in Mexiko eine kaum zu überbietende Verachtung des Nachbarlandes aus. Die mit dem Mauerbau wohl verbundenen Schikanen beträfen, wie die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) festhält, "die geschäftigste Grenze weltweit", die jährlich von 50 Millionen Fußgängern, 74 Millionen Pkws und fünf Millionen Lkw überquert wird.1Zu den immensen gesellschaftlichen Schäden kämen ökonomische Verheerungen unabsehbaren Ausmaßes hinzu, sollte Trump tatsächlich Strafzölle auf Importe aus dem südlichen Nachbarland verhängen. Mexiko hat sich durch seine Teilnahme an der Nordamerikanischen Freihandelszone Nafta in beinahe komplette wirtschaftliche Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten treiben lassen: Es liefert mehr als 80 Prozent seiner Ausfuhren in die USA, was umso schwerer wiegt, als seine Exporte sich auf den für Lateinamerika ungewöhnlich hohen Anteil von einem Drittel seines Bruttoinlandsprodukts belaufen; entsprechend katastrophale Auswirkungen hätten die bei neuen Zöllen zu erwartenden dramatischen Exporteinbrüche. Allein die besonders schwer bedrohte Automobilbranche steht für mehr als ein Drittel der gesamten mexikanischen Warenausfuhr.

"Eine große Nähe"

Mexikos Regierung reagiert auf die Bedrohung mit einer Doppelstrategie. Zum einen bereitet sie sich auf eine mögliche Neuformulierung von Nafta vor, hat begonnen, die Interessenlage der mexikanischen Wirtschaft systematisch zu bilanzieren, und kündigt an, ab Juni verhandlungsbereit zu sein. Am gestrigen Dienstag sind die Minister für Äußeres und für Wirtschaft, Luis Videgaray und Ildefonso Guajardo, in Kanada eingetroffen, um dort erste Sondierungen für ein mögliches gemeinsames Vorgehen im Machtkampf mit Washington vorzunehmen.2 Zugleich jedoch hat die Regierung in Ciudad de México begonnen, sich um Alternativen zu bemühen. Man sei inzwischen bereits "in formellen Gesprächen, um Handelsabkommen mit Brasilien und Argentinien" anzubahnen, berichtet Außenminister Videgaray; zudem wolle man das Freihandelsabkommen mit der EU "noch dieses Jahr" modernisieren.3 Videgaray lässt keinen Zweifel daran, dass Berlin dabei eine exklusive Rolle zukäme. "Deutschland war immer ein strategischer Partner für Mexiko", erklärt er: "Es gibt im Moment eine große Nähe in der Politik zwischen Deutschland und Mexiko - gegen diese protektionistischen Gefahren... . Das führt uns zweifellos näher zusammen." Videgaray urteilt nach ersten Gesprächen mit seinem deutschen Amtskollegen Sigmar Gabriel: "Es ist eine Beziehung des Vertrauens, die wir weiter stärken wollen."4

Vor neuen Investitionen

In deutschen Wirtschaftskreisen wird das mexikanische Werben recht positiv aufgenommen. Zwar gehen laut einer Umfrage der Deutschen Auslandshandelskammer (AHK) in Mexiko 83 Prozent der rund 1.900 in dem Land tätigen deutschen Unternehmen davon aus, dass die Handelspolitik der neuen US-Administration sich negativ auf ihr Geschäft auswirken wird.5 Dennoch rechnet eine klare Mehrheit nicht mit Einbrüchen, die ihre Tätigkeit in Mexiko prinzipiell in Frage stellen würden. Man gehe davon aus, dass Trump es nicht zu Exzessen kommen lassen könne, heißt es bei der bundeseigenen Außenwirtschaftsagentur Germany Trade and Invest (gtai): Nafta untersage Zölle, über die ohnehin der freihandelsorientierte Kongress entscheiden müsse, und selbst nach einem Nafta-Austritt wären die Vereinigten Staaten an die WTO-Regeln gebunden, die den Importzoll bei Pkws auf maximal 2,5 Prozent begrenzen. Zudem träfen Zölle eine Reihe mächtiger US-Konzerne empfindlich, und die zu erwartenden mexikanischen Gegenmaßnahmen würden wohl vor allem ländlichen Gebieten in den Vereinigten Staaten schaden, "in denen der Anteil der Trump-Anhänger besonders hoch ist".6 Unter deutschen Unternehmern in Mexiko sei daher die Hoffnung verbreitet, es werde nicht zu umstürzenden Veränderungen kommen, berichtet die AHK. Demnach planen sogar 62 Prozent aller deutschen Firmen im Land für das laufende Jahr neue Investitionen; 43 Prozent wollen ihren Personalbestand halten, 46 Prozent wollen ihn vergrößern.7

"Sehr dankbar"

Demonstrativ für den Ausbau der Geschäfte in Mexiko stark gemacht hat sich unlängst Siemens. Der Konzern ist dafür in einer günstigen Situation. Zum einen hat er in den Vereinigten Staaten mit über 60 Fabriken und mehr als 50.000 Angestellten eine starke Position; zum anderen fertigt er in Mexiko kaum für den Export in die USA, würde also unter Strafzöllen viel weniger leiden als andere Unternehmen.8 Zugleich gilt Mexiko dem Konzern, wie seine mexikanische Landeschefin Louise Goeser erklärt, als "einer der interessantesten Märkte überhaupt": Mit seinen rund 6.200 Mitarbeitern in neun Fabriken, zwei Logistik- und drei Forschungszentren konnte Siemens Mexiko in den Jahren 2015 und 2016 ein Auftragswachstum von 41 respektive 32 Prozent auf rund 1,5 Milliarden Euro erzielen.9 In der vergangenen Woche unterzeichnete Siemens-Chef Joe Kaeser bei einem vielbeachteten Auftritt in Mexiko gemeinsam mit Wirtschaftsminister Guajardo eine Absichtserklärung, der zufolge beide Seiten Großprojekte zum Ausbau von Infrastruktur und Schlüsselindustrien mit einem Volumen von bis zu 36 Milliarden US-Dollar in den nächsten zehn Jahren entwickeln wollen. Wie hoch der Siemens-Anteil sein wird, ist noch unklar; doch hat Konzernchef Kaeser in einem ersten Schritt konkrete Investitionen in Höhe von 200 Millionen US-Dollar in den kommenden zehn Jahren angekündigt. Dabei sollen rund tausend Arbeitsplätze entstehen. Wirtschaftsminister Guajardo wird mit der Äußerung zitiert: "Wir sind sehr dankbar für den Besuch in diesen Zeiten".10

Deutschlandjahr

Kaesers Auftritt in Mexiko bezog seine besondere Wirkung aus den äußeren Umständen nach dem Regierungswechsel in Washington; er ist allerdings schon viel früher geplant gewesen. Auch die Bundesregierung hat ihre Bemühungen, den aktuellen Aufschwung deutscher Unternehmen in Mexiko zu fördern, lange vor der US-Wahl gestartet. Ein Beispiel dafür ist das "Deutschlandjahr in Mexiko", ein Element deutscher Kultur-PR, das der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier am 6. Juni 2016 eröffnete. In über 120 Projekten mit rund 1.000 Veranstaltungen wird seitdem, so heißt es im Auswärtigen Amt, Deutschland "in all seinen Facetten dem mexikanischen Publikum präsentiert", um die bilateralen Kontakte auf allen Ebenen zu intensivieren11. Dass der schnelle Ausbau der deutsch-mexikanischen Beziehungen von einem US-Präsidenten, der Mexiko mit rüden Drohgebärden in die Arme anderer Staaten treibt, unbeabsichtigt gefördert werden könnte, war freilich bei der Eröffnung des "Deutschlandjahrs" noch nicht abzusehen.

22. Februar 2017

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