Die Europäische Union und das Ende des Mercosur

Samuel Pinheiro Guimarães aus Brasilien warnt vor den Folgen eines Freihandelsabommens mit der EU für das Regionalbündnis

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Verhandlungen EU-Mercosur
Mercosur und EU stehen kurz vor dem Abschluss eines Freihandelsabkommens

Regionale Integration und Freihandelsabkommen

Die Zweckmäßigkeit einer Beteiligung Brasiliens an regionalen Integrationsprogrammen und an Verhandlungen über "Freihandel" mit den Industriestaaten, die bei den Vereinbarungen um die Industriezonen äußerst wettbewerbsorientiert sind, kann nur beurteilt werden, wenn man die tatsächliche Lage der Weltwirtschaft ebenso wie die der brasilianischen Wirtschaft berücksichtigt.

Diese ist heute von vier Tatsachen gekennzeichnet:

- Von der Strategie der Industrieländer, der Krise zu entkommen durch aggressive Maßnahmen zur Öffnung der Märkte von Drittstaaten und durch Manipulation der Wechselkurse, die ihre Währungen abwertet; und sie schützen aggressiv ihre heimische Produktion.

- Von Chinas Politik der Ausweitung der Exporte von Industrieprodukten und der Öffnung der Märkte für seine Produkte und Investitionen, insbesondere für die Produktion von Rohstoffen (Primärprodukte).

- Vom Stellenwert des innerbetrieblichen Handels. Dieser macht 60 Prozent des Welthandels aus, und lässt das Konzept des Freihandels eher begrenzt und rhetorisch werden;

- Von der übermächtigen Präsenz multinationaler Mega-Konzerne und kleiner ausländischer Unternehmen in der brasilianischen Wirtschaft, nicht nur in der Industrie, sondern auch im zunehmenden Maße im Dienstleistungsbereich, wie im Bildungs- und Gesundheitswesen.

Die strategische Alternative für Entwicklungsländer wie Brasilien für eine Politik der vollen und uneingeschränkten Teilnahme an der Weltwirtschaft ist die Beteiligung an Integrationsprojekten.

Dies könnte geschehen durch:

- Projekte, in denen Industrie- und Entwicklungsländer aufeinander treffen, wie bei Nafta, dem nordamerikanischen Freihandelsabkommen zwischen den USA, Mexiko und Kanada;

- Projekte, an denen lediglich Entwicklungsländer beteiligt sind, wie Mercosur, dem Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela angehören;

- Bilaterale Freihandelsabkommen, wie das zwischen Chile und den USA.

Bei der ersten Alternative entsteht eine starke Abhängigkeit zwischen der Wirtschaft der Entwicklungsländer (und deren innen- und außenwirtschaftspolitischen Entscheidungen) und der Wirtschaft und Politik der hoch entwickelten Mitgliedstaaten, auf die Erstere keinen Einfluss haben, da sie nicht an deren politischen und administrativen Systemen und ebenso wenig an deren wirtschaftspolitischen Entscheidungen beteiligt sind.

Mit der zweiten Alternative könnten die Entwicklungs- oder Peripheriestaaten folgende Kooperationsformen bilden:

- Eine Freihandelszone, in der die Staaten die Zollschranken und andere Hemmnisse hinsichtlich des internen Handels aufheben, während sie Inlandszölle auf Ausfuhren von Unternehmen aufrecht erhalten, die in Drittländern außerhalb der Region ansässig sind;

- Eine Zollgemeinschaft, in der die Staaten die Zollschranken und andere Hemmnisse hinsichtlich des internen Handels aufheben und einen gemeinsamen Zolltarif auf die Importe von Firmen außerhalb der Region festsetzen;

- Eine ökonomische (eventuell auch monetäre) Union, in der die Mitgliedstaaten der Zollunion auch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik (hinsichtlich des Wechselkurses, der Steuern, der Arbeit, der Kredite, etc.) betreiben.

Der Mercosur

Der Mercosur1 ist eine Zollgemeinschaft, die oftmals als unvollkommen bezeichnet wird (doppelte Erhebung von Einfuhrsteuern, der Ausschluss mancher Sektoren, umfangreiche Ausnahmenlisten etc).

Dies sind die wichtigsten Ergebnisse des Mercosur seit seiner Gründung im Jahre 1991:

- Der Handel zwischen den Mercosur-Staaten stieg um mehr als das elffache, während der weltweite Handel nur um das fünffache zunahm;

- Die Investitionen nationaler Privatunternehmen der Mitgliedstaaten in die Wirtschaft anderer Mercosur-Staaten wurde stark ausgebaut;

- Es gab einen Zufluss direkter Investitionen in die Mercosur-Staaten aus Industriestaaten mit Kapitalüberschuss und aus China;

- Infrastrukturprojekte in den Mitgliedsländern wurden durch Finanzinstitutionen der Mercosur-Staaten finanziert;

- Focem wurde geschaffen, der Fonds für die strukturelle Annäherung des Mercosur, mit unterschiedlich hohen Beiträgen (97 Prozent aus Brasilien und Argentinien); durch die Vergabe von nicht rückzahlungspflichtigen Krediten ermöglicht man die Durchführung von Infrastrukturprojekten, insbesondere in Paraguay und Uruguay (sie erhielten 80 Prozent der Mittel) mit dem Ziel, die Ungleichheiten zwischen den Mitgliedstaaten des Mercosur abzubauen und bessere Bedingungen für die Entwicklung zu schaffen;

- Die Arbeitskräftemobilität wurde durch die Unterzeichnung der Abkommen über Aufenthalt und Sozialversicherung erhöht;

- Der koordinierte Erfahrungsaustausch betreffend Sozialprogramme wurde eingeführt, insbesondere im Bereich der Armutsbekämpfung;

- Die Demokratie wurde konsolidiert und verteidigt.

Die wichtigsten Ergebnisse der Beteiligung am Mercosur waren speziell für Brasilien folgende:

- Zwischen 1991 und 2016 wuchs der brasilianische Handel mit dem Mercosur um das siebenfache, während der weltweite Handel Brasiliens um das Fünffache stieg;

- 84 Prozent der Exporte Brasiliens in die Mercosur-Länder sind Industriegüter, während es in die USA 53 Prozent, in die Europäische Union 36 und nach China vier Prozent sind;

- 21 Prozent des brasilianischen Gesamtexports von Industriegütern gingen in Mercosur-Staaten, insbesondere nach Argentinien;

- In den letzten zehn Jahren verzeichnete Brasilien gegenüber allen Mitgliedstaaten des Mercosur Handelsüberschüsse, während es im gleichen Zeitraum Handelsdefizite mit den Industriestaaten hatte;

- Die Handelsbilanz zwischen Brasilien und dem Mercosur war doppelt so hoch wie das nationale Gesamtsaldo, dadurch wurden die Handelsdefizite mit den USA und der Europäischen Union ausgeglichen;

- Die brasilianischen Kapitalgesellschaften tätigten große Investitionen in den Mercosur-Staaten, die ihr natürliches Gebiet für die Expansion im Ausland bilden;

- Die von der Brasilianischen Entwicklungsbank (BNDES) gewährten Darlehen für Infrastrukturprojekte in den Mercosur-Staaten führen zu Verträgen mit brasilianischen Unternehmen sowie zum Export von Waren- und Dienstleistungen seitens Brasiliens;

- Ein wichtiger Teil der ausländischen Direktinvestitionen, die in Brasilien getätigt werden, soll in alle Mercosur-Länder exportiert werden;

- Die Mitgliedschaft im Mercosur erlaubt es Brasilien, sich an der Konsolidierung und Verteidigung der Demokratie in der Region, also an der Stabilität in unserer unmittelbaren Nachbarschaft zu beteiligen.

Trotz seiner Erfolge wird der Mercosur täglich von den Massenmedien kritisiert, denen es im Laufe des vergangenen Jahrzehnts gelungen ist, ein negatives Bild des Mercosur in der öffentlichen Meinung zu schaffen. Er wird als gescheiterte Vereinbarung und Organisation beschrieben, die den Interessen Brasiliens schade und als eine für Brasilien "unangemessene" Partnerschaft mit Ländern wie Argentinien und Venezuela.

Dieser Antagonismus, der von den bedeutendsten Fernsehsendern, Zeitungen und Zeitschriften mit hoher Auflage geschaffen wurde, ging nicht aus einer Analyse konkreter Tatsachen hervor, sondern aus einer ideologischen Position, die folgende Prämissen oder Vorurteile aufweist:

- Brasilien soll den Industriestaaten in seinen internationalen Beziehungen Vorrang geben, da sie die wichtigsten Märkte, große Kapitalquellen und die wichtigsten Hersteller von Technologie sind;

- Brasilien solle sich mit den Industriestaaten verbünden, da diese stabile Demokratien und Verteidiger der Menschenrechte sind;

- Brasilien soll sich aus Gründen der kulturellen Identität und der ideologischen Affinität mit den Industriestaaten verbünden.

- Dagegen seien die Entwicklungsländer, einschließlich der südamerikanischen Staaten, kleine Märkte ohne Investitionskapazität und technologische Dynamik; sie seien politisch instabil, immer wieder diktatorisch und verletzten die Menschenrechte; es handle sich um Gesellschaften, die sich kulturell und ideologisch stark von der brasilianischen unterschieden.

- Dementsprechend sollte sich Brasilien im wirtschaftlichen Bereich nicht an Organisationen wie dem Mercosur oder an Ländergruppen wie Brics (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) oder Ibsa (Dialogforum Indien, Brasilien und Südafrika) beteiligen.

Was den Handel angeht, bringen die großen Medien täglich vor:

- Brasilien soll sich an Strukturen wie der Pazifik-Allianz beteiligen, die erfolgreiche und dynamische Ökonomien zusammenbringen würde;

- Brasilien muss sich dringendst in die weltweiten Produktionsketten integrieren;

- Brasilien läuft Gefahr, "isoliert" zu bleiben von den aktuell laufenden großen internationalen Verhandlungsprozessen wie Transpazifische Partnerschaft und das Freihandelsabkommen zwischen USA und EU;

- Brasilien soll Freihandelsabkommen mit den Industriestaaten abschließen, auch wenn es dafür den Mercosur verlassen müsse, oder Brasilien müsse eine Strategie der unterschiedlichen Geschwindigkeiten fahren, ohne dass dies zum Ausscheiden aus dem Mercosur führt.

Die Pazifik-Allianz besteht aus vier Staaten (Mexiko, Kolumbien, Peru und Chile), die jeweils Freihandelsabkommen mit den USA abgeschlossen haben. Jeder einzelne dieser Staaten hat dutzende von Freihandelsverträgen mit anderen Staaten oder Staatenbündnissen, wie der EU und China unterzeichnet, ein fast notwendiges Ergebnis der Verhandlungen mit den USA.

Der Handel zwischen den Mitgliedstaaten der Pazifik-Allianz ist von geringerer Bedeutung, auch weil diese Länder nicht über diversifizierte Exportangebote und über keine bedeutenden Industrieparks verfügen (mit Ausnahme Mexikos, wenn auch mit besonderen Merkmalen in Folge der Maquiladoras; zudem stehen diese Staaten auf dem internationalen Markt bei vielen Artikeln, insbesondere bei Mineralien, in Konkurrenz zueinander).

Dass diese Länder in den letzten Jahren relativ hohe Wachstumsraten verzeichneten, bedeutet nicht, dass sich die Entwicklung der Wirtschaft selbst verbesserte, da sie keine Diversifizierung der Produktionsstrukturen durchführten und weder das Einkommensniveau noch den Reichtum angehoben haben.

Nach der Unterzeichnung der Abkommen für "freien Handel" mit den USA stiegen die US-Importe nach Chile, Peru und Kolumbien sehr viel stärker als deren Exporte in die USA; und im Gegensatz zu dem, was zur Verteidigung dieser Abkommen angeführt wurde, konzentrierten sich diese Exporte auf die selben traditionellen und nicht-diversifizierten Produkte.

Im Unterschied zu dem, was die großen Medien (mit oder ohne Absicht) anscheinend ignorieren, besteht zwischen dem Mercosur (also auch Brasilien) und Chile, Peru und Kolumbien ein Freihandelsabkommen: als Ergebnis dessen, was bereits geschehen ist, nämlich der Absenkung der meisten bilateralen Zölle auf Null; und 2019 wird der Handel zwischen dem Mercosur (und Brasilien) und jedem dieser Länder der Pazifik-Allianz völlig liberalisiert sein.

Was die Integration in die internationale Wirtschaft und in die weltweiten Produktionsketten angeht zeigen zwei Tatsachen, dass die brasilianische Wirtschaft weit davon entfernt ist, "isoliert" oder an der Weltwirtschaft nicht beteiligt zu sein: der brasilianische Außenhandel stieg von 108 Milliarden Dollar (2002) auf 322 Milliarden Dollar (2016) und der Zufluss ausländischer Direktinvestitionen wuchs von 26 Milliarden Dollar (2002) auf 79 Milliarden (2016).

Andererseits bestehen rund 40 Prozent des brasilianischen Außenhandels, insbesondere der Industriegüter, aus innerbetrieblichem Handel, was bedeutet, dass der in Brasilien errichtete Industriepark in die weltweiten Produktionsketten der multinationen Mega-Konzerne integriert ist.

Im Fall der Primärgüter wie Soja und Eisenherz ist Brasilien bereits in die Produktionsketten integriert, selbst wenn man letztendlich am untersten Ende der Wertschöpfung dieser Ketten produziert. Das heißt, Brasilien exportiert Primärgüter, die in den Industriestaaten weiterverarbeitet werden und das Resultat dieser Weiterverarbeitung sind häufig Produkte, die von Brasilien wieder eingeführt werden, wie im Fall der importierten Stahlprodukte aus China.

Die Integration Brasiliens in die globalen Produktionsketten ergibt sich aus den Entscheidungen multinationaler Großkonzerne, die den verschiedenen Ländern unterschiedliche Stufen oder Segmente der Produktionsprozesse bestimmter Produkte zuweisen, entsprechend den Unterschieden bei den Investitionskosten, einschließlich Arbeitskosten, den Steuern und dem Vorhandensein von relativen Kredit- und Steuervorteilen, etc. sowie der geographischen Lage, wie im Fall Mexikos im Verhältnis zu den USA und der osteuropäischen Länder zu Deutschland.

Gewiss könnte Brasilien in Bezug auf die Lohnkosten, den Steuervergünstigungen oder den Umweltvorschriften nicht mit anderen Ländern, vor allem nicht mit den asiatischen Staaten, konkurrieren; es sei denn, es wird ein außerordentlicher Rückschlag im Arbeits- und Umweltrecht betrieben, für den es in der brasilianischen Gesellschaft keinerlei politische Unterstützung gibt.

Zweifellos werden die möglichen Resultate der Verhandlungen zwischen den USA und der EU und der Verhandlungen der Transpazifischen Partnerschaft Brasilien betreffen. Allerdings sorgt die unbestreitbare Tatsache, dass Brasilien keine Küste am Pazifischen Ozean besitzt, dafür, dass seine Beteiligung an den Verhandlungen um die Transpazifische Partnerschaft sehr schwer einzufordern ist. Zudem ist es unmöglich, als Nicht-Mitgliedstaat der EU (da es bekanntermaßen nicht auf diesem Kontinent liegt) oder als Nicht-Bundesstaat der USA an den Verhandlungen zwischen diesen beiden teilzunehmen, daher denkt auch niemand daran, Brasilien dazu einzuladen.

Ein Abkommen zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur

Schließlich verteidigen die Massenmedien, die Unternehmerverbände und die Ökonomen die Verhandlungen über ein Abkommen zwischen der EU und dem Mercosur als unverzichtbar für eine bessere Einbindung Brasiliens in die Weltwirtschaft, was laut diesen Spezialisten die Wiederherstellung hoher Wachstumsraten ermöglichen würde.

Es wäre also interessant, die möglichen Konsequenzen eines Abkommens zwischen der EU und dem Mercosur zu prüfen:

- Von einer gegenseitigen Aufhebung des größten Teils der Zölle, beispielsweise um 90 Prozent, würde die EU eher profitieren als Brasilien, da der durchschnittliche Zolltarif der Industriegüter in der EU (rund 4 Prozent) viel niedriger ist als der durchschnittliche im Mercosur (rund 12 Prozent); und das aktuelle Handelsdefizit Brasiliens bei Industriegütern mit Europa, das jetzt schon erheblich und chronisch ist, wird sich noch mehr verschärfen. Die Tatsache, dass man den Zeitraum der Aufhebung auf 15 Jahre festlegt, entkräftet dieses Argument nicht;

- Die Reduktion und mögliche Aufhebung der Importzölle des Mercosur (einschließlich Brasiliens) hätten keinerlei positiven Effekt auf das aktuelle technische Niveau der in Brasilien ansässigen Industrie, da allgemein bereits die Einfuhr von Kapitalgütern von Zöllen befreit ist, wenn es keine gleichwertigen auf nationaler Ebene gibt. Im Falle einer totalen Handelsliberalisierung würde sich das stark auf nationale oder ausländische, in Brasilien ansässige Industrieunternehmen auswirken, vielleicht sogar ihr Verschwinden verursachen.

- Da das durchschnittliche technologische Niveau der brasilianischen Industrie unter dem der EU-Industrie liegt, wäre sie nicht in der Lage, auf den europäischen Märkten oder selbst auf den Mercosur-Märkten mit den Exportprodukten der europäischen Industrie zu konkurrieren, die dann zollfrei sind;

- Einer der Anreize für die direkten Industrieinvestitionen Europas in den Mercosur-Ländern, wie die "Umgehung der Zollschranke", um auf dem internen Markt des Blocks zu produzieren und zu konkurrieren, würde nicht mehr bestehen;

- Folglich würde der Fluss ausländischer Direktinvestitionen in die Industrie des Mercosur (insbesondere in Brasilien und Argentinien) abnehmen, was sich negativ auf die Beschäftigung und auf das Gleichgewicht der Zahlungsbilanz selbst auswirken würde;

- Eine Folge der Aufhebung von Importzöllen für europäische Industriegüter wäre – wahrscheinlich in vielen Fällen – dass es lukrativer würde, auf den brasilianischen Markt zu exportieren, anstatt weiterhin hier zu produzieren, und so könnten die derzeitigen produktiven Investitionen wieder in ihren Herkunftsländern getätigt oder ihre im Mercosur bestehende Kapazität nicht erhöhen werden;

- Die Normen zu ausländischen Investitionen, geistigem Eigentum, Dienstleistungen, Staatskäufen und Handelsschutz wären für die multinationalen Mega-Konzerne noch vorteilhafter als sie es im Ergebnis der 1994 abgeschlossenen Uruguay-Runde geworden sind, die zur Schaffung der Welthandelsorganisation geführt hat;

- Die Möglichkeit, dass die Mercosur-Regierungen auf nationaler wie regionaler Ebene eine gemeinsame Industrie-, Handels-, und Technologiepolitik in die Tat umsetzen, wäre noch geringer. Wegen der, wie man unter Ökonomen sagt, noch größeren Einengung des policy space (gesetzlicher Handlungsspielraum für politische Maßnahmen), aufgrund der übernommenen Verpflichtungen in dem eventuellen Abkommen;

- Die Möglichkeit, nationale und regionale Vorzugsbehandlungen für die in den Mercosur-Ländern ansässigen Unternehmen in den Dienstleistungssektoren, bei Staatseinkäufen und in anderen Bereichen umzusetzen, würde verschwinden;

- Die Aufhebung der Industriezölle, die aus einem EU-Mercosur-Abkommen hervorgehen würden, würde den Vorzug beseitigen, den derzeit die im Mercosur ansässigen Unternehmen im Vergleich zu Konzernen, die außerhalb des Mercosur liegen, genießen. Infolgedessen würde der Mercosur, dessen Essenz der gemeinsame Außenzoll ist, für die europäischen Unternehmen aufhören zu existieren;

- Die Unterzeichnung eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und dem Mercosur, durch den europäische Unternehmen im Handel mit dem Mercosur (und mit dem Brasiliens) bevorzugt würden, würde zu einer unmittelbaren Anfrage unserer wichtigsten Handelspartner, nämlich China, die USA und Japan, führen, mit ihnen über ähnliche Abkommen zu verhandeln. Eine Ablehnung wäre praktisch unmöglich;

- Der gemeinsame Außenzoll, die Essenz einer Zollunion, der für die aus der EU stammenden Unternehmen nicht mehr bestünde, würde damit ebenso wenig für die USA, Japan, China und andere Länder gelten, was das Ende des Mercosur als Zollunion und als Entwicklungsinstrument bedeuten würde;

- Die Möglichkeit einer industriellen Entwicklung in Brasilien ausgehend von nationalen und durch in Brasilien ansässige ausländische Unternehmen wäre ebenfalls nicht mehr gegeben;

- Die Auswirkungen auf die Beschäftigung wären erheblich, mit schwerwiegenden sozialen Folgen für die Länder mit einem hohen Urbanisierungsgrad wie Argentinien oder Brasilien, da der Durchschnittslohn pro Arbeiter in der Industrie ein Vielfaches des Durchschnittslohns des Arbeiters in der Landwirtschaft und im Bergbau beträgt;

- Hinsichtlich des Handels mit Agrarerzeugnissen, der von der EU stark reguliert wird, da sie den Schutz der Landwirtschaft als eine strategische Frage ansieht, würde das Abkommen nicht zu einer allgemeinen Liberalisierung des Handels und des Zugangs für Agrarerzeugnisse aus dem Mercosur (und Brasilien) zu den europäischen Märkten führen;

- Die EU wäre nur bereit, dem Mercosur für ganz bestimmte Agrarerzeugnisse Einfuhrquoten und Zollfreiheit zu gewähren. Der Export dieser Güter würde jedoch nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der brasilianischen Einnahmen (und der anderen Mercosur-Staaten) führen;

- Den zugänglichen Informationen nach könnte der Umfang jeder dieser von der EU angebotenen Quoten sogar geringer ausfallen als der, in dem die Mercosur-Staaten aktuell exportieren;

- Dieses europäische Angebot würde, was die Exporterlöse angeht, im Prinzip nicht dem brasilianischen Staat zugutekommen. Denn die Ausfuhrmengen würden sich nicht erhöhen, während die Agrarexporteure nur unter der Annahme profitieren könnten, dass die von den Importeuren gezahlten Preise beibehalten werden.

Die mögliche Unterzeichnung eines Abkommens zwischen der EU und dem Mercosur würde zukünftige Verhandlungen um eine von der EU eventuell gewährte Vergrößerung der Importkontingente unmöglich machen, da die EU, nach der Beseitigung der Zölle für 90 Prozent der industriellen Zolltarifpositionen, ihr strategisches Ziel schon erreicht hätte: die Öffnung des brasilianischen Marktes (und des Mercosur-Marktes) für ihre Exporte, während sie zugleich die protektionistische Agrarpolitik und ihre subventionierte und ineffiziente Landwirtschaft beibehalten könnte.

Samuel Pinheiro Guimarães aus Brasilien ist Autor und war Diplomat der Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva

  • 1. Dem Wirtschaftsbündnis Gemeinsamer Markt des Südens (Mercosur) gehören Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela an. Venezuela nimmt an den Verhandlungen mit der EU nicht teil, da seine Stimmrechte seit August 2017 aufgehoben sind. Der Widerstand der sozialistischen Regierungen gegen das Freihandelsabkommen hatte sich wegen des Prinzips der Einstimmigkeit im Mercosur als Hindernis für die Bestrebungen der übrigen Mitgliedsländer erwiesen. Brasiliens Außenminister, Aloysio Nunes, räumte freimütig ein, dass die Suspendierung Venezuelas ihnen größeren Spielraum bei den Verhandlungen für das Abkommen mit der EU verschafft hat