Kleinbäuerliche Landwirtschaft als Alternative zum Agrobusiness

"Die Agrarreform heute und unsere Herausforderungen" ‒ ein Beitrag von La Via Campesina

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Logo des Weltverbandes der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern La Via Campesina
Logo des Weltverbandes der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern La Via Campesina

Gegenwärtig organisiert der Weltverband der Kleinbauern La Via Campesina (Der bäuerliche Weg) einen virtuellen Prozess zur politischen Schulung und Aktualisierung als Teil seiner Strategie zugunsten der Ernährungssouveränität.

João Pedro Stedile, Aktivist der brasilianischen Landlosenbewegung (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra, MST), hat die 2. Studie über Agrarfragen herausgegeben, in der er mehrere Elemente zur aktuellen Situation der Popularen Agrarreform im Kampf um Souveränität und Agrarökologie zusammengetragen hat und einige Herausforderungen für die Bewegung als Ganzes nennt.

Es ist sehr schwierig, eine Studie zu erstellen, die sich mit allen agrarischen Kämpfen in den Ländern und in der Welt befasst. Stedile schlägt einige Elemente vor, die die Mitgliedsorganisationen von La Via Campesina zusammenbringen und kennzeichnen und die an jede Kultur und jeden Kampf in den jeweiligen Gebieten angepasst werden können.

Am Beispiel der Realität Lateinamerikas merkt Stedile an, dass es in der gesamten südlichen Hemisphäre einen Streit über Landwirtschaft, Natur und Agrarproduktion gibt, der sich in drei Projekte gliedert: der althergebrachte Großgrundbesitz, Agroindustrie oder Agrobusiness und das Modell von La Via Campesina.

Der Streit um den Agrarsektor

Der althergebrachte Großgrundbesitz ist eine Form von Kapital, das aufs Land geht und versucht, sich die Verfügungsgewalt über die Güter der Natur anzueignen. Es stellt eine Bewegung dar, die Marx bereits für Europa als ursprüngliche Akkumulation beschrieben hatte. Im 20. Jahrhundert schrieb Rosa Luxemburg, wie sie Teil des kolonialen Kapitalismus war, der nach Asien, Afrika, Lateinamerika expandierte und dort diese Akkumulation der Naturgüter wiederholte.

In Brasilien beispielsweise, wo Nestlé einen großen Marktanteil bei Milch und Molkereiprodukten hält, beträgt die Gewinnrate 13 Prozent pro Jahr. Dies ist mehr oder weniger der durchschnittliche Wert im globalen Kapitalismus. Aber wenn Nestlé sich Trinkwasser aneignet, wie es Coca-Cola oder Pepsi tun, beträgt die Profitrate bis zu 400 Prozent. Es geht um diese Gier, sich das Wasser anzueignen, das heute Gold wert und ein endliches, aber eigenständiges Gut ist, um es auf dem Planeten zu transportieren. Und genau darum geht es bei diesem Projekt.

Widersprüche von Agroindustrie und Agrobusiness

Das Agroindustrie- oder Agrobusiness-Modell ist ein hochgradig konzentriertes Modell in der Hand weniger, vielleicht 50-60 Unternehmen. Sie gründen sich im Allgemeinen auf großen Agrarbetrieben, die ihre Produktionseinheiten ständig erweitern. Brasilien zum Beispiel ist der weltgrößte Produzent von Sojabohnen und Baumwolle1 Dieses Modell setzt intensiv Pestizide ein. Warum verwenden sie so viele Pestizide? Weil Pestizide die Arbeitskraft ersetzen. Der Großgrundbesitz will keine Landarbeiter, also ersetzt er sie durch das Gift, das die gesamte biologische Vielfalt zerstört.

Die Agroindustrie verdrängt die Kleinbäuerinnen und -bauern dauerhaft. Es gibt keine einzige Universität für Agrarökologie, die genau bemessen kann, wie viel Pestizide pro Hektar eingesetzt werden.

Ein weiterer Punkt ist, dass sie gentechnisch verändertes Saatgut als Mittel vertreiben, um das Saatgut zu dominieren und die Konzentration weiterzutreiben. "Hier in Brasilien hatten wir vor dem Agrobusiness 40 verschiedene Sojabohnensorten, die wir in jeder Region entwickelt haben. Jetzt haben wir zwei oder drei Sorten, die von Monsanto und Bayer kontrolliert werden. Sie nannten das Gift-tolerante Saatgut Roundup-Soja, weil es Monsantos Glyphosat namens Roundup widersteht. Transgenes Saatgut erhöht die Produktivität nicht, der einzige Nutzen besteht darin, dass es sich an Agrochemikalien anpasst", so Stedile.

Er fügt hinzu, dass dieses Modell auf der Produktion von Basisgütern für den Markt beruht. Der Widerspruch bestehe darin, dass sie sagen, sie produzieren Lebensmittel für die Welt, aber das sei eine Lüge, denn "was sie produzieren, sind Grundprodukte, aber sie nennen sie nicht einmal so, sie nennen sie Agrarprodukte, die weltweit standardisierte Produkte sind, die alle als gleich anerkennen. Soja ist überall auf der Welt dasselbe. Für Milch gilt das nicht, und sie haben Milchpulver hergestellt und es zu einer Ware gemacht, so dass es überall auf der Welt gleich ist", betonte er.

Grundlegende Merkmale unseres Projekts

Das kleinbäuerliche Projekt von La Via Campesina ist vielfältig, einige nennen es Familienlandwirtschaft, bäuerliche Landwirtschaft, Populare Agrarreform des Volkes (Reforma Agraria Popular), Integrale Agrarreform, Projekt zur Entwicklung der nachhaltigen Landwirtschaft, aber das alles sind verschiedene Bezeichnungen desselben Projekts.

Merkmale:

1. Es ist eine Landwirtschaft mit Familienarbeit.

2. Ihre Hauptfunktion besteht darin, Nahrungsmittel für die Familie zu produzieren und den Überschuss auf den Markt zu bringen – lokal, auf Märkte, institutionell an die Regierung oder an Bäuerinnen und Bauern, die in weiterverarbeitende Unternehmen integriert sind.

3. Sie schützt die Natur und schafft andere soziale Beziehungen.

Heute hat Covid-19 die Grenzen des kapitalistischen Systems klarer gemacht, nämlich dass es die grundlegenden Probleme der Arbeiterklasse nicht lösen kann. Der Kapitalismus ist zu einer Produktionsweise der Vergangenheit, der Rückständigkeit geworden, weil er keine Lösung für die Probleme der Menschen mehr bedeutet. Er ist kein Modell für die Zukunft und hat keine Perspektiven wie unser Modell.

Nirgendwo auf der Welt, weder in Europa noch in den USA. Der Kapitalismus hat das Problem der Arbeit nicht gelöst, und in den meisten kapitalistischen Ländern liegt die Arbeitslosenquote bei 40 Prozent. Der Kapitalismus garantiert keinen Wohnraum, kein Einkommen, keine Schulen, keinen Transport, und das Wenige, was vorhanden ist, ist in schlechtem Zustand.

So gewinnt das Projekt der kleinbäuerlichen Landwirtschaft angesichts dieser kapitalistischen Krise mehr Kraft und Protagonismus, was laut Stedile eine Reihe von Herausforderungen beinhaltet:

- Unsere Vorschläge müssen deutlich machen, dass wir über das Land hinaus die einzigen sind, die die Natur verteidigen. "Wir Bäuerinnen und Bauern müssen den Boden, die biologische Vielfalt, das Wasser schützen". Die Gesellschaft wird uns diese Aufgabe stellen. "Du hast das Land, aber du hast auch die Verpflichtung, dafür zu sorgen, denn die Natur dient dem Gemeinwohl".

- Früher dachten wir bei der Agrarreform nur daran, Land zu haben, aber jetzt müssen wir vorankommen, außer ein Ort zum Arbeiten zu sein, geht es darum, Nahrungsmittel für alle zu produzieren. Hierin besteht die Allianz mit dem Volk. "Wir haben uns zu einer gesunden Ernährung verpflichtet", fügt er hinzu.

- Nahrungsmittelsouveränität, um die Ernährung zu garantieren, und daher müssen die Organisationsformen darauf ausgerichtet sein, Nahrung für jedes Volk zu produzieren. Deshalb sollte nur mit Überschüssen gehandelt werden. Kein Land der Welt sollte seine Bevölkerung von der Produktion in anderen Ländern abhängig machen. "Die FAO tritt nur für Ernährungssicherheit ein, während aus unserer Sicht die Nahrungsmittelsouveränität an Raum und Stärke gewinnt".

- Agrarökologie ist der Ausweg, um massenhaft Nahrungsmittel herzustellen. Die Agrarökologie muss als die einzige produktive Matrix verteidigt werden, die für die Produktion gesunder Lebensmittel notwendig ist. Und die Agrarökologie braucht eine "Ehe" zwischen dem Wissen des Volkes, der Bauern und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Wir müssen vorankommen und die besten Techniken haben, die mit bäuerlicher Arbeit mehr produzieren. Das Thema der landwirtschaftlichen Mechanisierung hat ein großes Entwicklungsfeld, so Stedile.

- Die Entwicklung der genossenschaftlichen Agrarindustrie. Um Lebensmittel in die Städte zu bringen, um Winter- oder Sommer-Nahrungsmitteln zu lagern, dafür ist die Agrarindustrie von grundlegender Bedeutung. Das Problem ist, dass heute die großen Monopole die Industrien besitzen und den Markt kontrollieren. Wir müssen kooperative Agrarunternehmen entwickeln.

- Der Staat muss seine Funktion ändern. Wir sollten keine anarchistische Ansicht vertreten, dass der Staat kapitalistisch, bürgerlich ist: "Wir dienen nicht dem bürgerlichen Staat, aber wir brauchen einen demokratischen und popularen Staat. Wir dürfen nicht die anarchistische Auffassung vertreten, dass jede bäuerliche Bevölkerung die Probleme auf ihre Weise löst. Wir brauchen staatliche Politiken für die Entwicklung, für die Produktion, für den Kauf von Lebensmitteln, für alles, was sich auf die öffentliche Politik bezieht, so dass der Staat die Verwaltung, die Steuerung innehat.

- Agrarforschung. Wir müssen mehr Energie in die Entwicklung der Forschung stecken, die die Bäuerinnen und Bauern brauchen. Forschung im Dienste der Bäuerinnen und Bauern.

- Bildung auf dem Land. Nur Wissen befreit die Menschen wirklich. Wissen kommt aus der Schule, auch aus der Familie, aus der Gemeinschaft, aber die Systematisierung des Wissens kommt aus der Schule. Und deshalb müssen wir zur Schule gehen – von der Grund-, über die Mittel-, Fach- bis zur Hochschulebene. "Kuba lehrt uns: Der Bauer oder die Bäuerin geht an die Universität um das Land umzugestalten, mit der Forschung, mit denen, die etwas von Informatik und Maschinen verstehen, um das Land und die Produktion mit Wissen zu transformieren“.

Schließlich kommt João Pedro Stedile zu dem Schluss, dass, obwohl wir mitten in einem großen Kampf gegen die transnationalen Konzerne stehen, "der Kapitalismus zurückgeblieben ist, denn um gesunde Lebensmittel zu produzieren, wird bäuerliche Arbeitskraft gebraucht, die die Natur respektiert. Das Kapital hat weder Respekt noch Arbeitskraft, lasst uns vorwärts gehen, die Zukunft gehört uns".

La Via Campesina

27. August 2020

  • 1. Anm. d. Red.: Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) betrug die Anbaufläche für Soja in Brasilien im Jahr 2018 34,772 Millionen Hektar, für Baumwolle im Jahr 2019 rund 1,7 Millionen Hektar