"Es bleibt unsere wichtigste Initiative, sie signalisiert einen totalen Bruch mit der Vergangenheit." Diese Worte wählte Ecuadors Präsident Rafael Correa im März dieses Jahres, in einer Rede über das Projekt Yasuní-ITT. Correa, dem die Kritiker immer wieder vorwerfen, er verfolge ein Modell traditioneller Entwicklung über den Export von Rohstoffen ohne dabei die Folgen für Mensch und Natur zu bedenken, hat damit den Kern getroffen. Die Initiative, das Erdöl im Yasuní-Nationalpark nicht zu fördern, sondern es im Boden zu lassen und dafür die Hälfte des zu erwartenden Erlöses von der internationalen Gemeinschaft ausbezahlt zu bekommen, signalisiert in der Tat einen Bruch mit der Vergangenheit.
Es ist ein Signal, das in eine Richtung weist, das gewissermaßen als Umschlagpunkt zwischen traditioneller ökonomischer Entwicklung und einer neuen, nachhaltigen Entwicklung im Sinne des "guten Lebens" verstanden werden kann, wie es auch als indigenes Prinzip in die Verfassung geschrieben worden ist. Eine Regierung, die den Schutz der Umwelt – der in Ecuador immerhin ebenfalls Verfassungsrang hat – höher stellt als mögliche Einnahmen aus dem Verkauf des Erdöls, die zeigt, dass sie es ernst meint mit der Politik einer alternativen Entwicklung. Schließlich verzichtet die Regierung Correa durch die Vereinbarung mit den Vereinten Nationen auch auf die alleinige Kontrolle über die Einnahmen aus der Vermarktung des Öls. Das Geld, das zur Kompensation des Einnahmeausfalls gezahlt wird, geht schließlich an einen UN-Treuhandfonds, der ausschließlich für Umweltprojekte genutzt werden soll – wofür es im ökologisch vielfältigen und artenreichen Ecuador bei der großen Umweltverschmutzung durch die derzeitige Ölförderung sicherlich auch genügend Einsatzmöglichkeiten gibt.
Die Unterzeichnung der Yasuní-Initiative durch die ecuadorianische Regierung markiert also einen wichtigen Meilenstein der Bürgerrevolution des Landes. Natürlich sind damit die Probleme nicht vom Tisch, die verschiedenen Konflikte keinesfalls gelöst. Der Streit um das Wasser, dessen schleichende Privatisierung und damit verbunden dessen Knappheit an der Küste die die indigene Bewegung beispielsweise kritisiert oder auch weitere Konflikte um ökonomische Entwicklung gerade in indigenen Gebieten sind durch das Signal, das Yasuní-ITT bietet, natürlich nicht beendet. Aber die Zustimmung zu dem Projekt signalisiert den verschiedenen Organisationen im Land, dass die Regierung willens ist, neue Wege zu gehen. Dass sie dazu von der Mehrheit der Bevölkerung gedrängt wurde, die nach Umfragen zu urteilen das Vorhaben der unterstützten, zeigt zudem, dass auch Projekte positiv durch die Bewegung vorangetrieben werden können und diese nicht bei der Ablehnung der Regierungspolitik stehen bleiben muss.
Gerade die zersplitterten sozialen Bewegungen in Ecuador haben seit dem Amtsantritt von Präsident Correa 2007 immer wieder im Sinne der jeweils partiellen Interessen ihrer Unterstützer agiert und auf bestimmten Feldern gegen die Politik der Regierung agiert. Ein Erfolg wie die Unterzeichnung von Yasuní-ITT sollte klar machen, dass es sich lohnt, für neue Initiativen im Sinne einer neuen Entwicklung zu kämpfen, dass es möglich ist, die Regierung der Bürgerrevolution weg vom Kapital auf die Seite des Volkes zu ziehen und dass die Kämpfe eben auch mit der Regierung auszutragen sind. Dies könnte gerade auch für die von Correa angestrebten neuen Basisorganisationen ein deutlichen Zeichen sein, dass es in Ecuador den Aufbau eines ähnlichen Protagonismus, einer Protektion von Basisorganisierung geben kann, wie sie in Venezuela seit Jahren bereits konkrete Praxis ist. Denn für die Ausgestaltung einer wirklich anderen Gesellschaft ist es nötig, dass sich die Menschen selber als Teil des Prozesses begreifen.
Für die Regierung bedeutet dieses Signal, dass sie jetzt erst recht in der Pflicht ist. Einige Skeptiker befürchten nun schon, dass die ausbleibenden Einnahmen aus dem Yasuní-Öl nun anderswo herkommen sollen, dass also die Ölförderung an anderen Orten vorangetrieben werden wird. Das ist sicherlich möglich und auch nur dann schädlich, wenn die Prinzipien des Umweltschutzes und des Schutzes der ansässigen Bevölkerung übergangen werden, wie dies im Falle einer Förderung im Yasuní-Nationalpark der Fall gewesen wäre. Eines sollte klar sein: Ecuador kann es sich wie auch Venezuela in der derzeitigen Situation und der Abhängigkeit vom Weltmarkt nicht leisten, auf die Förderung von Öl zu verzichten. Allerdings müssen die vielerorts maroden Förder- und Transportanlagen dringend modernisiert werden, damit zum einen nicht weiter stetig die Umwelt geschädigt wird und zum anderen nicht so viel Öl bei Förderung und Transport verloren geht. Werden diese Probleme angegangen, kann der Einsatz von Öl für den Aufbau einer neuen Politik, wie ihn Venezuela vorantreibt, durchaus sinnvoll sein.
Blicken wir zum Abschluss nach Deutschland. Die Solidaritätsbewegung hierzulande protestierte Anfang des Jahres, als Correa die Verhandlungen über die Initiative für gescheitert erklärte. Dass er dabei kritisierte, dass die internationale Gemeinschaft bei den Verhandlungen die Souveränität seines Landes in Frage stellte, fiel dabei unter den Tisch. Sicher war die starke Rhetorik des Präsidenten ein Grund dafür. Sie sollte die Bewegung hierzulande aber nicht davon ablenken, genauer hinzusehen. Dass wenige Wochen nach der Erklärung Correas ein neuer Anlauf zu Verhandlungen unternommen wurde, zeigt eben, dass der Aufschrei verfrüht, eine nüchterne Analyse der Umstände sinnvoll gewesen wäre. Das soll nicht heißen, dass die Politik der Regierung Correa nicht kritisiert werden sollte. Aber die Kritiker sollten dabei auch ihren Standpunkt hinterfragen und die Konsequenzen der Kritik, die Alternativen zur jetzigen Regierung bedenken.
Eine weitere Aufgabe der Bewegung hierzulande wird es nun sein, sich die Reaktion der Bundesregierung genau anzuschauen. Diese unterstützte bislang. Jetzt gilt es, die Zahlungen auch wirklich zu leisten und einen Teil der insgesamt anvisierten 3,6 Milliarden US-Dollar beizusteuern, damit aus der Absicht schließlich Realität wird. Denn trotz Unterzeichnung ist klar: Wenn die internationale Gemeinschaft nicht zahlt, wird Ecuador das Öl fördern. Deswegen muss die Bundesregierung zur Zahlung aufgefordert werden, der Staatsbesuch von Rafael Correa im November in Deutschland bietet hierfür den richtigen Rahmen. Sollte die Bundesregierung ihre Versprechungen wahr machen, dann sollte insbesondere die damit verbundene Propaganda genau beobachtet werden. Schließlich besteht immer die Gefahr, dass sich die Regierung quasi von Umweltsünden hierzulande – man denke nur an die geplante Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke – freikaufen will. Nach der berechtigten Freude über die Entwicklung um Yasuní-ITT gibt es weiterhin viel zu tun. In Lateinamerika und hierzulande.