ProMosaik e. V. im Gespräch mit amerika21

Unser Redakteur Harald Neuber über die Arbeit des Portals, alternativen Journalismus und die Bedeutung von Kapitalismuskritik

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Correa im Gespräch Harald Neuber
Präsident Correa im Gespräch mit amerika21.de-Redakteur Harald Neuber

Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie wichtig ist heute in Europa eine deutschsprachige, professionelle Berichterstattung über Lateinamerika?

Harald Neuber: Lateinamerika hat in der deutschen Presselandschaft in den vergangenen Jahrzehnten ja verschiedene Phasen durchlaufen. Seit den 1950er Jahren waren lateinamerikanische Staaten vor allem Handelspartner, später gab es die großen politischen Konflikte und die blutige Zeit der Diktaturen. Damit nahm auch das Interesse zu, weil es eine Solidaritätsbewegung mit den Widerstandsbewegungen gab und weil westdeutsche Unternehmen und die damalige BRD an Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren. Nachdem das Thema Lateinamerika später weitgehend aus den Medien verschwunden ist, bekam es am Ende der 1990er Jahre mit dem Aufstieg linker Reformregierungen wieder mehr mediale Aufmerksamkeit. Aber wie? Besonders im Fall von Venezuela lässt sich nachweisen, wie Vieles einfach nicht oder sogar falsch berichtet wurde. Der Ursprung des Chavismus ...

... benannt nach dem 2013 verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez.

Ja, diese Bewegung konnten Konsumenten deutscher Medien lange gar nicht verstehen. Da hieß es lediglich, Chávez sei ein ehemaliger Militär, dass er "umstritten" sei und die Kritik an ihm zunehme. Was es mit der Bewegung auf sich hatte, die ihn hervorbrachte und dass die Regierung Chávez von einer breiten Bevölkerungsmehrheit getragen wurde, das wurde völlig ausgeblendet. Andere Dinge wurden schlicht falsch dargestellt. Das nahm irgendwann richtig skurrile Züge an: Während Chávez in Venezuela ein Dutzend Wahlen gewann, war hier – vor allem in Medien des Springer-Verlags – vom "Diktator" die Rede.

Vor diesem Hintergrund hat sich damals amerika21 gegründet. Es ging darum, Hintergründe über das Geschehen aus Lateinamerika auf Deutsch und in möglichst professioneller Form zu bieten. Uns ging es darum, zu berichten, welche Debatten in Lateinamerika selbst laufen, wie dort diskutiert wird.

Dr. phil. Milena Rampoldi: Um welche Hauptthemen dreht sich Ihre Arbeit?

Harald Neuber: Venezuela stand zunächst im Zentrum. Dann kamen mit neuen Autorinnen und Autoren auch neue Themen dazu. Kuba, Bolivien, Ecuador. Auf der einen Seite schauen wir auf die progressiven Regierungen, die, etwa im Fall von Ecuador oder Argentinien, durchaus auch Lösungskonzepte für die Eurokrise bieten. Auf der anderen Seite sind uns Basisbewegungen wichtig, die für Menschenrechte kämpfen und dabei in Staaten wie Mexiko und Kolumbien – übrigens zwei enge Handelspartner Deutschlands – täglich ihr Leben riskieren.

Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie wichtig ist heute die Kritik am Neoliberalismus und am US-Neoimperialismus für die Entwicklung Lateinamerikas?

Harald Neuber: Beide kritischen Diskurse waren für die Integrationsbewegung der vergangenen Jahre sehr wichtig. Wobei die Auseinandersetzung mit dem US-Imperialismus in Lateinamerika und der Karibik schon eine viel längere Geschichte hat. Der Neoliberalismus war nach Lateinamerika sozusagen auf den Spitzen der Bajonette der Pinochet-Soldaten importiert worden. Nach dem blutigen Putsch gegen die demokratisch gewählte Regierung von Präsident Salvador Allende am 11. September 1973 wurde die neoliberale Misswirtschaft in Chile brutal durchgesetzt. Es folgten andere Staaten, immer begleitet von einer autoritären bis diktatorischen Politik gegenüber der Arbeiterschaft. Die neuen progressiven Regierungen sind die Gegenbewegung: Sie gingen ausnahmslos aus der kritischen Auseinandersetzung mit dem Neoliberalismus hervor.

Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie würden Sie unseren Leserinnen und Lesern die Bedeutung einer gesunden Kapitalismuskritik erklären?

Harald Neuber: Ich denke, dass wir vor allem in Deutschland – einem Gewinner der Eurokrise – über den Tellerrand hinausschauen müssen. Deutschland hat in den vergangenen Jahren an der Verelendung in Südeuropa verdient. Zugleich exportieren deutsche Waffenschmieden so viele Rüstungsgüter wie nie zuvor in alle Welt. In Lateinamerika sind deutsche Unternehmen an der rücksichtslosen Ausbeutung von Bodenschätzen beteiligt, während ein Transfer von Technik und Know-how verhindert wird. Diese Mechanismen aufzuzeigen, ist auch die Aufgabe eines alternativen Journalismus, der also nicht hiesigen Staatsinteressen dient, sondern Missstände hinterfragt und Zusammenhänge erklärt. Gerade in Lateinamerika zeigt sich, dass die bestehenden sozialen Probleme mehrheitlich auf die Art zu wirtschaften zurückgehen und darauf, dass das kapitalistische Wirtschaftssystem die Lebensgrundlagen vieler Menchen zerstört.

Dr. phil. Milena Rampoldi: Was hat Ihr Portal schon erreicht und was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Harald Neuber: Amerika21 ist in den vergangenen Jahren stärker gewachsen, als wir es uns vorgestellt hätten. Ich muss dazu sagen, dass das Portal als locker bestückter Blog von zwei Kollegen und mir begonnen hat. Heute schreiben mehrere Dutzend Journalistinnen und Journalisten für amerika21. Viele befinden sich in Lateinamerika, was uns sehr wichtig ist. Es gibt ein Redaktionsteam, das die Arbeit koordiniert und ein Lektorenteam. Mehrere Kunden in Politik, Diplomatie und im NGO-Spektrum haben das Nachrichtenangebot von amerika21 abonniert, Dutzende Spender unterstützen uns. Aber die Arbeit ist weitgehend ehrenamtlich. Wir können es allerdings inzwischen leisten, zumindest eine kleine Aufwandsentschädigung für die ständigen Mitarbeiter zu bezahlen, die ja ständig neue Autoren ausbilden. Deswegen brauchen wir weiterhin neue Abokunden und Unterstützer.

Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie wichtig sind heute die sozialen Medien für Presseportale und politisch aktive Vereine?

Harald Neuber: Wer die Menschen erreichen will, kommt ohne die sozialen Netzwerke nicht mehr aus. Diese Erkenntnis hat sich bei uns im Team von amerika21 schnell eingestellt. Im Hintergrund arbeitet deswegen ein Team, um täglich die Inhalte über die größten sozialen Netzwerke zu verbreiten. Unter Ziel ist schließlich nicht, für eine kleine, begrenzte Community zu schreiben. Wir wollen authentische Informationen aus Lateinamerika weit verbreiten, um auf den politisch-medialen Diskurs zu Lateinamerika Einfluss zu nehmen. Das gelingt immer öfter, eben gerade auch durch eine konsequente Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.