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"Simón Trinidads Stimme ist wichtig für den Friedensprozess in Kolumbien"

Interview mit Mark Burton, dem Anwalt des in den USA inhaftierten ehemaligen Farc-EP-Mitglieds Simón Trinidad. Komitee zur Freilassung von Simón Trinidad in Deutschland gegründet

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Eine internationale Kampagne fordert die Freilassung von Simón Trinidad, dem früheren Mitglied der Guerilla Farc-EP, in Haft in den USA seit 2004
Eine internationale Kampagne fordert die Freilassung von Simón Trinidad, dem früheren Mitglied der Guerilla Farc-EP, in Haft in den USA seit 2004

Simón Trinidad wurde am 31. Dezember 2004 an die USA ausgeliefert und dort zu 60 Jahren Haft verurteilt. Er wurde Opfer eines Justizkomplotts, der mit gekauften Zeugen und manipulierten Beweisen geführt wurde. Mark Burton, der Anwalt des ehemaligen Farc-EP-Kämpfers, ist Menschenrechtsverteidiger und Mitglied der Leitung des Nationalen Friedensausschusses der USA. Außerdem begleitete er als juristischer Berater den kolumbianischen Friedensprozess in Havanna und engagiert sich aktuell für die Aufhebung des US- Boykotts gegen Venezuela. (Colombia Informa)

Wer ist Simón Trinidad?

Das ist eine etwas schwierige Frage, weil er viele Dinge zugleich ist. Als Erstes muss man wissen, dass er aus der kolumbianischen Oberschicht kommt, d.h. den ersten Teil seines Lebens hat er relativ privilegiert verbracht.

Trotzdem hatte er immer auch die ärmeren Schichten im Blick: die Bauern, die Arbeiter. Für mich ist er eine Kämpfernatur. Er hat klare Ideen und gab für sie alles. Er ist ein freundlicher, offener Mensch. Er ist zwar mein Mandant, aber ich sehe ihn auch als meinen Freund.

Es gibt einige die sich mit Simón Trinidad befassen. Jorge Enrique Botero, einer der Gründer von Telesur, hat z.B. seine Biografie geschrieben. Das Buch heißt: „Simón Trinidad der Mann aus Eisen“. Warum möchten Menschen aus verschiedenen sozialen Sektoren in Kolumbien aufmerksam machen auf Simón Trinidad?

Botero ist ein sehr guter kolumbianischer Journalist, ein Chronist des Bürgerkrieges und des bewaffneten Kampfes. Er hat sehr viele Dokumentarfilme und Artikel zu diesem Thema gemacht. Aber Botero hatte immer auch eine spezielle Beziehung zu Simón. Er hat seine Biografie geschrieben, kannte seine ganze Familie, ist immer noch ein Bewunderer von ihm und sorgt sich nach wie vor um seine Haftbedingungen und seine Freiheit.

Aber ehrlich gesagt, finde ich das nicht besonders außergewöhnlich. Sehr viele Menschen bewundern Simón. Ihn zu kennen, heißt ihn zu schätzen: Er ist intelligent, sehr menschlich und konsequent mit seinen politischen und sozialen Überzeugungen. Es gibt nicht viele Menschen wie ihn. Er ist ein Mensch, der auch durch den schlimmsten Knast der USA, nicht in die Knie gezwungen werden konnte. Kurz: Er ist ein Mensch, der wegen seiner Disziplin, seinen Idealen und seinem Charakter geschätzt wird.

Auf Ihrer ersten Reise nach Venezuela waren Sie sichtlich bewegt, als Sie die Haftbedingungen, das Leben und den Kampf von Simón Trinidad schilderten. Ich erinnere mich, dass jemand gesagt hat: "Simón Trinidad kann kein schlechter Mensch sein, wie könnte dieser sonst um ihn weinen!". Warum verteidigt ein US-Amerikaner einen Kolumbianer?

Naja, Traurigkeit und Tränen sind sehr komplexe Dinge. Das waren Tränen der Traurigkeit, weil er im Gefängnis sitzt, alleine in den USA, sehr weit weg von seinem Land, seiner Familie, seinen Freunden und seinem Leben. Aber auch Tränen der Frustration, weil er ein Mensch mit sehr vielen Fähigkeiten, Kenntnissen und Weisheit ist. Es ist frustrierend, dass er aus politischen Gründen im Gefängnis sitzt. Es waren aber auch Tränen der Wut. Weil das, was ihm passiert ist, so ungerecht und so abscheulich ist. Da haben sich Frustration, Traurigkeit und Wut bei mir vermengt.

Am 3. Mai 2019 haben Sie mit Walter Martínez im Telesur-Magazin "Dossier" über Simón Trinidad gesprochen. Sie beleuchteten vor allem den Komplott, den Álvaro Uribe und seinesgleichen gegen ihn geschmiedet hatten. Sie sagten auch, dass Sie Dokumente haben, die dies belegen könnten. Können Sie uns erzählen, wie all das angefangen hat?

Simón war Opfer sehr vieler Komplotte. Sowohl in Kolumbien als auch in den USA. Als Simon 1987 zur Farc-EP ging, war er als Professor und Intellektueller bekannt, nicht als ranghoher Guerillaführer. Aus allen Dokumenten des militärischen Geheimdienstes und der kolumbianischen Polizei geht das hervor: Er war ein Intellektueller. Aber Ende 1998 in den Friedensverhandlungen von Caguán verhandelte er für die Guerilla. Das war seiner Intelligenz, seinen Kenntnissen und seiner Bildung geschuldet.

Er begann, im Rampenlicht zu stehen. Er sprach mit der Regierung, mit Diplomaten aus anderen Ländern und auch mit der Presse. Er wurde bekannt. Als dann 2002 der Friedensprozess scheiterte, begann ein sehr schmutziger Krieg, einer der verbrannten Erde. Die Regierung Uribe wollte die Farc-EP vernichten, indem sie die einfachen Leute, die Bauern, also den Teil der Bevölkerung, der sie unterstütze, massakrierte. Das war ein von Clinton und Bush finanzierter Krieg gegen die kolumbianische Landbevölkerung.

Dieser Krieg war eine Hexenjagd gegen alle Kollaborateure der Guerilla im Allgemeinen und gegen Simón Trinidad im Besonderen. Man wollte ihn fertigmachen, weil er ein positives Bild der Farc-EP gezeigt hatte. Das Establishment begann Simón als großen Führer der Farc-EP darzustellen, als Mitglied des Zentralkomitees, um ihn wegen der Planung von Straftaten verfolgen zu können. Sie sagten, er sei ein Führer, der Kriegsverbrechen beging. Aber all das, ist eine Lüge. Uribe und seine Geheimdienste sagten z.B., er sei die Nummer 26 des Zentralkomitees, dabei hatte dieses zu der Zeit nur 25 Mitglieder.

Simón selbst hat gegen diese Behauptungen Einspruch eingelegt und hat damit auch Recht bekommen. Die Gerichte hatten bestätigt, dass er kein ranghoher Befehlshaber war. Als er aber am 1. Januar 2004 in Quito festgenommen wurde, änderte sich das. Dank Wikileaks wissen wir heute, dass am 4. Januar eine Mail vom damaligen US-Botschafter in Kolumbien nach Washington geschickt wurde. In dieser steht, dass Uribe Simón Trinidad an die USA ausliefern wollte, aber nicht die dafür nötigen rechtlichen Grundlagen hatte. Es gab keine Untersuchungen oder Anklagen gegen ihn.

Deswegen dachte sich Uribe die Geschichte mit den Kokainlieferungen in die USA aus, die Simón angeblich vom Caguán aus koordiniert haben soll. Dazu erfanden sie noch seine Beteiligung an der Gefangennahme der drei Amerikaner, womit er aber auch definitiv nichts zu tun hatte.

Danach kamen die Friedensgespräche von Havanna. Es war nicht möglich Simón an den Verhandlungstisch zu holen. Jetzt mit der aktuellen Verschärfung des Konfliktes, welche Möglichkeiten gibt es, Simón Trinidad zurück nach Kolumbien zu bringen?

Es war der Wunsch vieler Menschen, Simón bei den Friedensverhandlungen in Havanna zu sehen. Das hat nicht funktioniert. Nun sind es auch viele, die ihn gerne in Kolumbien haben würden. Das ist im Moment allerdings noch schwieriger geworden, da sich der Friedensprozess in ernsthaften Schwierigkeiten befindet.

Es gibt einen Teil der alten Farc-EP, die sich wiederbewaffnet haben und nicht mehr an den Friedensprozess glauben, weil es für sie keine Sicherheiten gibt. Die anderen setzten auf den Prozess und wollen mit legalen Mitteln kämpfen.

Trotz dieser schwierigen Lage ist es aber noch möglich, Simón in sein Land zurückzuholen. Was würden die Menschen sagen, wenn er nach Kolumbien zurückkäme? Sie würden wieder mehr Vertrauen in den Friedensprozess haben!

Es gibt mehrere Möglichkeiten, dies zu schaffen: Zwischen Kolumbien und den USA gibt es ein internationales Abkommen, die Beziehungen zwischen diesen beiden Ländern sind sehr gut, da könnte man bestimmt was machen. Außerdem wurden jetzt mehrere Verfahren gegen Simón in Kolumbien eröffnet, es wäre ein Leichtes ihn zurückzuverlangen.

Als ich in Kolumbien war, hatte ich keine Zweifel: Simóns Stimme ist wichtig für den Friedensprozess und die Wiedereingliederungsphase. Ich sprach mit der Wahrheitskommission und die brauchen ihn. Für sie ist Simón entscheidend, denn das Wissen, dass er hat, schuldet er seinem Volk, der Geschichte aber auch der Zukunft Kolumbiens. Ich traf mich außerdem mit Patricia Linares, der Präsidentin der Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (JEP) und auch sie möchte, dass Simón dort aussagt.

Aber ich habe meine Zweifel, dass die USA Simón einfach gehen lassen werden. D.h., wir werden hier in den USA einen Streit darüber führen müssen. Ich hatte z.B. um einen Besuch des kolumbianischen Anwalts Diego Martínez für Simón gebeten und das Gefängnis wies das Ersuchen ab.

Wir werden viel Einheit und Unterstützung für unsere Kampagne "Freiheit für Simón Trinidad" brauchen. Natürlich nicht nur für ihn, sondern auch für alle anderen politischen Gefangenen in Kolumbien. Nur die Solidarität und die Einheit aller bolivarianischen Kräfte können uns jetzt helfen.

Einige glauben, dass wenn sie sich solidarisch mit Simón erklären, dass sie dann in Verbindung gebracht werden mit der kolumbianischen Guerilla, mit dem Terrorismus und dem Drogenhandel. Man könnte denken Solidarität mit Simón zu bekunden, hieße auch für den bewaffneten Kampf und die neue Farc-EP "Segunda Marquetalia" zu sein. Wenn jemand nicht einverstanden ist mit dem bewaffneten Kampf oder dem Drogenhandel, wie könnte man dann Solidarität mit Simón Trinidad bekunden?

Natürlich gibt es Menschen, die Simón Trinidad als Symbol des bewaffneten Kampfes sehen. Aber dieses Bild ist längst nicht vollständig. Natürlich, zunächst war er Guerillero der Farc-EP, aber dank der Informationen, die aus Havanna kamen, war Uribes Propagandamaschinerie nicht mehr die einzige Stimme am Horizont. Man fing an, ihn auch als Symbol für andere Dinge zu sehen, wie etwa den kolumbianischen Frieden, soziale Gerechtigkeit etc. Es gibt auch viele, die sich an Simón als Professor für Ökonomie an der Universität Popular del Cesar erinnern. Als einen Fachmann für Agrarökonomie und anderes. Auch als jemanden, der schon von Jugend an für den Frieden war, z.B. als er mit Imelda Daza die Partei "Causa Común" gründete und sich später der "Unión Patriotica" anschloss. Nicht alle sehen ihn als Symbol des bewaffneten Kampfes, er ist ein Symbol für mehr. Klar Linke schätzen ihn besonders, aber andere sehen ihn auch als ein Symbol für Frieden, soziale Gerechtigkeit und Liebe zu seinem Land.

Die venezolanische Sängerin La Chiche Manaure schrieb das Stück "Simón Trinidad". Was glauben Sie, warum eine Venezolanerin ihm so eine Hommage macht?

Das Stück vergleicht ihn mit den Bergen Kolumbiens, mit etwas Starkem, Großem, Schönem. Es ist ein sehr weites Bild, aber danach heißt es, dass das Imperium, die USA, ihn eingesperrt haben und ihm, wie dem lateinamerikanischen Volk, die Träume stehlen. Es ist sehr poetisch. Für mich ist es aber keine Überraschung, dass eine venezolanische Sängerin einem Kolumbianer dieses Lied gewidmet hat, denn er ist ein Beispiel für Lateinamerika. Simón hatte ein privilegiertes Leben, aber er hat all das für den Kampf um soziale Gerechtigkeit und Souveränität seines Landes geopfert.

Deshalb sprechen die venezolanische Sängerin La Chiche Manaure, aber auch Poeten wie Marcos Ana, einer der ältesten politischen Gefangenen des Franquismus, über diesen lateinamerikanischen Patrioten. Er ist eine heroische Figur, jemand der uneigennützig für die Souveränität seiner Region kämpft.


Komitee zur Freilassung von Simón Trinidad in Deutschland gegründet

In Deutschland hat sich im letzten Jahr ein Komitee zur Freilassung von Simón Trinidad, revolutionärer kolumbianischer Gefangener der Farc-EP in den USA, gegründet. Ziel des Komitees und der internationalen Kampagne zur Freilassung von Simón Trinidad ist es, mittels Öffentlichkeitsarbeit über ihn persönlich, seinen Fall und seine derzeitige Situation aufzuklären sowie internationalen Druck aufzubauen. Das Komitee verfügt über einen Blog mit Informationen: https://simontrinidad.blackblogs.org/