Santiago de Chile. Die in Chile andauernden Bildungsproteste brachten am Dienstag allein in der Hauptstadt Santiago wieder mehr als 150.000 Menschen auf die Straße. Nach Angaben der Veranstalter waren 70.000 Polizisten im Einsatz. Die Präsidentin des Studierendenverbandes FECh, Camila Vallejo, sprach von einer halben Million Demonstrationsteilnehmern im ganzen Land. 300 Menschen wurden nach Regierungsangaben verhaftet.
Am Dienstagabend demonstrierten tausende chilenische Bürger wie auch schon am Donnerstag zuvor im ganzen Land. Bei den traditionellen Cacerolazos schlugen sie auf Töpfe und Pfannen, um ihrem Unmut gegen die Regierung Ausdruck zu verleihen. In Frankreich, Argentinien, Peru, der Schweiz und anderen Staaten gab es Solidaritätsdemonstrationen.
In der chilenischen Hafenstadt Valparaiso enttarnten Abgeordnete einen Zivilpolizisten als Agent Provocateur. Augenzeugen berichteten, der Vermummte habe inmitten einer friedlichen Demonstration Steine geworfen, danach sahen ihn die Abgeordneten in das Kongressgebäude flüchten. Polizeisprecher und Regierungsvertreter leugneten die Beteiligung von Zivilpolizisten an Gewalttaten. Die Opposition fordert eine Untersuchung des Falls.
Nach den Protesten am vergangenen Donnerstag haben einige Abgeordnete der Opposition indes Verfassungsbeschwerde gegen Innenminister Rodrigo Hinzpeter eingereicht. Er hatte die Demonstration verbieten lassen, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurde mit massiver Polizeigewalt begegnet. Nach offiziellen Angaben wurden seither insgesamt mehr als 800 Demonstranten verhaftet. Die politische Propaganda rechtsgerichteter Gruppierungen und Parteien gegen die Mobilisierung war derart aggressiv, dass auf Twitter Gewaltaufrufe gegen die Sprecherin Camila Vallejo gepostet wurden. Am Donnerstag schrieb eine leitende Angestellte des Kulturministerium auf Twitter über Vallejo: "Tötet die läufige Hündin, dann beruhigen sich die Rüden." Ein Unbekannter veröffentlichte zudem die Privatadresse der jungen Frau in dem Mikrobloggingdienst, welche danach zusammen mit weiteren Drohungen in weiteren sozialen Netzwerken kursierte.
Die neuesten Reformvorschläge der Regierung waren bereits am Freitag von den Studierenden- und Schülervereinigungen abgelehnt worden. Schülervertreter Rodrigo Rivera erklärt, die Vorschläge basierten weiterhin auf der gleichen marktorientierten Ideologie als Grundlage des Bildungssystems. Deshalb lehnten die Schüler und Studierenden sie ab. Sie fordern stattdessen eine Volksabstimmung. Die Regierung von Präsident Sebastián Piñera sei offenbar nicht in der Lage, auf ihre Forderungen adäquat zu antworten. Vertreter der Regierungsparteien äußerten sich deutlich ablehnend gegenüber dieser Forderung und verwiesen auf den Kongress als Entscheidungsinstanz für die Klärung von Problemen nationalen Interesses.
Die Durchführung eines Plebiszits würde eine Verfassungsreform erfordern, denn Volksbefragungen sind in der derzeitigen Verfassung Chiles nur für Entscheidungen auf kommunaler Ebene vorgesehen.