Chile / Politik

Chile unter Präsident Piñera: Nationaler Dialog oder Rechtsruck?

Bilanz einen Monat nach Übernahme der Amtsgeschäfte. Piñera widerruft Gesetze der Vorgängerregierung. Im Wahlkampf zugesagter Dialog findet kaum statt

26958970938_28c2ecfb36_k.jpg

Chiles Präsident Sebastian Piñera hat sich im ersten Monat seiner Amtsperiode bei einigen Themen bereits von der Vorgängerregierung distanziert
Chiles Präsident Sebastian Piñera hat sich im ersten Monat seiner Amtsperiode bei einigen Themen bereits von der Vorgängerregierung distanziert

Santiago. Nach einem Monat Regierungstätigkeit wird das Profil der neuen Rechtsregierung unter Präsident Sebastián Piñera immer deutlicher. Mehrere Gesetze der Vorgängerregierung wurden bereits rückgängig gemacht oder infrage gestellt. Schon während des Wahlkampfes wurden Piñera und seine Parteienkoalition nicht müde, die Politik der Regierung von Präsidentin Michelle Bachelet als "falsch" und "schlecht" zu bezeichnen. Er kündigte an, dies zu korrigieren und den "nationalen Dialog" zu fördern, um Chile wieder auf den "richtigen Weg" zu bringen.

Vor wenigen Tagen hat Piñera nun ein Gesetz zurückgezogen, das den politischen Gefangenen und Gefolterten der Pinochet-Diktatur (1973 ‒ 1990) eine einmalige Wiedergutmachung von drei Millionen Pesos (circa 4.100 Euro) zugestanden hätte. Die Begründung lautete schlicht, die Kosten dafür wären zu hoch. Ein Abgeordneter aus seiner Regierungskoalition hat dies als "das Ende von Bonuszahlungen an Terroristen" gefeiert und damit den Auszug großer Teile der Parlamentsabgeordneten aus dem Plenarsaal provoziert.

Während des Wahlkampfs hatte Piñera noch die im Land herrschende Vetternwirtschaft heftig kritisiert, letzte Woche dann aber seinen älteren Bruder Juan Pablo Bernardino zum Botschafter in Argentinien ernannt.

Per Dekret wird jetzt zudem Privatkliniken erlaubt, sich stellvertretend für alle bei ihnen angestellten Ärzte den gesetzlich erlaubten Schwangerschaftsabbrüchen aus "ethischen Gründen" zu widersetzen. Zusammen mit persönlichen Erklärungen einzelner Ärzte hat dies dazu geführt, dass die Frauen in Städten wie Osorno oder Vallenar keine ärztliche Betreuung diesbezüglich mehr erwarten können. Das chilenische Verfassungsgericht hatte im August 2017 grünes Licht für ein Gesetz zur therapeutischen Abtreibung gegeben, das am 3. August nach jahrelangen Debatten mehrheitlich im Kongress beschlossen worden war. Demnach ist ein Schwangerschaftsabbruch unter drei Bedingungen erlaubt: Wenn der Fötus nicht überlebensfähig, wenn das Leben der Mutter gefährdet und wenn die Schwangerschaft die Folge einer Vergewaltigung ist.

Zeitgleich mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts, Profite aus dem Betrieb privater Universitäten zu erlauben, kündigte die Regierung an, die private Zuzahlung durch Eltern zum Schulunterricht wieder zuzulassen. Die Vorgängerregierung hatte beides in dem von ihr verabschiedeten Gesetz ausdrücklich verboten und so eine alte Forderung der Schüler- und Studentenbewegung erfüllt.

Die von vielen Chilenen geforderte und von der Regierung Bachelet in Gang gebrachte Diskussion um eine neue demokratische Verfassung wird als nicht dringend abgetan und wohl in dieser Legislaturperiode kein Thema mehr sein. Die geltende Verfassung stammt noch aus der Zeit der Diktatur unter Augusto Pinochet, weist starke autokratische Züge auf, ist von fehlenden demokratischen Einflussmöglichkeiten bestimmt und begünstigt ein neoliberales Wirtschaftssystem.

Die neue Regierung will auch das eben erst erweiterte Parlament aus Kostengründen wieder verkleinern. Die Erweiterung von Parlament und Senat, zusammen mit einem neuen, proportionalen Wahlrecht hatte erstmals seit fast 30 Jahren wieder den Zugang von kleineren Parteien und Koalitionen ermöglicht.

Die erste Maßnahme, die die neue Regierung im schwelenden Konflikt mit den indigenen Mapuche im Süden Chiles traf, ist die Aufstellung einer "Territorialen Spezialeinheit" der Polizei und die Ankündigung einer Reform der Antiterrorgesetzgebung aus Pinochets Zeiten. Ein Dialog mit den Vertreten der verschiedenen Mapucheorganisationen scheint jedoch nicht vorgesehen.

Piñera hat außerdem höchst persönlich Kommissionen ins Leben gerufen, die ohne jede Bürger- oder Expertenbeteiligung am Parlament vorbei ihre Arbeit aufgenommen haben. Er hat dazu neben Politikern seines Regierungsblocks auch Vertreter der Opposition eingeladen, um sie so in seine Gesetzesvorhaben einzubinden und die fehlenden Parlamentsmehrheiten zu seinen Gunsten beeinflussen zu können.

Von einem breitangelegten Dialog ist momentan nicht viel zusehen. Piñera regiert hauptsächlich mit Präsidialdekreten, die keinerlei parlamentarischer Zustimmung bedürfen, durch die Zurücknahme ungeliebter Gesetze der Vorgängerregierung oder deren Einschränkung durch Verwaltungsakte.

Angesichts dieser Tatsachen formiert sich Widerstand. Am Freitag demonstrierten 100.000 Schüler und Studenten in der Hauptstadt Santiago und am Sonntag marschierten Zehntausende auf den Straßen der chilenischen Großstädte gegen das marode Rentensystem.