Deutschland will Rolle im Friedensprozess in Kolumbien einnehmen

Sonderbeauftragter von Außenminister Steinmeier legt Empfehlungen vor. Strukturelle Ursachen des Konfliktes bleiben unberücksichtigt

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Bauernaktivisten aus dem Cauca demonstrierten am 9. April dieses Jahres "Für Frieden mit sozialer Gerechtigkeit". Hunderttausende nahmen im ganzen Land am Friedensmarsch teil, der vom Linksbündnis "Marcha Patriotica", Gewerkschaften sowie verschiedenen sozialen und indigenen Bewegungen initiiert wurde
Bauernaktivisten aus dem Cauca demonstrierten am 9. April dieses Jahres "Für Frieden mit sozialer Gerechtigkeit". Hunderttausende nahmen im ganzen Land am Friedensmarsch teil, der vom Linksbündnis "Marcha Patriotica", Gewerkschaften sowie verschiedenen sozialen und indigenen Bewegungen initiiert wurde

Berlin/Bogotá. In seinem ersten Bericht als Sonderbeauftragter der Bundesregierung für den Friedensprozess verzeichnet der Grünen-Politiker Tom Koenigs eine mehrheitliche Zustimmung in der kolumbianischen Bevölkerung für eine Beilegung des internen kriegerischen Konflikts. Die Verhandlungen der Regierung von Präsident Juan Manuel Santos mit der Guerillabewegung Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (Farc) finden Unterstützung. Dennoch sei der Prozess weiterhin von Kräften bedroht, die er namentlich um den Ex-Präsidenten Álvaro Uribe ansiedelt. Ein weiteres Manko sei, dass die zweite Guerillaorganisation Kolumbiens, die Nationale Befreiungsarmee (ELN), bisher nicht in Friedensgespräche einbezogen worden sei.

Koenigs, menschenrechtspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, war im April dieses Jahres von Außenminister Frank-Walter Steinmeier zum Sonderbeauftragten ernannt worden. Nun hat der Grünen-Politiker seine ersten Schlussfolgerungen, die er bei seinen Besuchen in Bogotá gewonnen haben will, vorgestellt. Demnach galt es zunächst auf Seiten der kolumbianischen Regierung vorhandene "Befürchtungen der Einmischung" durch Deutschland in die Friedensgespräche in Havanna zu zerstreuen. Mit einem "klärenden Gespräch und Essen" der Außenminister der beiden Länder sei dies gelungen. Mögliche Vorbehalte oder Positionen der zweiten Partei der Friedensgespräche, der Farc, bezüglich der Rolle Deutschlands, sowie eine Berücksichtigung dieser, thematisiert der Bericht von Koenigs nicht.

In Kolumbien sei erst seit dem Handschlag zwischen Präsident Santos und dem Farc-Oberkommandierenden Timoleón Jiménez "mit dem Segen von Papst und Raúl Castro" von einem echten öffentlichen Friedensdialog zu reden. Die vorhergehenden Ergebnisse der Gespräche hätten "in der Öffentlichkeit kaum Vertiefung" gefunden, was die Akzeptanz geschmälert habe. Koenigs sieht hier Gefahren, da der Prozess nicht nur durch seine Gegner zum Scheitern gebracht werden könne, sondern auch durch mangelnde Teilnahme der Bevölkerung an der Diskussion und einer irgendwann fälligen Abstimmung über einen Friedensvertrag.

Die etwa seit drei Monaten erreichte Deeskalation von Kampfhandlungen des seit über 50 Jahren andauernden sozialen bewaffneten Konflikts in Kolumbien sowie die jüngst erreichte Einigung über Elemente einer Übergangsjustiz hätten die Gegner des Friedensprozesses in die Defensive gebracht, so Koenigs weiter. Der Grünen-Politiker würdigt an dieser Stelle den positiven Einfluss von Kuba, Norwegen, Venezuela und Chile, die garantierende und begleitende Funktionen für den Friedensprozess innehaben.

Die weiteren Empfehlungen des Sonderbeauftragten folgen erkennbar den Leitlinien deutscher Entwicklungspolitik, die die Struktur ungleichen Handels nicht thematisiert. Zwar deutet Koenigs in seinem Bericht an, dass "Nährstoff des kolumbianischen Binnenkonflikts" mit den "natürlichen Ressourcen und ihrer Nutzung" zu tun habe. Um sogleich zum Ergebnis zu kommen, dass "entscheidend für die Entwicklung von Demokratie und Frieden und für die Schaffung einer Friedenskultur … die Veränderung in den Köpfen" sei. Um dies zu erreichen folgt die einschlägige Liste von Begriffen des "Social engineering", welches den Nichtregierungsorganisationen das Feld übergibt.

Keinerlei Augenmerk richtet Koenigs auf die, neben den oligarchischen Besitzverhältnissen in Kolumbien, zweite Schlüsselfrage für den Frieden: Wie die politische Integration der Guerillakräfte von den Institutionen des Staates in sicheren Verhältnissen garantiert werden kann. Nach einem Friedensschluss 1984 als Versuch einer politischen Lösung des internen bewaffneten Konflikts in Kolumbien, sammelten sich die linken Kräfte des Landes in der Unión Patriótica (UP). In den folgenden Jahren bezahlte diese Partei ihre legale und parlamentarische Arbeit mit mehreren tausend ermordeten Mitgliedern. Hunderte mussten das Land verlassen. Todesschwadronen und paramilitärische Kräfte der Oligarchen richteten unter der Linken einen politischen Genozid an, wie es der Gerichtshof in Bogotá im Dezember 2012 anerkannte.