Buenos Aires/Esquel. Santiago Maldonado ist seit 19 Tagen verschwunden. Laut Zeugenaussagen wurde er zum letzten Mal am 1. August während des Angriffs der Gendarmerie auf die Mapuche-Gemeinde "Pu Lof en Resistencia" in der patagonischen Provinz Chubut gesehen. Die Gemeinde besetzt Land, das sich offiziell im Eigentum der italienischen Firma Benetton befindet.
Drei Zeugen gaben der Justiz gegenüber an, sie hätten beobachtet, wie Maldonado in Richtung eines nahe gelegenen Flusses geflohen sei und sich dort versteckt hielt. Danach hätten sie aus der Entfernung gesehen, wie eine Person, die Maldonado ähnlich sah, von Gendarmen verhaftet, gefesselt, geschlagen und auf einen LKW verladen wurde. Wenn auch diese Person von den Zeugen nicht mit letzter Gewissheit als Maldonado identifiziert werden konnte, so belegen deren Aussagen zumindest dessen Präsenz vor Ort zum Zeitpunkt des Angriffs. Da keine weitere Person der Gemeinde vermisst wird, liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei der verhafteten Person tatsächlich um Maldonado handelte.
Teile der Justiz und die Angehörigen Maldonados beklagen indes den mangelnden Einsatz der Behörden zur Aufklärung der Vorfälle. Die Bundespolizei, die mit der Spurensicherung beauftragt wurde, benötigte acht Tage, um jene drei Gendarmerie-Basen zu inspizieren, welche an der Operation beteiligt waren. In einem LKW konnten dennoch Haare, ein Seil sowie ein möglicher Blutfleck gefunden werden. Diese werden nun auf DNA-Spuren untersucht. Außerdem habe die Gendarmerie bislang noch keinen offiziellen Bericht über den Einsatz vorgelegt. Eine Liste mit den Namen der 130 an der Operation beteiligten Beamten sei erst zwei Wochen nach den Vorfällen an die Justiz übermittelt worden. Mittlerweile wurde auch Interpol in dem Fall hinzugezogen.
Die argentinische Innenministerin Patricia Bullrich qualifizierte in einer Stellungnahme gegenüber dem Bundessenat die Operation gegen die indigene Gemeinde vom 1. August als "erfolgreich". Zugleich unterstrich sie, es gebe keinerlei Indizien, dass die Gendarmerie in das Verschwinden von Santiago Maldonado verwickelt sei. Trotz der gegenteiligen Zeugenaussagen hatte sie zuvor bereits die Präsenz Maldonados vor Ort zum Zeitpunkt des Angriffes in Zweifel gezogen.
Der ebenso dem Regierungsbündnis Cambiemos des Staatspräsidenten Mauricio Macri angehörende Staatssekretär für Menschenrechte, Claudio Avruj, betonte, Maldonado werde lediglich als vermisst eingestuft, da es keine Hinweise auf ein gewaltsames Verschwindenlassen gebe.
Das Komitee gegen Verschwindenlassen von Personen der Vereinten Nationen forderte ebenso wie die Argentinische Bischofskonferenz in einer offiziellen Stellungnahme den argentinischen Staat auf, dringende Maßnahmen einzuleiten, um Santiago Maldonado aufzufinden. Auch die Interamerikanische Menschenrechtskommission erwägt derzeit konkrete Maßnahmen.
Die indigene Gemeinde Pu Lof en Resistencia hatte im Jahr 2015 Land besetzt, das sich im Besitz des italienischen Konzerns Benetton befindet. Ihrer Ansicht nach handelt es sich dabei jedoch um kommunitäre Territorien der Mapuche, welche illegal angeeignet worden seien. Benetton war Anfang der 1990er Jahre im Zuge des neoliberalen Ausverkaufs unter Präsident Carlos Menem zum größten Grundbesitzer in Argentinien aufgestiegen.
Die Gemeinde wurde bereits mehrfach zum Ziel staatlicher Repression. Die Attacke vom 1. August folgte einer Protestaktion der Organisation "Resistencia Ancestral Mapuche" (RAM) zur Forderung nach der Freilassung ihres derzeit in Haft befindlichen Anführers Facundo Jones Huala. Auch bei dieser Gelegenheit griffen Polizei und Gendarmerie die Demonstranten mit Gummigeschossen an und verletzten mehrere. Der Angriff vom 1. August auf die von mehreren Familien bewohnte Gemeinde steht im Zusammenhang mit diesen Auseinandersetzungen.
Die Repression in Chubut erfolgt in einem allgemeinen Klima der Verfolgung und der versuchten Kriminalisierung von sozialen Bewegungen in Argentinien seit dem Amtsantritt von Präsident Macri. Das nationale Sicherheitsministerium verfolgt seit Längerem die Absicht, die RAM als terroristische Vereinigung einstufen und verfolgen zu lassen, was jedoch vom Obersten Gerichtshof abgewiesen wurde.
In Argentinien nehmen indes die Proteste gegen die Regierung zu, die verantwortlich für das verschwinden Maldonados gemacht wird.