EU-Menschenrechtspreis an Regierungsgegner aus Venezuela fragwürdig

Sacharow-Preis an "demokratische Opposition" des Landes. Putschisten und Gewalttäter unter Geehrten. Linke im EU-Parlament will Zeremonie fernbleiben

leopoldo_lopez_antonio_ledezma_hausarrest_venzuela.jpg

Die Preisträger Leopoldo López (li.) und Antonio Ledezma stehen unter Hausarrest
Die Preisträger Leopoldo López (li.) und Antonio Ledezma stehen unter Hausarrest

Straßburg/Brüssel/Caracas. Die Verleihung des "Sacharow-Preises für geistige Freiheit" hat innerhalb und außerhalb des Europäischen Parlaments, in dessen Namen die Auszeichnung verliehen wird, geteilte Reaktionen hervorgerufen. Während Vertreter der europäischen Rechten und Regierungsgegner in Venezuela die Entscheidung der Konferenz der Präsidenten des Europaparlaments feierten, sorgte sie im Plenum des Hauses am Donnerstagnachmittag für Unmut. Die linke Fraktion GUE/NGL kündigte an, der Verleihung fernzubleiben. Der seit 1988 verliehene Menschenrechtspreis ist nach dem sowjetischen Physiker und Dissidenten Andrei Dmitrijewitsch Sacharow benannt.

Die Entscheidung war in diesem Jahr erneut mit den Stimmen der rechtskonservativen Parlamentsmehrheit zustande gekommen. Für die Verleihung an die "demokratische Opposition in Venezuela" stimmten die konservative EVP-Fraktion, die Liberalen und die rechtspopulistische ENF-Fraktion. Es gab aber auch Widerspruch. Französische Abgeordnete aus der Grünen-Fraktion warnten vor einer Polarisierung der Situation in Venezuela durch die Einmischung. Dadurch könne sich die ohnehin angespannte Lage weiter verschlechtern. Bei der Bekanntgabe der Preisträger reagierten einige der anwesenden Europaabgeordneten mit demonstrativem Gelächter, als EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani von einer "politisch neutralen" Ehrung sprach.

Tajani, Mitglied der Partei Forza Italia des ehemaligen italienischen Präsidenten Silvio Berlusconi, verteidigte die Wahl. Man bekräftige damit die "uneingeschränkte Unterstützung für die demokratisch gewählte Nationalversammlung in Venezuela. Dies ist auch ein Appell für einen friedlichen Übergang zur Demokratie, welchen die Menschen in Venezuela so verzweifelt fordern". Das Europäische Parlament wolle zudem seine Verbundenheit mit der venezolanischen Bevölkerung zum Ausdruck bringen und ihr Tribut zollen.

Konkret geht der Preis an den Präsidenten des oppositionell dominierten Parlaments, den Politiker Julio Borges von der rechtspopulistischen Partei Primero Justicia (Zuerst Gerechtigkeit, PJ). Namentlich erwähnt werden zudem eine Reihe inhaftierter Regierungsgegner, die vom Preisgremium als politische Gefangene bezeichnet werden. Einige dieser Namen riefen zum Teil heftige Kritik hervor:

  • Antonio Ledezma. Der ehemalige Bürgermeister des Großraums Caracas war mitverantwortlich für die militärische Niederschlagung sozialer Unruhen 1989. Bei dem sogenannten Caracazo kamen hunderte, wenn nicht tausende Menschen ums Leben. Ledezma steht derzeit unter Hausarrest und wartet auf den Prozess wegen Beteiligung an Putschvorbereitungen im Jahr 2015;
  • Leopoldo López. Der Politiker der rechtspopulistischen Partei Voluntad Popular (Volkswille) gehörte zu den aktiven Unterstützern eines blutigen Putschversuches im Jahr 2002 und nahm an der Entführung eines gewählten Ministers der Regierung von Ex-Präsident Hugo Chávez (1999-2013) teil. López verbüßt derzeit eine 14-jährige Haftstrafe wegen Anstachelung zu blutigen Unruhen im Jahr 2014. Das Oberste Gericht wandelte seine Haftstrafe am 8. Juli in einen Hausarrest um;
  • Lorent Saleh. Von den Befürwortern der Preisentscheidung in diesem Jahr als "Student und Aktivist" bezeichnet. Saleh wurde in Venezuela inhaftiert, nachdem er im Nachbarland Kolumbien Kontakte zu Neonazis und rechtsextremen Paramilitärs aufnahm, um in Venezuela einen bewaffneten Kampf zu beginnen. Saleh sorgte auch für Kontroversen, weil er Homosexualität und Pädophilie gleichsetzte.

Auf Anfrage von amerika21, ob es nach Meinung des Europäischen Parlaments auch eine undemokratische Opposition in Venezuela gebe, reagierte eine Sprecherin ausweichend: Parlamentspräsident Tajani habe sich mit dem Titel auf die "demokratisch gewählte Nationalversammlung" bezogen. Wer den Preis entgegennehme, wisse man noch nicht. Diese Frage dürfte das Europaparlament bis zur Verleihungsfeier am 13. Dezember noch beschäftigen, weil sich das Oppositionsbündnis Tisch der demokratischen Einheit (MUD) unlängst gespalten hat. Die Verleihung an ein bestimmtes Lager könnte die Kluft daher weiter vertiefen. Zudem haben sowohl die Partei Voluntad Popular von López als auch die Partei Primero Justicia, PJ von Borges in jüngster Zeit im Land an Rückhalt verloren. Sie waren maßgeblich beteiligt an der Organisation der Proteste gegen die Regierung Maduro von April bis August dieses Jahres , die mindestens 125 Menschenleben gefordert haben. Umfragen haben ergeben, dass 80 Prozent der Venezolaner die gewalttätigen Proteste von Teilen der Opposition ablehnen.

Borges rief als Reaktion auf die Preisverleihung zur Geschlossenheit der Oppositionsparteien auf.

Heftige Kritik an der Entscheidung der rechtskonservativen Parlamentsmehrheit kam von der linken Fraktion GUE/NGL. Die Verleihung "unterminiere nicht nur jedwede Chancen auf eine Dialog und Frieden" in Venezuela. Unter den Geehrten befänden sich auch Vertreter der extremen Rechten, die kein Interesse an der Wiederherstellung der Demokratie haben, heißt es in einem Statement. Es sei bedauerlich, dass durch die Entscheidung die ebenfalls nominierten Menschenrechtsverteidiger Dawit  Isaak (Eritrea) und Lolita Chavez (Guatemala) und andere leer ausgingen. Die Vertreter der GUE/NGL wollen der Verleihung am 13. Dezember aus Protest fernbleiben.