Waffengesetz in Brasilien wird früher gelockert, Angriffe auf Aktivisten

Designierter Präsident sieht Land im Krieg. Vize Mourão will Schusswaffen gegen Landlosenbewegung MST einsetzen

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In der Nacht auf Mittwoch griffen Unbekannte ein Camp der Landlosenbewegung MST in Ceará an und zündeten die Häuser an. 150 Familien befanden sich vor Ort.
In der Nacht auf Mittwoch griffen Unbekannte ein Camp der Landlosenbewegung MST in Ceará an und zündeten die Häuser an. 150 Familien befanden sich vor Ort.

Brasília. Der gewählte Präsident von Brasilien, Jair Bolsonaro, will die Liberalisierung des Waffengesetzes noch vor Amtsantritt 2019 durch das Parlament bringen. Die Gesetzesreform soll den Kauf und Besitz von Waffen erleichtern. "Jeder, der will, soll eine Waffe zu Hause haben, um die Integrität seiner Familie zu verteidigen", fordert Bolsonaro seit Langem. Angetrieben von seinem Wahlsieg plant der rechtsextreme Abgeordnete die umstrittene Reform im November vom Parlament beschließen zu lassen. Damit würde eines seiner wichtigsten Wahlkampfthemen noch vor Amtsantritt umgesetzt werden.

Die Reform sieht vor, dass Antragsteller den Zweck des Waffenbesitzes gegenüber der Polizei nicht mehr begründen müssen. Das Mindestalter beim Waffenkauf soll zudem von 25 auf 21 Jahre gesenkt werden. Zudem sollen auch Menschen mit Gerichtsverfahren und Vorstrafen Schusswaffen kaufen dürfen. Personen mit Verurteilungen aufgrund schwerer Gewalttaten wie Totschlag bleiben weiterhin ausgeschlossen.

Das Thema ist gesellschaftlich umstritten. Noch am Montag argumentierte Bolsonaro im TV-Interview, die Gewalt, die Brasilien derzeit durchlebe, verdeutliche die Notwendigkeit des Gesetzes. "Wir befinden uns im Krieg", sagte das zukünftige Staatsoberhaupt. Die Bevölkerung sieht das hingegen anders. Laut Umfrage des Forschungsinstituts Datafolha vom Wahlabend sind 55 Prozent der Bevölkerung für ein Verbot der Waffen, da diese eine Bedrohung darstellten. 41 Prozent halten den Waffenbesitz für ein Bürgerrecht.

Laut Bolsonaro würde der verbreitete Einsatz von Schusswaffen gegen Räuber und Diebe die Kriminalität senken. "Wenn man auf die Verbrecher schießt und einen erwischt und dafür nicht belangt wird, kannst du dir sicher sein, dass das die Gewalt im Land senken wird. Das Verbrechertum wird zurückgehen", zeigt sich der Hauptmann der Reserve im Fernsehen überzeugt. Dabei scheint er zu übersehen, dass auch der Gangster bewaffnet sein könnte.

Die Bewaffnung der Bevölkerung hält die Präsidentschaftskandidatin der Grünen, Marina Silva, für das schlimmste aller Projekte der designierten Rechtsregierung. "Nichts ist so besorgniserregend wie die Idee, die Bevölkerung glauben zu machen, dass sie das komplexe Problem der Gewalt durch Selbstjustiz lösen kann", so Silva gegenüber der Zeitung Valor Econômico.

Es mehren sich zudem die Anzeichen, dass Schusswaffen zukünftig vermehrt gegen Aktivisten eingesetzt werden. Am Montag hatte Bolsonaro angekündigt, jede Aktion der Landlosenbewegung MST und der Wohnungslosenbewegung MTST als Terrorismus einzustufen. "Das Privateigentum ist heilig und muss verteidigt werden können", so Bolsonaro. Sein Vize, der General a.D. Hamilton Mourão, forderte, "besonders auf dem Land sollte der Landeigentümer eine Waffe haben, um sich (gegen Eindringlinge) verteidigen zu können".

Die Botschaft kommt an. Landesweit häufen sich die Attacken auf Landlose und Indigene, die um Land kämpfen. Im Wochenverlauf kam es in den Bundesstaaten Mato Grosso do Sul und Ceará zu Attacken auf Camps der MST. Die Angreifer setzten jeweils Hütten der Bewohner in Brand. Wegen der Lebensgefahr ordneten lokale Behörden einen Angriff als Attentat ein. Bei einem Angriff auf eine Siedlung der Indigenen Guarani Kaiowá im selben Bundesstaat wurden 15 Personen von Gummigeschossen verletzt, darunter ein Kind. Im nordöstlichen Bundesstaat Pernambuco setzten Unbekannte die Schule und Krankenstation einer Siedlung der Pankaruru in Brand. Auch in Ceará wurde ein Camp der MST angegriffen. Bereits Mitte Oktober wurden an unterschiedlichen Orten drei Indigene von Großgrundbesitzern ermordet, berichtet die NGO Reporter Brasil.

Beflügelt durch den Wahlsieg Bolsonaro und den Rechtsruck bei den Kongresswahlen vom 7. Oktober gilt das Gesetz im ohnehin rechts dominierten Abgeordnetenhaus so gut wie beschlossen. Der rechtskonservative Parlamentspräsident und Verfechter des Gesetzes, Rodrigo Maia, soll die Abstimmung in Absprache mit Bolsonaro bereits vor den Präsidentschaftswahlen auf die Agenda gesetzt haben, berichtet der brasilianische Dienst der BBC. Maia will auch unter der neuen Regierung seinen Posten als Vorsitzender der Kammer behalten, heißt es weiter. Der Sonderausschuss hat das Gesetz bereits bewilligt. Mindestens elf der Ausschussmitglieder hatten ihre Wahlkämpfe nachweislich mit finanzieller Unterstützung der Waffenindustrie geführt.