Kolumbien: Tote bei Gefängnisaufständen wegen Coronavirus

Insassen der Haftanstalten fordern Schutz vor Coronavirus. Menschenrechtsverletzungen in Gefängnissen rufen Aufstände hervor

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Mit einer Plakatkampagne macht die landesweite Gefängnisbewegung seit Tagen auf die lebensbedrohliche Lage aufmerksam
Mit einer Plakatkampagne macht die landesweite Gefängnisbewegung seit Tagen auf die lebensbedrohliche Lage aufmerksam

Cali. Am Wochenende hat es Tote bei Protesten von Gefangenen in Kolumbien gegeben. Bisher ist eine lückenlose Aufklärung der Geschehnisse nicht möglich, da die Gefängnisverwaltung (INPEC) noch keine Informationen herausgibt. Medien berichten von mindestens 23 Toten, 83 Verwundeten, davon 32 schwer. Sie werden in Krankenhäusern behandelt. Die INPEC berichtet von sieben verletzten Wärtern, darunter zwei schwer.

Laut Augenzeugenberichten und Videos der Häftlinge kam es in 14 Justizvollzugsanstalten zu massiven Ausschreitungen, vor allem in den Gefängnissen von Bogotá, Boyacá, Antioquia, Jamundí und Ibagué. Dies sind die Gefängnisse mit Hochsicherheitstrakten. Die landesweite Gefängnisbewegung, die Staatsanwaltschaft und die Ombudsstelle fordern seit einigen Tagen, den Notstand in den Gefängnissen zu erklären.

Häftlinge in verschiedenen Gefängnissen begannen am Samstag einen Protest gegen unzureichende Maßnahmen gegen das Coronavirus innerhalb der Haftanstalten. Sie fordern Verbesserungen der Haftbedingungen, die Bereitstellung von ausreichend Wasser sowie Präventionsmaßnahmen und Versorgung mit Medikamenten, um wirksamen Schutz zu erreichen. Vor allem auch die inhaftieren Frauen in Bogotá und Jamundí protestierten mit einem Cazerolaco lautstark in ihren Zellen.

Am Abend begannen dann schwere Auseinandersetzungen, als Inhaftierte aus ihren Zellen ausbrachen, einige die Flucht versuchten, andere Zellenwände durchbrachen und sich gegen die Gefängnisverwaltung auflehnten. INPEC-Beamte, Wärter und Sicherheitspersonal versuchten die Aufstände unter Einsatz von massiver Gewalt und Gebrauch von Schusswaffen einzudämmen. Dabei kam es zu Massenpanik und Ausbruchversuchen. "Hier herrscht Krieg", erklärt ein Insasse der JVA Jamundí gegenüber amerika21: "Niemand interessiert sich für uns, sie lassen uns verrecken oder bringen uns direkt um."

Der Anwaltsverband Equipo Jurídico Pueblos gab derweil bekannt, dass schon vor dem Lärmprotest Polizei und Armee den Gefängniskomplex La Picota in Bogotá umzingelt hatten. Kurz nach Beginn der Proteste griffen die staatlichen Streitkräfte zu und überflogen mit Militärhubschaubern weitläufig die Region. Zudem seien viele Insassen mit Schusswaffen angeschossen worden. Unverhältnismäßig große Mengen Tränengas seien eingesetzt worden, was in geschlossenen Räumen verboten ist. Die meisten Gefangenen waren zu dem Zeitpunkt in ihren überfüllten und schlecht belüfteten Zellen eingesperrt.

Zwölf Stunden nach den Ereignissen tagte ein Sicherheitsrat, an dem verschiedene Ministerien, INPEC und Polizei teilnahmen. Danach berichtete die Justizministerin Margarita Cabello: "Es gab keine undichten Stellen oder Ausbrüche. Es gibt auch kein Gesundheitsproblem, das diese Unruhen rechtfertigt. Bis heute gibt es keine einzige Ansteckung mit dem Coronavirus."

Aus vielen Haftanstalten wird allerdings sowohl seitens der Inhaftierten als auch des Personals von Personen mit Symptomen berichtet. Tests werden nicht durchgeführt und sind bisher auch von der Gefängnisverwaltung nicht vorgesehen.

Solidaritätsgruppen erklärten in einem Kommuniqué am Sonntag: "In den kolumbianischen Gefängnissen kommt es zu massiven Menschenrechtsverletzungen, die Überbelegung liegt bei über 200 Prozent und die Gefängnisse verfügen nicht einmal über minimale Hygieneprotokolle, die zu dieser Zeit der Verbreitung des Sars-Cov-2-Virus erforderlich sind." Bereits seit zehn Tagen werden alle Besuche bei Gefangenen untersagt, angeblich um die Ansteckung zu verhindern. Jedoch unterliegt das Personal, das die Haftanstalten betritt und verlässt, keinerlei sanitären Maßnahmen.

Sonntagabend schien die Lage innerhalb der Anstalten unter Kontrolle. Familienangehörige und Freunde protestierten vor den Gefängnissen, um über den Zustand ihrer Angehörigen Informationen zu bekommen.