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Machtkampf in der Coronakrise in Brasilien

Brasilía. Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro fordert die "Rückkehr zur Normalität" und will dafür den Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta entlassen. Der bekommt Rückendeckung vom Militär. Das Gesundheitsministerium steht allerdings in Kritik wegen mangelnder Meldung von Corona-Fällen.

In der Polemik um die Maßnahmen gegen die Pandemie hat Bolsonaro den Gesundheitsminister Mandetta verbal angegriffen. Am Montag hieß es in Medienberichten, er werde Mandetta entlassen. An seine Stelle solle Osmar Terra rücken. Der Mediziner und Ex-Minister für Staatsbürgerschaft hatte sich, wie auch Bolsonaro, gegen eine strenge Quarantäne ausgesprochen und verkündet: "Ich bin überzeugt, dass eine obligatorische Quarantäne für Menschen außerhalb der Risikogruppen nicht die Ansteckungszahlen senkt, sondern sogar erhöht." Mandetta dagegen hatte Hilfe aus Kuba gefordert und die Ausgangssperre eingeführt.

Auf Druck des gemäßigteren Regierungsflügels, des Obersten Gerichts, einem Großteil der Gouverneure in den Bundesstaaten und des Militärs verwarf Bolsonaro wenige Stunden später seine Ankündigungen. Montagabend bestätigte Mandetta dann selbst in einer Pressekonferenz, er werde weiter im Amt bleiben: "Ein Arzt lässt seinen Patienten nicht im Stich und ich werde auch nicht gehen." Bolsonaro versucht vermutlich seine Autorität als Präsident zu behaupten: Bereits am Sonntag hatte er Regierungsmitgliedern mit Entlassung gedroht: "Keiner meiner Minister ist unkündbar." Während er in der Bevölkerung Unterstützung verliert, wird Mandetta beliebter. In einer Umfrage liegt Bolsonaro bei 33 Prozent Zustimmung und Mandetta bei 76.

Aus brasilianischen Städten und Bundesstaaten wird indes die Vermutung geäußert, dass dem Gesundheitsministerium zu wenig Fälle von Verdacht auf eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 gemeldet werden. Gesundheitsminister Mandetta hatte am 20. März angeordnet, alle Verdachtsfälle zu melden, unabhängig von der Schwere des Verlaufs der Krankheit.

Sollte die Ausbreitung tatsächlich bereits viel größer sein als bisher verzeichnet, erwarten viele Krankenhäuser, dass innerhalb weniger Wochen ein dramatischer Mangel an freien Plätzen auf den Intensivstationen entstehen wird. In einigen Bundesstaaten und Gemeinden wird von 30 oder mehr möglicherweise Infizierten nur ein Fall angezeigt.

Das Fehlen von Testkits sowie einer Verordnung des Gesundheitsministeriums zum Umgang mit Fällen, die als bestätigt oder verdächtig anzusehen sind, hat dazu geführt, dass viele Patienten nicht in die Statistik aufgenommen wurden, so die Brasilianische Gesellschaft für Medizin in Familie und Gesellschaft (SBMFC). In Ermangelung einer bundeseinheitlichen Anordnung haben sich die Ärzte von unterschiedlichen kommunalen oder bundesstaatlichen Anweisungen zur epidemiologischen Überwachung leiten lassen und zahlreiche Fälle nicht gemeldet.

Im Hauptstadt-Distrikt mussten zunächst nur sogenannte SARS-Fälle (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom) gemeldet werden. Seit 20. März sind nun sämtliche grippalen Infekte – darunter Symptome wie Fieber und Husten – meldepflichtig. Eine entsprechende neue Anweisung des Gesundheitsministeriums wurde nur per Whatsapp übermittelt, weshalb nicht alle Ärzte sie erfasst haben.

In der Hauptstadt des Bundesstaats Pernambuco, Recife, geschah dies genau umgekehrt. Bis zum 17. März lautete die Vorgabe, alle Fälle von grippalen Symptomen zu melden. Eine technische Anweisung vom 19. März schränkte dann jedoch die Meldepflicht auf solche mit schwerem akuten Atemwegssyndrom ein. Hier schätzt ein Hausarzt die Zahl der formellen Meldungen auf nur einen von 40 Verdachtsfällen. Ihm zufolge sind die Referenzkrankenhäuser der Stadt mit Intensivstations-Betten bereits am Limit belegt.

Auch in Rio de Janeiro würden einer Ärztin zufolge von 20 verdächtigen Patienten nur einer oder zwei an das bundesstaatliche Gesundheitsministerium gemeldet.

Im Bundesstaat São Paulo veröffentlichte das Gesundheitsministerium am 17. März im Amtsblatt eine Resolution, derzufolge leichtere Fälle nicht gemeldet werden sollten. Die einzelstaatlichen Leitlinien wurden seit dem 20. März nicht an die national verfügte strengere Meldepflicht angepasst.

Anfang März veröffentlichte das Bundesgesundheitsministerium das Protokoll zum klinischen Umgang mit dem Coronavirus in der Basisgesundheitsversorgung, das sich an Fachleute der Primärversorgung richtet. Nach mehreren Aktualisierungen müssen nun alle Fälle grippaler Symptome und des schweren akuten Atemwegssyndroms über ein elektronisches Meldesystem registriert werden.

Die SBMFC problematisierte: "Wenn das Protokoll nicht als offizielle Verordnung publiziert wird, erreicht es das medizinische Personal nicht. Es macht keinen Sinn, nur einen Link auf die Website des Ministeriums zu setzen oder die Verteilung über Whatsapp zu machen."