So reagieren Lateinamerikaner und Hispanics auf den Tod von George Floyd

Viele Anklagen zur Ungleichheit auf dem amerikanischen Kontinent und zu den "doppelten Standards" Washingtons in Menschenrechtsfragen

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Grafik des puertoricanischen Künstlers Kike Estrada
Grafik des puertoricanischen Künstlers Kike Estrada

Washington/Havanna et al. Der Tod des Afroamerikaners George Floyd während einer Polizeiaktion in der US-Großstadt Minneapolis hat auch in Lateinamerika und in der Latino-Community in den USA für Bestürzung und Wut gesorgt. Mehrere hochrangige Politiker aus Lateinamerika und der Karibik übten teils heftige Kritik an der US-Regierung und ihr nahestehenden Organisationen. Viele Stimmen in der Region machten auch auf die strukturellen Probleme des politischen und wirtschaftlichen Systems auf dem amerikanischen Kontinent aufmerksam.

Floyd war am 25. Mai in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota von einem weißen Polizisten in aller Öffentlichkeit auf der Straße fixiert und erstickt worden. Seither gehen in den ganzen USA Hunderttausende Menschen gegen rassistische Gewalt und den amtierenden Präsidenten Donald Trump auf die Straßen, auch weltweit sorgt der gewaltsame Tod Floyds für Proteste.

Der ehemalige Präsident von Bolivien (2006-2019), Evo Morales, griff auf Twitter den US-nahen Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), Luis Almagro, an. Almagro hülle sich nach der "schrecklichen Ermordung von George Floyd" in ein "komplizenhaftes Schweigen", so Morales, der im vergangenen November Opfer eines OAS- und US-gestützten Putsches wurde. "Wäre ein solches Verbrechen in einem Land begangen worden, das sich nicht an die Pläne Washingtons hält, hätten wir umgehend seine anprangernden Reden gehört", so Morales weiter. Dem OAS-Chef warf er "Scheinheiligkeit ohne Grenzen" vor.

Die kolumbianische Politikerin und Rechtsanwältin Piedad Córdoba fragte ebenfalls auf Twitter: "Hat [Kolumbiens] Präsident [Iván] Duque, der so vehement in Menschenrechtsfragen gegenüber Nachbarstaaten auftritt, die Geschehnisse in den Vereinigten Staaten schon verurteilt?"

Auch Ecuadors ehemaliger Präsident Rafael Correa (2007-2017) verwies auf die unterschiedliche Bewertung gesellschaftlicher Probleme. In den USA herrsche nach einer Woche Demonstrationen in 80 US-Städten mit Plünderungen, Bränden "und bedauerlicherweise drei Toten" Aufregung. In Ecuador seien unter der amtierenden Regierung im vergangenen Oktober 100.000 Menschen in der Hauptstadt Quito auf die Straße gegangen, es habe elf Tote, 1.300 Verletzte und 1.200 Inhaftierungen gegeben, so Correa.

Zwei große Selbsthilfeorganisationen in den USA, die Latinas und Latinos sowie ihre Familien dabei unterstützen, aktiv für ihre Interessen einzutreten, haben einen Aufruf veröffentlicht, in dem sie ihre Solidarität mit den afroamerikanischen Gemeinschaften erklären.

Communities Organizing Latinx Power and Action (Copal) und Alianza Americas fordern die "sofortige Verhaftung aller beteiligten Polizeibeamten, um den Erfolg der Ermittlungen zu gewährleisten". Beide Organisationen prangern jedoch auch den strukturellen Ausdruck der jüngsten Gewalttat gegen einen afroamerikanischen Menschen an. "Die Gewalt aus einer Ideologie der Überlegenheit heraus manifestiert sich in der Verweigerung von Möglichkeiten für Gesundheit, Bildung, Einwanderungsrechte und mangelnde wirtschaftliche Investitionen in den Gemeinschaften von Farbigen", so der Exekutivdirektor von Copal, Francisco Segovia.

Auch der international bekannte argentinische Soziologe und Politologe Atilio Borón erinnerte im Zusammenhang mit dem Fall Floyd an strukturelle Merkmale. So liege die Covid-19-Todesrate in den USA im Durchschnitt bei 322 pro eine Million Menschen, bei den Weißen bei 227, bei den Schwarzen bei 546, schrieb der Wissenschaftler auf seinem Twitter-Account über einer Grafik, die die aktuelle Polizeigewalt mit dem rassistischen Ku-Klux-Klan verbindet.

Eine der wenigen Stellungnahmen politisch führender Persönlichkeiten kommt aus Kuba. Der Außenminister der sozialistischen Republik, Bruno Rodríguez, postete mit dem Hashtag #BlackLivesMatter: "George Floyd 'verstarb' nicht. Er wurde brutal ermordet. Unglücklicherweise ist das für Afroamerikaner eine nur zu bekannte Geschichte. Er war unbewaffnet und rief 'Ich bekomme keine Luft', aber das reichte nicht, um das Unrecht zu verhindern."

Der argentinische Präsident Alberto Fernandez sagte am Dienstag, die Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt in den Vereinigten Staaten seien das Ergebnis von "Ungleichheit".

Die Regierung von Costa Rica sandte "eine Botschaft der Solidarität an die afroamerikanische Gemeinschaft angesichts des grausamen Mordes an dem Bürger George Floyd", der ein "Schlag gegen die höchsten Werte einer demokratischen Gesellschaft" sei, so eine Stellungnahme des Regierungsrats. Man unterstütze die Menschen, die "konsequent das Schweigen brechen", um das Recht auf ein menschenwürdiges Leben frei von Drohungen und Diskriminierung zu erreichen.

Der in Kuba ansässige Think Tank "Zentrum der Untersuchung der internationalen Politik" (Centro de Investigaciones de Política Internacional, CIPI) sammelt auf seinem Twitter-Account weitere lateinamerikanische Kommentare, aber auch Filmdokumente und aktuelle Informationen zum Beispiel zu Bewegungen der US-Truppen, die die Proteste der Bevölkerung in den großen Städten ins Visier nehmen könnten.

In Rio de Janeiro protestierten am Sonntag Menschen vor dem Guanabara-Palast, der Residenz des Gouverneurs des Bundesstaates. Als die Menge begann, "I Can't Breathe" zu skandieren, um auch gegen die Polizeibrutalität in Brasilien zu protestieren, trieb die Polizei in Kampfmontur die Menschen auseinander. In São Paulo, dem Finanzzentrum Brasiliens, äußerten Demonstrierende gegen Präsident Jair Bolsonaro Solidarität mit den Protesten in den USA.

Porträts von Floyd wurden am Zaun der US-Botschaft in Mexiko-Stadt aufgehängt, neben Blumen, Kerzen und Schildern mit der Aufschrift "Rassismus tötet, hier, dort und überall auf der Welt".

In der Innenstadt von Buenos Aires versammelte sich eine Menschenmenge und marschierte zur US-Handelskammer, um die Proteste in den USA zu unterstützen. Sie trugen Schilder mit der Aufschrift "Gerechtigkeit für George Floyd" und skandierten Parolen gegen US-Präsident Donald Trump.