Proteste in Chile: Damals gegen Pinochet, heute gegen Piñera

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An den Jahrestagen der Proteste gegen die Militärdiktatur im Jahr 1986 kam es in diesem Jahr in Chile zu Protesten gegen die aktuelle Regierung und deren Politik, auch in Zeiten der Coronakrise
An den Jahrestagen der Proteste gegen die Militärdiktatur im Jahr 1986 kam es in diesem Jahr in Chile zu Protesten gegen die aktuelle Regierung und deren Politik, auch in Zeiten der Coronakrise

Santiago. In mehreren Städten Chiles haben Menschen am vergangenen Donnerstag und Freitag demonstriert, um an die Protesttage am 2. und 3. Juli 1986 während der Pinochet-Diktatur zu erinnern. Gleichzeitig verliehen die Demonstrierenden ihrem Unmut gegen die Regierung von Sebastián Piñera Ausdruck, die sie ihrer Meinung nach während der Corona-Krise im Stich lässt. Die Carabineros de Chile, die militarisierte Polizei, ging dabei gewaltsam gegen die Proteste vor. 137 Menschen wurden landesweit festgenommen, die meisten davon in der Hauptstadt Santiago. In Melipilla wurde ein junger Mann erschossen. Bisher ist unklar, wer auf ihn geschossen hat. In Villa Francia in der Hauptstadt Santiago wurde eine schwangere Frau von einem Tränengasfahrzeug der Carabineros angefahren.

Protestieren ist in den chilenischen Städten, die wegen der Ausbreitung des Coronavirus unter Quarantäne stehen, momentan eine Straftat. Wer das Haus verlassen will, muss online bei den Carabineros eine Erlaubnis beantragen, auch für lebensnotwendige Tätigkeiten wie zum Beispiel das Einkaufen oder einen Arztbesuch. Wer ohne Erlaubnis das Haus verlässt, widersetzt sich dem Artikel 318 des Strafgesetzbuchs, da man damit die öffentliche Gesundheit gefährde. 82 Prozent der Festnahmen am 2. und 3. Juli geschahen auf dieser rechtlichen Grundlage. Über 4.400 Carabineros waren an diesen Tagen im Einsatz. Die Regierung hat außerdem den Ausnahmezustand, der die Verfassung einschränkt und am 18. März verhängt wurde, bis zum 18. September verlängert.

Die 35-jährige Krankenschwester Eyleen Valenzuela, Cousine der Frau, die in der Villa Francia am 2. Juli von einem Tränengasfahrzeug angefahren wurde, äußerte zu dem Vorfall: "Sie hat Arme in die Luft gerissen und dann auf ihren Baby-Bauch gezeigt, aber sie haben sie trotzdem angefahren. Mich haben sie mit dem Fahrzeug gegen einen Kiosk gestoßen. Die Repression war unmenschlich." Die Frauen hatten gemeinsam am "cacerolazo" teilgenommen, einer Protestform, bei der mit leeren Kochtöpfen Lärm gemacht wird. In der Villa Francia haben zuletzt viele Bewohner ihre Arbeit verloren und somit momentan kein Einkommen. Die Lebensmittelkisten, die die Regierung verteilt hat, hätten nur für eine Woche gereicht.

"Wir arbeiten deshalb in einem Netzwerk verschiedener sozialer Organisationen zusammen, um den Nachbarn zu helfen", sagt Valenzuela. Sie verteilt mit dem Kollektiv La Llama Lebensmittelkisten. In Villa Francia wurde außerdem eine Panadería Popular gegründet, die täglich 1.200 Brote verteilt. Die Suppenküche Comedor Popular Luisa Toledo bereitet über 550 warme Mahlzeiten am Tag zu. Die Organisationen finanzieren sich durch Spenden. "Wir füllen die Löcher, die der Staat hinterlässt. Das machen wir aus Klassensolidarität. Aber jeden Tag kommen mehr Menschen, die Hilfe brauchen. Irgendwann wird unsere Hilfe nicht mehr ausreichen. Dann wird es einen zweiten Aufstand geben."