Bolivien / Politik

Bolivien: Turbulenzen vor Amtseinführung des neuen Präsidenten Luis Arce

Angriff auf MAS-Büro in La Paz, in dem der designierte Präsident sich aufhielt. Rechte Kräfte verlangen Überprüfung des Wahlergebnisses

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Polizisten vor dem MAS-Büro in Sopocachi nach dem Angriff
Polizisten vor dem MAS-Büro in Sopocachi nach dem Angriff

La Paz. Am späten Donnerstagabend haben laut der Bewegung zum Sozialismus (Movimiento al Socialismo, MAS) unbekannte Täter einen Anschlag auf ihr Kampagnenbüro im Viertel Sopocachi in La Paz verübt. Zu dem Zeitpunkt befand sich der neu gewählte Präsident, Luis Arce, zu einem Treffen mit seinem Kommunikationsteam in dem Gebäude. Verletzt wurde niemand. Nach Aussagen der Polizei habe es sich um die Detonation von Böllern gehandelt.

Der Sprecher der MAS, Sebastián Michel, berichtete im TV-Sender Red Uno von einer Dynamit-Explosion vor der Tür des Gebäudes. Diese habe sich ereignet, als Protestgruppen an dem Gebäude vorbeizogen, die mit dem Wahlsieg der MAS nicht einverstanden sind. Man hoffe, dass sich der Vorfall nicht wiederhole und sich die Lage bis zum Sonntag nicht zuspitze. "Es bringt die politische Atmosphäre zum Ausdruck, die wir derzeit erleben", so Michel. Für Sonntag ist die offizielle Amtseinführung von Arce als Präsident und David Choquehuanca als Vize unter Beisein zahlreicher internationaler Gäste vorgesehen.

"Sie haben versucht, gegen die Unversehrtheit des gewählten Präsidenten einen Anschlag zu verüben und vor der Amtsübergabe ein Klima der Destabilisierung zu schaffen. In El Alto werden wir vereint gegen jedweden Versuch zusammenstehen, den Willen des Volkes in Frage zu stellen", twitterte die scheidende Senatspräsidentin der MAS, Eva Copa.

Am 18. Oktober hatte die MAS die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen mit einer Mehrheit von 55,11 Prozent gewonnen. Internationale Beobachtermissionen hatten den demokratischen und friedlichen Verlauf der Wahlen lobend hervorgehoben. Sie seien ohne Unregelmäßigkeiten verlaufen.

Nichtsdestotrotz versammeln sich in einigen Städten Protestierende und fordern die Annullierung der Wahlen. In den Regionen Beni, Cochabamba und Santa Cruz begannen die Proteste bereits vor einer Woche. Insbesondere in der Hochburg der Opposition gegen die MAS, Santa Cruz, hatten tausende Menschen in einer Bürgerversammlung entschieden, ab Donnerstag in den Streik zu treten. Sie erkennen Arce nicht an und fordern eine Neuauszählung der Stimmen. Zuvor hatte bereits die scheidende De-facto-Regierung vom Obersten Wahlgericht (TSE) eine erneute Prüfung der Wahlresultate erbeten, jedoch ohne dies zu begründen.

Unterdessen haben die Äußerungen eines Mitglieds des TSE für Diskussionen gesorgt. Rosario Baptista wendete sich in einem Brief an die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und fordert eine Überprüfung des Wahlregisters. Laut Baptista gebe es eine geheime "parallele Datenbank", die den Wahlausgang beeinflussen könnte. Der Präsident des TSE, Salvador Romero,wies bei einer Pressekonferenz in La Paz die Existenz einer alternativen Datenmenge an registrierten Wählern zurück. Dafür gebe es weder Beweise noch Indizien. Eine solche Datenbank wäre, falls es sie gegeben hätte, von den Beobachtermissionen entdeckt worden. Er sei jedoch bereit, auf Anfragen Informationen zur Verfügung zu stellen, damit eine Überprüfung des Wahlablaufs erfolgen könne. Romero stellte aber klar, dass mit der Verkündung der offiziellen Ergebnisse und der Überreichung der Ernennungsurkunden der Exekutive und der Legislative die Wahl offiziell abgeschlossen sei.

Am Donnerstag hatte die OAS ihren Abschlussbericht zu den Wahlen vorgelegt und Zweifel an Unregelmäßigkeiten dementiert: "Bolivien besitzt eine unabhängige Wahlbehörde und hatte eine fairen und gerechten Wahlkampf, was in einem erfolgreichen Wahltag kulminierte. Die Bevölkerung wählte frei und das Ergebnis ist eindeutig. Das verschafft der neu gewählten Regierung, den bolivianischen Institutionen und dem Wahlverlauf insgesamt ein hohes Maß an Legitimität", so der Bericht.

Vor einem Jahr hatte die MAS die Wahlen ebenfalls für sich entschieden. Aufgrund des Vorwurfs eines Wahlbetrugs durch die OAS und darauf folgender massiver Ausschreitungen sah sich der wiedergewählte Präsident Evo Morales gezwungen, zurückzutreten und ins Exil zu fliehen. Daraufhin kam eine rechte De-facto-Regierung an die Macht, die sich nun für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantworten muss, darunter mehrere Massaker an der Zivilbevölkerung.

Die sozialen Bewegungen des Einheitspaktes, die die MAS als politisches Instrument des sozialen Wandels in Bolivien unterstützen, hatten sich trotz des Wahlsieges aufgrund der Erfahrungen im vergangenen Jahr in Alarmzustand versetzt.

Segundina Flores, Generalsekretärin der Konföderation von indigenen und Bauernfrauen – Bartolina Sisa, äußerte im Gespräch mit amerika21, dass die Bevölkerung das Vertrauen in den Prozess des Wandels zurückgewonnen habe. Die indigenen und sozialen Bewegungen seien bereit, den Wahlsieg der MAS notfalls auf der Straße zu verteidigen.