Tag gegen Gewalt an Frauen: Aktivistinnen in Lateinamerika erinnern an "andere Pandemie"

Frauenproteste auf der Straße und im Internet. Häusliche Gewalt nimmt während Corona-Pandemie noch weiter zu

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Angehörige der Opfer von gewaltsamem Verschwindenlassen und Femizid bei der Demonstration in Mexiko-Stadt
Angehörige der Opfer von gewaltsamem Verschwindenlassen und Femizid bei der Demonstration in Mexiko-Stadt

Mexiko-Stadt et al. Der 25. November, internationaler Tag zur Beseitigung der Gewalt an Frauen, ist traditionell einer der Tage im Kalenderjahr, an denen Feministinnen ihre Forderung nach einer gerechten Gesellschaft auf die Straße tragen. Inmitten der Pandemie wurden viele Veranstaltungen ins Internet verlagert, und doch ließen es sich einige nicht nehmen, persönlich zu protestieren.

In Mexiko hatten Kollektive an mehreren Orten zu Demonstrationen aufgerufen, darunter Mexiko-Stadt, Quintana Roo, Jalisco und Guanajuato. Die Zahl der Teilnehmerinnen hielt sich in Grenzen. Während am 8. März, kurz vor Ausbruch der Pandemie, in der Hauptstadt noch fast 200.000 Frauen auf die Straßen gegangen waren, kamen nun wenige Hundert, alle mit Masken oder Schals vor dem Mund. Mexiko ist eines der am stärksten von Covid-19 betroffenen Länder. Mehr als 103.000 Menschen sind nach offiziellen Angaben bisher mit dem Virus gestorben.

"Es ist mir nicht so wichtig, ob ich mich anstecke, wie es mich aufregt, dass wir täglich ermordet werden", so eine Demonstrantin zur Nachrichtenagentur Cimac Noticias. Mittlerweile werden in Mexiko jeden Tag durchschnittlich elf Frauen getötet. Das Jahr 2020 bewegt sich bei den Zahlen zu Tötungsdelikten auf einen neuen Rekord zu. Und die häusliche Gewalt hat während der Pandemie noch zugenommen. Das ist etwa durch die gestiegene Zahl der Notrufe von Frauen belegt. Nur in wenigen Fällen werden die Täter verurteilt, die Straflosigkeit ist hoch. Bei den Demonstrationen waren daher auch erneut zahlreiche Mütter und Verwandte der Opfer von gewaltsamem Verschwindenlassen und Femizid vor Ort.

"Meine Tochter ist keine Ermittlungsakte. Sie ist ein Mensch. Sie muss gefunden werden, sie braucht Gerechtigkeit", so die Mutter von Jael Monserrat Uribe, einer jungen Frau, die im Juli im Bundesstaat Mexico verschwand. Doch während einige Funktionärinnen, namentlich die Innenministerin Olga Sánchez Cordero, die Gewalt gegen Frauen als gesellschaftliches Problem anerkennen und ihre politischen Projekte zur Eindämmung aufzählten, fiel Präsident Andrés Manuel López Obrador (Amlo) erneut durch Ignoranz auf. Ob Frauenmorde einen anderen Grund hätten als Morde an Männern, wurde er während der morgendlichen Pressekonferenz gefragt. Nein, beschied Amlo, im Grunde sei alle Kriminalität auf das neoliberale Wirtschaftsmodell zurückzuführen.

In vielen Ländern Lateinamerikas machten Aktivistinnen auf "die andere Pandemie", nämlich die Gewalt an Frauen aufmerksam.

In Guatemala waren die Aktivitäten eingebettet in die Proteste gegen die Regierung (amerika21 berichtete). Zahlreiche Journalistinnen machten auf die Missachtung der Pressefreiheit und ungerechtfertigte Festnahmen von Medienschaffenden, die die Proteste begleiteten, aufmerksam. Die Monitoringstelle Osar gab bekannt, dass bis zum 4. November dieses Jahres 4.105 Schwangerschaften bei Mädchen zwischen zehn und 14 Jahren festgestellt wurden. Diese seien ein "klarer Beweis der vielen Formen von (struktureller) Gewalt", so die Organisation.

In El Salvador erinnerten Frauengruppen an die fatalen Auswirkungen der harten Ausgangsbeschränkungen. Der Fortgang der Pandemie werde gestoppt, aber an die Frauen, die mit ihrem Aggressor zu Hause eingesperrt seien, denke die Regierung nicht, so das Kollektiv "Amorales".

Organisationen wie Católicas por el Derecho a Decidir und Amnesty Internacional in Argentinien mahnten, zu einem Leben frei von Gewalt gehöre die körperliche Selbstbestimmung und das Recht auf Abtreibung.

In Chile führte das Performance Kollektiv Las Tesis erneut Un Violador en tu Camino (Ein Vergewaltiger in deinem Weg) auf. In einem Video ist zu sehen, wie sich mehrere Hundert Menschen in Santiago de Chile daran beteiligen. Das Stück war seit seiner Premiere im vergangenen Jahr weltweit viral gegangen und hatte viele Frauen auf der ganzen Welt inspiriert, eine Version in ihrem eigenen Land zu adaptieren.