Bolivien: Áñez-Regierung bat vor den Wahlen 2020 die USA und Großbritannien um Waffen

Innenministerium liegen kompromittierende Dokumente vor. Regierung fordert Stellungnahme von beiden Ländern

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Brief von De-facto-Vizeminister Wilson Santamaría an die britische Botschaft
Brief von De-facto-Vizeminister Wilson Santamaría an die britische Botschaft

La Paz. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2020 soll die damalige De-facto-Regierung von Jeanine Áñez bei den Botschaften der USA und Großbritannien um die Lieferung von Waffen gebeten haben. Dies hat die Regierung von Luis Arce enthüllt. Der aktuelle Vizeminister für öffentliche Sicherheit im Innenministerium, Roberto Ríos, hat zwei Briefe vom 8. Mai und 25. September 2020 veröffentlicht, die das Ersuchen dokumentieren. Der Fall erinnert an die Lieferung von Waffen und Tränengas aus Argentinien und Ecuador beim Putsch gegen Evo Morales im November 2019.

Den Brief vom 8. Mai 2020 richtete der damalige Vizeminister für öffentliche Sicherheit, Wilson Santamaría, an den Geschäftsträger der US-Botschaft, Bruce Williamson, mit dem Betreff "Gesuch: Ausrüstung und Waffen". Auf der ersten Seite heißt es: "Ich bitte Sie, dem Anliegen im Betreff nachzukommen, um die Integrität des bolivianischen Volkes und seines Territoriums zu verteidigen."

Der zweite Brief von Santamaría vom 25. September 2020 richtete sich an den britischen Botschafter in Bolivien, Jeff Glekin. Im Sinne der "Stärkung" der britischen Unterstützung, bittet der Vizeminister Glekin um "Pistolen, Patronen, Gasgranaten, vollständige Uniformen, Gasmasken, Nachtsichtgeräte, Thermalvisiere, Ferngläser, Helme, Schutzanzüge und andere Ausrüstungsgegenstände, die Sie für die bolivianische Polizei als wichtig erachten, um die Unversehrtheit des Volkes, sein Territorium und seine Sicherheit zu verteidigen".

Das Vizeministerium für öffentliche Sicherheit habe keine Befugnis, solche Materialien zu verlangen, merkte dazu Ríos an. Sie seien für Sondermissionen der Polizei gedacht und gehörten nicht zu ihrer üblichen Ausrüstung. Offenbar sollten all diese Waffen und Geräte dazu dienen, gegen die bolivianische Bevölkerung im Zusammenhang mit der Präsidentschaftswahl gewaltsam vorzugehen, so Rios weiter.

Die bolivianische Regierung hat laut Ríos die Botschaften der beiden Länder aufgefordert, die Originalbriefe und die darin angekündigten Anhänge auszuhändigen. Sie will außerdem wissen, welche Antworten die USA und Großbritannien gegeben haben oder wie beide Länder darauf reagiert haben.

Die Bemühungen um Rüstungsgüter sind nicht die einzigen Hinweise auf einen Staatsstreich durch die De-facto-Regierung Áñez im Vorfeld der Wahlen vom Oktober 2020, als der damalige MAS-Kandidat und heutige Präsident Arce sich als Favorit durchsetzte. Im Juni 2021 enthüllte das Online-Medium The Intercept Vorbereitungen, die zu einem Putsch nach den Wahlen vom Oktober 2020 führen sollten.

Anhand von Gesprächsaufzeichnungen, Emails und Dokumenten enthüllte The Intercept ein Komplott unter der Führung des damaligen Verteidigungs- und Gesundheitsministers Luis Fernando López, der später nach Brasilien geflohen ist. Ziel war, Hunderte Söldner aus einer US-Militärbasis in der Nähe von Miami nach Bolivien zu befördern, um den Amtsantritt von Arce zu verhindern. Die Autoren des Artikels, Laurence Blair und Ryen Grim, bezeichneten dieses Komplott als "einen noch eklatanteren Putschplan als im Oktober 2019".

In einem 15-minutigen Gespräch zwischen López und dem Ex-Zivilverwalter der US-Armee, Joe Pereira, über den Putschplan, das The Intercept vorlag, sagte der damalige Verteidigungsminister: "Ich will Folgendes betonen: Der Kommandeur der Streitkräfte ist voll involviert." Damit war der General Sergio Orellana gemeint, der im November 2020 nach Kolumbien floh.

In dem Gespräch sicherte Pereira die Waffenlieferung zu. Das sei "kein Problem". Er erwähnte außerdem, er würde die Polizeiführung kontaktieren, damit sie ihre Flugzeuge Hercules C-130 zur Verfügung stellen. Die Hunderte von Söldnern, die Pereira aus Miami nach Bolivien einfliegen würde, würden als "Fotographen, Pastoren, Ärzte und Touristen" getarnt sein. Der US-Mitverschwörer bestand aber darauf, dass weder er noch die Söldner in Verbindung mit der US-Armee gebracht werden durften.

Der bolivianische Übersetzer, der an dem Gespräch teilnahm, fragte "als Bolivianer" den Minister direkt, wie bereit er und seine Leute waren, den Plan umzusetzen. "Sind Sie bereit, psychologische Operationen durchzuführen, sind Sie bereit, Informationen auf dieselbe Weise zu manipulieren wie die MAS?" López antwortete: "Hundertprozentig".