Militär in Kolumbien verübt Massaker an Zivilbevölkerung

Mindestens sieben Zivilist:innen unter den getöteten Personen. Militär spricht von Operation gegen Farc-Dissidenten. Sorge vor Rückkehr paramilitärischer Praktiken der Armee und "falsos positivos"

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Der Kommandeur der Armee, General Eduardo Enrique Zapateiro, bezeichnet die Geschehnisse in Puerto Leguízamo als "Gefechte" mit der Farc-Dissidentengruppe "Frente 48"
Der Kommandeur der Armee, General Eduardo Enrique Zapateiro, bezeichnet die Geschehnisse in Puerto Leguízamo als "Gefechte" mit der Farc-Dissidentengruppe "Frente 48"

Puerto Leguízamo. Die kolumbianische Armee hat eine Gruppe von zivilen Personen im südlichen Departamento de Putumayo mutmaßlich getötet. Präsident Iván Duque und der Verteidigungsminister Diego Molano sprechen jedoch von einem erfolgreichen Schlag gegen elf Angehörige der Farc-Dissidenten und der Drogenkriminalität.

Lokale und nationale Menschenrechtsorganisationen sowie die Nationale Organisation indigener Völker des kolumbianischen Amazonas (Opiac) bestreiten die offizielle Version der Regierung. Sie belegen, dass es sich bei mindestens sieben der elf getöteten Menschen um Zivilist:innen handelt, die keiner bewaffneten Gruppe angehörten.

Unter den Opfern befindet sich ein indigener Gemeindevertreter, ein Minderjähriger und der Vorsitzende der Bürgervertretung (Junta de Acción Comunal, JAC) des Landbezirks Remanso. Nichtregierungsorganisationen sind alarmiert und sprechen von einer Rückkehr der systematischen Tötungen von Zivilist:innen durch das Militär, auch unter dem Begriff "falsos positivos" bekannt.

Das Netzwerk für Menschenrechte in Putumayo berichtet über den Ablauf des mutmaßlichen Massakers. Morgens gegen circa sieben Uhr stürmten vermummte Einsatzkräfte das Grundstück eines Gemeindehauses. Dort fand am Vorabend eine öffentliche Feier statt, weshalb viele der noch anwesenden Personen unter Einfluss von Alkohol standen. Ziel der Veranstaltung war es, Geld für die Gemeinde zu sammeln. Augenzeugenberichten zufolge gaben sich die Einsatzkräfte zunächst als Farc-Dissidenten aus und eröffneten unvermittelt das Feuer.

Später bezeichneten die Einsatzkräfte die Dorfbewohner:innen als Guerilla-Mitglieder und hielten sie bis zum Nachmittag fest. Die Dorfbewohner:innen erhielten keine Informationen über den Anlass des Einsatzes, durften nicht auf Toilette gehen oder sich mit Nahrungsmitteln versorgen.

Auch die medizinische Behandlung der Verletzten wurde untersagt: In einigen Fällen seien die Menschen erst nach einigen Stunden an den Schusswunden gestorben, was durch eine angemessene medizinische Versorgung hätte verhindert werden können. Mobiltelefone, mit denen die Anwohner:innen das Geschehen dokumentierten, wurden durch die Einsatzkräfte beschlagnahmt und Menschenrechtsorganisationen der Zugang zur Gemeinde verwehrt, wie Yuri Quintero vom Netzwerk für Menschenrechte in Putumayo im Interview mit amerika21 bestätigt.

Am Tag der Ereignisse verkündete Verteidigungsminister Molano bei Twitter, die Streitkräfte hätten bei ihrem Einsatz "erfolgreich neun Farc-Dissidenten neutralisiert" sowie vier Kriminelle verhaftet. Auch Präsident Iván Duque äußerte sich voller Lob über das "energische Vorgehen" gegen "Drogenterroristen", bezifferte die Zahl der Getöteten jedoch auf elf. Das Militär gab hingegen die "Neutralisierung" von 15 Guerillakämpfer:innen bei einer Operation zur Bekämpfung des Drogenhandels im Süden Putumayos bekannt, ohne nähere Details zu Umständen oder Orten zu nennen.

Die staatliche Ombudsstelle für Menschenrechte widersprach indes der Version der Regierung und bestätigte die Tötungen von Zivilist:innen. Sie forderte, die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen und eine umfassende Aufklärung des Sachverhalts. "Die Zivilbevölkerung muss von jeder Art von Maßnahme im Rahmen des Konflikts ausgeschlossen werden und ihr Recht auf Leben muss stets geschützt werden", äußerte sich die Ombudsstelle.

Angriffe gegen die Bevölkerung von Puerto Leguízamo sind nicht neu. Die Einwohner:innen der Zone werden immer häufiger zur Zielscheibe unterschiedlicher bewaffneter Gruppen, die um die Vorherrschaft im Gebiet kämpfen. In der Regel bleiben die Tötungen straflos, häufig wird gar nicht erst ermittelt oder die Menschen trauen sich aus Angst vor möglichen Konsequenzen nicht, die Taten öffentlich zu machen.

In diesem Fall aber hätten die Menschen "die Entscheidung getroffen, zu reden", sagt Quintero gegenüber amerika21. Einer der Gründe sei "die Sprache der Streitkräfte, die sich gegen die Gemeinden richtet. Es sei sehr schmerzhaft für eine Gemeinde zu hören, dass die Armee ihre Familien und Nachbarn beschuldigt, einer bewaffneten Gruppe anzugehören." Das mutmaßliche Massaker in Puerto Leguízamo bereite Quintero große Sorgen, weil "wir es hier mit einem Staatsverbrechen zu tun haben. Außerdem reaktiviert das Militär seine paramilitärischen Praktiken in der Region."

Besonders besorgniserregend ist, dass die Tötungen dem altbekannten Schema der "falsos positivos" entsprechen: Zwischen 2002 und 2008 töteten Armeemitglieder unter der Regierung des ultrarechten Álvaro Uribe mindestens 6.402 Zivilist:innen, die sie als im Kampf gefallene Guerillakämpfer:innen präsentierten, um Sonderprämien zu kassieren (amerika21 berichtete). Im Jahr 2019 enthüllte die New York Times die Rückkehr dieser Militärpolitik. Der damalige Oberbefehlshaber der Armee soll verlangt haben, die Zahl der Tötungen von Guerilleros zu verdoppeln, "koste es, was es wolle". Außerdem gibt es immer mehr Indizien für die Zusammenarbeit von Generälen mit Paramilitärs.

Der 2016 geschlossene Friedensvertrag zwischen der kolumbianischen Regierung und der Farc-Guerilla sah für das Departamento de Putumayo ein integrales Entwicklungsprogramm mit regionalem Fokus (PDET) vor, eine Landreform sowie ein PNIS-Programm zur freiwilligen Beseitigung von Kokaanbau. All dies wurde bis heute nur in Ansätzen umgesetzt, resümiert Quintero: "In Putumayo haben sich mehr als 2.000 Familien in das Programm [PNIS] eingeschrieben, die total vernachlässigt wurden. Sie sehen sich nun gezwungen wieder Koka anzubauen, da die Regierung die Vereinbarung nicht erfüllt. Die Familien hatten freiwillig ihre Anbaukulturen beseitigt, wie es im Programm steht und ihr Land für die geplanten Entwicklungsprojekte vorbereitet."

Insgesamt lässt sich nach dem Friedensabkommen eine Verschärfung der Konfliktdynamiken in der Region beobachten. Der Unwille der Regierung, den Drogenanbau als soziales Problem zu begreifen und stattdessen ein militärisches Vorgehen durchzusetzen, stigmatisiert die ländliche Bevölkerung und blendet die strukturellen und sozialen Ursachen des Phänomens aus. Leidtragender der bewaffneten Auseinandersetzungen staatlicher und nichtstaatlicher Akteure bleibt die Zivilbevölkerung.