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Senat in Chile stimmt für transpazifisches Freihandelsabkommen

Präsident Gabriel Boric, früher ein entschiedener TPP-11-Gegner, kündigt Ratifizierung an und rechtfertigt Sinneswandel mit Staatsräson

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Das Freihandelsabkommen TPP 11 hat in Chile außerhalb des Parlaments wenig Freunde
Das Freihandelsabkommen TPP 11 hat in Chile außerhalb des Parlaments wenig Freunde

Santiago. Das umstrittene transpazifische Freihandelsabkommen TPP-11 (Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership) ist am 11. Oktober vom chilenischen Senat mit den Stimmen der oppositionellen Mehrheit angenommen worden. Zuvor war die Abstimmung aufgrund des starken Widerstands der Bevölkerung während der Revolte im Oktober 2019 und des anschließenden Verfassungsprozesses jahrelang verschoben worden.

Damit hat Chiles Parlament als letztes der elf Vertragsstaaten (Australien, Brunei, Chile, Japan, Kanada, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur und Vietnam), das TPP-11 beschlossen. Dieses soll nach Aussagen des chilenischen Wirtschaftsministeriums die wirtschaftliche Integration durch einen gemeinsamen Rechtsrahmen erleichtern und ein "nachhaltiges Wachstum" fördern. Es gilt als das drittgrößte Handelsabkommen der Welt.

Präsident Gabriel Boric ‒ früher ein vehementer Gegner des Freihandelsabkommens ‒ betonte in einem Radiointerview die Bedeutung dieses Vertrages für die Zukunft des Handels, da der Pazifikraum heute "das Zentrum der Welt" sei.

Nachdem die Abgeordnetenkammer des Nationalkongresses bereits im April 2019 für das von Ex-Präsidentin Michelle Bachelet 2018 abgeschlossene Abkommen gestimmt hatte, wurde nun entgegen den Erwartungen Vieler die Abstimmung im Senat angesetzt. Zahlreiche Sozial- und Umweltorganisationen hatten Boric zuvor aufgefordert, die ihm durch die Geschäftsordnung des Senats eingeräumten Befugnisse zu nutzen, um das Abkommen zurückzuziehen.

Gegner:innen wie der Vorsitzende der Gewerkschaft Industrial Chile, Horacio Fuentes, kritisieren den Freihandelsvertrag als "sehr gefährlich, weil er die Entwicklung des Landes gefährdet, die Souveränität aufgibt und dazu verdammt, das neoliberale, extraktivistische und rentenorientierte Modell beizubehalten". Mit Blick auf die zu erwartenden Folgen für die Arbeitsbedingungen und die Umwelt befürchtet Senatorin Yasna Provoste zudem, dass sich Chile damit "dem Fortschritt verschließt und den transnationalen Konzernen garantiert, dass sich in Zukunft nichts ändern wird."

Nach der Zustimmung der Abgeordnetenkammer 2019 gab es starke Proteste, bei Demonstrationen kam es in mehreren Städten zur Errichtung von Barrikaden, Polizeirepression und zahlreichen Festnahmen.

Der Großteil der Inhalte des Abkommens war für die Öffentlichkeit unzugänglich, das änderte sich erst durch Veröffentlichungen von Wikileaks (2013 und 2015). Zu den geplanten Maßnahmen zählen demnach die Flexibilisierung von Arbeits- und Umweltregulierungen, der ungehinderte Finanzfluss und die Einschränkung der Subventionierung von Staatsunternehmen. Außerdem sollen internationale Konzerne Klagen gegen chilenische Unternehmen vor einem Schiedsgericht einreichen und damit die nationale Justiz umgehen können.

Lokale und indigene Organisation sprechen sich ebenfalls gegen das Abkommen aus. Die Vereinbarung würde im Bereich der Landwirtschaft die Privatisierung des nationalen Saatguts fördern und die bäuerliche Produktion schwächen, um großen transnationalen Agrarproduzenten Vorteile zu verschaffen.

Auch wenn die Ratifizierung durch den Präsidenten für das endgültige Inkrafttreten noch aussteht, deuten die Äußerungen von Seiten der Regierung trotz zahlreicher Kritik nicht darauf hin, dass diese verweigert wird.

Obwohl Außenministerin Antonia Urrejola betont, dass sich der Präsident "die nötige Zeit nehmen wird", um Zusatzvereinbarungen abzuschließen, erklärte Boric bereits, seine Regierung werde "die Souveränität des Kongresses respektieren und den Auftrag, den wir von dort erhalten haben, erfüllen." Er wolle nicht "in einen Krieg" mit dem Senat eintreten, denn seine Regierung brauche ihn, um die Steuerreform und die Rentenreform zu verabschieden. Seine Regierungskoalition ist weit entfernt von einer Mehrheit in den beiden Parlamentskammern.

Boric, der 2019 als Abgeordneter im Parlament selbst gegen das Freihandelsabkommen stimmte, verteidigte seine Entscheidung und rief dazu auf, "aus der Karikatur herauszukommen". Er betonte, dass seine "Pflicht als Präsident" darin bestehe, "die Interessen Chiles zu schützen, und genau das tun wir". Man müsse sich der wirtschaftlichen Bedeutung von TPP-11 bewusst werden.

Des Weiteren erklärt er seinen Richtungswechsel mit dem Ausstieg der USA aus dem Abkommen und dem Beitritts Kanadas, welches einige Aspekte verändert hätte, "die am kritischsten waren und gegen die damals mobilisiert wurde". Allerdings hatten sich die USA bereits 2017 unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump aus dem Freihandelsabkommen zurückgezogen.

Es gebe weiterhin "kritische Punkte", räumte Boric ein, etwa der Streitbeilegungsmechanismus. Die vorgesehenen Schiedsgerichte, die für Konflikte zwischen Investoren und Staaten geschaffen werden, "schränken aus unserer Sicht die Souveränität der Staaten bei der Entwicklung strategischer Maßnahmen ein".

Seine Regierung bemühe sich indes um entsprechende Zusatzvereinbarungen. Mit Mexiko und Neuseeland, habe man sich bereits geeinigt, mit Peru gebe es Fortschritte und "wir hatten ein interessantes Gespräch mit Australien und Vietnam", so der Staatschef.