Organisationen für Menschenrechte in Chile vor dem Aus

Parlamentskammer kürzt staatlichen und privaten Menschenrechtsorganisationen jegliche Finanzmittel. Auch Einrichtungen zum Gedenken an die Diktaturverbrechen betroffen

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Bilder von Verschwundenen im Museo de la Memoria
Eventuell bald ohne Finanzierung: das Museo de la Memoria, das an die Gräueltaten unter der Militärdiktatur erinnert

Valparaíso. Als "Schlag gegen die Demokratie" hat Consuelo Contreras, die Direktorin des Nationalen Instituts für Menschenrechte (INDH), die Entscheidung der Abgeordnetenkammer des chilenischen Nationalkongresses bezeichnet, jede Finanzierung von Organisationen für den Schutz der Menschenrechte für das Jahr 2023 aus dem Staatsbudget zu streichen.

Zusammen mit Parlamentarier:innen der Christdemokratischen Partei kürzte die rechte Opposition 105 Milliarden Pesos (rund 110 Millionen Euro) aus dem Finanzhaushalt vom kommenden Jahr, die eigentlich für das INDH und weitere Kulturstätten zur Erinnerung an die Menschenrechtsverletzungen unter der Militärdiktatur von 1973 bis 1990 gedacht waren. Betroffen sind unter anderem das Museo de la Memoria y los Derechos Humanos in der Hauptstadt Santiago und die Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen Gefangenenlagers Villa Grimaldi.

Die Parlamentarierin der rechten Renovación Nacional, Sofía Cid, meinte zur Entscheidung gegenüber den Medien, die Gelder sollen für jene Themen verwendet werden, "die die wirklichen Bedürfnisse der Menschen angehen".

Der sozialistische Abgeordnete Jaime Naranjo bedauerte die Entscheidung der gemäßigten Rechten, sich den Forderungen ultrarechter Parlamentarier:innen anzuschließen: "Es ist schade, dass sich jene Sektoren, die immer klar die Menschenrechtsverletzungen anerkannt haben und eine Politik zur Wiedergutmachung förderten, heute von ultrarechten Positionen mitschleppen lassen".

Die Entscheidung der Abgeordnetenkammer kommt kurz nachdem das Institut für Menschenrechte offiziell eine Klage gegen die derzeitige Führungsriege der militarisierten Polizei, Carabineros de Chile, aufgrund der Menschenrechtsverletzungen während der sozialen Revolte im Oktober 2019 eingereicht hat. Die Generäle hätten in ihren damaligen Positionen von diesen Straftaten gewusst und entgegen ihrer Verpflichtungen nichts dagegen unternommen, heißt es in der Anklage.

Das INDH ist eine öffentliche Einrichtung, die 2005 per Gesetz zur "Förderung und zum Schutz der Menschenrechte aller in Chile lebenden Personen" geschaffen wurde und weder der Exekutive noch der Legislative oder der Judikative unterstellt ist. Obwohl es aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, ist das Institut eine eigene Rechtspersönlichkeit, formuliert seine interne Geschäftsordnung und verfügt über operationelle und Haushaltsautonomie. Seine Berichte über Polizeigewalt gegen Protestierende erreichen regelmäßig auch eine internationale Öffentlichkeit.

Das Institut und weitere Menschenrechtsorganisationen seien "ideologisch motiviert" und würden ihre eigentlichen Aufgaben nicht mehr erfüllen, erklärte die Parlamentarierin Cid, die die Kürzung des Budgets vorantrieb. Der Erfolg der Initiative war möglich, da die Opposition im Parlament eine Mehrheit innehat. Diese nutzt sie regelmäßig, um Gesetzesprojekte der Regierung zu blockieren, dagegen eigene Projekte durchzusetzen oder Druck hinsichtlich bestimmter Themen aufzubauen.

Die Menschenrechtsorganisationen hoffen derweil auf den Senat. Dieser solle die Entscheidung rückgängig machen, sonst drohe eine Einstellung der Aktivitäten der betroffenen Einrichungen. Chile würde zudem internationalen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte nicht mehr nachgehen können, sagte INDH-Leiterin Contreras. Am 29. November wird der Senat das Thema abschließend behandeln und den Finanzhaushalt vom Jahr 2023 verabschieden.

Nicht nur im Bereich der Menschenrechte ist das Budget vom kommenden Jahr umstritten. Seit Wochen befinden sich die Arbeiter:innen des Kulturministeriums und der nationalen Waldbehörde, die für die Nationalparks und Waldbrände zuständig ist, im Streik. Beide Gremien erklären, dass sie mit den vorgesehenen Haushaltsmitteln ihre eigentlichen Aufgaben nicht erfüllen könnten.