Temuco. Mit Straßenbarrikaden und Brandanschlägen auf eine ländliche Schule und eine Kirche hat die radikale Mapuche-Organisation Resistencia Arauco-Malleco am 10. November Chiles Präsidenten Gabriel Boric empfangen. "500 Jahre Kampf um Freiheit, Gabriel Boric du bist nicht Willkommen", hieß es auf Transparenten.
Es ist der erste Besuch des linksreformistischen Präsidenten in der Región de la Araucanía, dem Hauptsiedlungsgebiet der indigenen Mapuche und die ärmste Region des Landes. Der Präsident wurde laut Medienberichten von über 100 Polizist:innen aus Santiago begleitet. Er traf sich mit Bürgermeister:innen, Mapuche-Organisationen und Opfern von Anschlägen durch radikale Mapuche-Organisationen.
In einer ersten Rede kündigte er mehr als 20 Millionen US-Dollar für neue Infrastruktur in der Region an. Es sollen mehr Überwachungskameras bei Autobahnen installiert, neue Polizeikommissariate gebaut und mehr Polizeiautos angeschafft werden, so der Präsident. Zusätzlich kündigte die Regierung den Bau neuer Marktplätze, die Fertigstellung eines Krankenhaus und die Schaffung neuer Infrastruktur für Trinkwasser in ländlichen Gebieten an.
Der Präsident sprach indes erstmals von "Terrorismus in der Araucanía", der von "kriminellen Gruppen" verübt würde, "die legitime Forderungen aufnehmen, um Verbrechen zu begehen und Angst, Schaden und Tod zu verursachen". Dies stellt einen Kurswechsel einer Regierung dar, die noch im März versucht hatte, mit radikalen Mapuche-Organisationen in den Dialog zu treten und von "Wallmapu" sprach, wie das traditionelle Territorium der Mapuche im südlichen Chile von der indigenen Gemeinschaft bezeichnet wird.
Rechte Politiker:innen feierten die Ankündigungen der Regierung. Der Abgeordnete der rechtsradikalen Unión Democrática Independiente, Henry Leal, begrüßte die Wortwahl des Präsidenten: "Der Ton ist der richtige, um sich zu den terroristischen Attentaten zu äußern, die seit Jahren die Araucanía zerstören". Es sei der erste Schritt, um die Opfer zu entschädigen, so die rechte, parteiunabhängige Carmen Gloria Aravena.
Der Schriftsteller und Mapuche, Pedro Cayuqueo, kommentierte auf seinem Twitteraccount: "Boric tritt in die Fußstapfen von [Sebastian] Piñera", dem rechten Präsidenten, der von 2018 bis März 2022 regierte. Die Probleme der Region würden mit Geldern für Sicherheit und Infrastruktur, mit "Brot und Peitsche" behandelt, so Cayuqueo.
Damit beruft sich der Schriftsteller auch auf die Politik der letzten Monate. Seit dem gescheiterten Besuch der ehemaligen Innenministerin Izkia Siches im März 2022 hat die Regierung einen Wandel vorgenommen, um mit den Problemen der Region umzugehen.
Über den Tellerrand schauen?
Mit Ihrer Spende können wir Ihnen täglich das Geschehen in Lateinamerika näher bringen.
Seit Jahren kämpfen Mapuche-Organisationen für die Rückgabe von Ländereien, teilweise mit Gewalt und Angriffen auf Anlagen der Forstwirtschaft und Siedler:innen. Gleichzeitig gibt es Berichte über Drogenhandel und massiven Raub aus den Forstbetrieben, die nur teilweise in Verbindung mit den Mapuche-Organisationen stehen.
Die Regierung reagiert darauf mit der Entsendung des Militärs. Seit Mai 2022 herrscht in der Region und Nachbarprovinzen der Ausnahmezustand, Soldat:innen haben die Macht über die öffentliche Sicherheit übernommen (amerika21 berichtete).
Im August verhaftete die Polizei Héctor Llaitul, den Sprecher der Coordinadora Arauco Malleco, eine Gruppe, sie sich als Mapuche-Guerrilla versteht und vor allem durch Anschläge auf Forstbetriebe aufgefallen ist. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Sprecher gewalttätigen Landfriedensbruch, Gewalt gegen Beamte und Holzdiebstahl im Wert von umgerechnet 60.000 Euro vor. Llaitul sitzt seit mittlerweile drei Monaten in Untersuchungshaft.
Gleichzeitig wurden verschiedene Gesetze verschärft, die es den Behörden vereinfachen, Menschen aufgrund des Diebstahl von Holz festzunehmen. Seit September wurden mehrere kriminelle Organisationen aufgedeckt, die sich dem illegalen Handel und Diebstahl von Holz widmeten. Dabei handelte es sich nur vereinzelt um Mapuche, es sind auch Unternehmer und zum Teil sogar Polizist:innen in den Handel verstrickt.
Langfristig soll mit dem Einsatz von Polizei und Militär die Region "befriedet" werden. Doch die seit mehr als 20 Jahren andauernde Militarisierung im Wallmapu hat bislang nur zu einer Verschärfung des Konflikts und zur Radikalisierung geführt. Mapuche-Akademiker:innen, wie der Historiker Claudio Lincopin, sprechen von einem Konflikt, in dem das Vertrauen der involvierten Parteien für jegliche Gespräche fehlt. Es brauche daher die Vermittlung internationaler Akteur:innen.
Seit der Ablehnung des Verfassungsentwurfs, der Chile in einen plurinationalen Staat verwandelt hätte, hat die Position der Rechten an Macht gewonnen. Sie fordern eine harte Hand gegen militante Organisationen. Die Araucanía war mit knapp 74 Prozent die chilenische Region mit der größten Ablehnung gegen den progressiven Verfassungsentwurf. Auf nationaler Ebene waren es 62 Prozent.