Staatsanwaltschaft in Brasilien ermittelt gegen Firmen wegen Kollaboration mit der Diktatur

Verstrickungen in die Diktatur sollen aufgedeckt und die Firmen, darunter Mannesmann, zivilrechtlich oder außergerichtlich zur Verantwortung gezogen werden

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Kampagnenlogo des Forums von Arbeitern und Arbeiterinnen für Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung
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Brasília. Die brasilianische Bundesstaatsanwaltschaft untersucht in sechs Bundesstaaten zwölf Firmen, die sie der Kollaboration mit der Militärdiktatur (1964-1985) verdächtigt. Den Unternehmen wirft sie vor, Menschenrechtsverletzungen begangen oder an ihnen teilgehabt zu haben.

Dabei geht es unter anderem um die Vorwürfe, die eigenen Angestellten ausspioniert und die Informationen an die Repressionsorgane der Diktatur weitergegeben zu haben - wie im bekanntesten diesbezüglichen Fall Volkswagen do Brasil ausführlich dargelegt wurde. VW stimmte einer außergerichtlichen Einigung mit der Behörde und einer Zahlung in Höhe von damals rund 36 Millionen Reais zu.

Die Ermittlungen befassen sich mit den Fällen Folha de S. Paulo, Cobrasma, Paranapanema, Docas und Embraer im Bundesstaat São Paulo, Josapar im Bundesstaat Rio Grande do Sul, Petrobras im Bundesstaat Rio de Janeiro, Fiat, Belgo-Mineira und Mannesmann im Bundesstaat Minas Gerais. Des Weiteren geht es um die Fälle Aracruz in Espírito Santo und CSN in Rio de Janeiro, die von den jeweils zuständigen Bundesstaatsanwaltschaften bearbeitet werden. Zudem gibt es Ermittlungen zum Fall Itaipu, für den bislang aber noch kein Staatsanwalt benannt worden ist. Dies berichtet das Portal JB.

Brasilien hat seine Vergangenheit der Militärdiktatur nie systematisch aufgearbeitet, Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschheit wurden nie strafrechtlich geahndet. Das noch immer gültige Amnestiegesetz von 1979 verhindert dies.

Die von der damaligen Präsidentin Dilma Rousseff 2012 eingesetzte Nationale Wahrheitskommission hatte erstmals versucht, eine systematische Annäherung hin zu einer Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen in der Zeit der Militärdiktatur zu leisten, doch auch dieses Gremium sah keine juristische Aufarbeitung vor (amerika21 berichtete).

Während es im Zivilrecht einige Klagen gab, bei denen es um das Recht ging, den Folterer Folterer nennen zu dürfen, und es einige Versuche zivilrechtlicher Entschädigungsklagen gegen damalige Folterer gibt, blieben Unternehmen bislang verschont.

Erst der Fall Volkswagen do Brasil brachte im Zivilrecht einen Konzern für dessen Kollaboration mit der Diktatur und die Mitverantwortung für Menschenrechtsverbrechen ins Licht der Öffentlichkeit, so dass mehrere Bundesstaatsanwaltschaften sich ab 2015 zusammenschlossen und in der Causa VW do Brasil ermittelten.

Ein kleiner Teil der Kollektiventschädigungen, die VW leisten musste, ging an das Centro de Antropologia e Arqueologia Forense der Bundesuniversität von São Paulo (Unifesp). Sie gab damit mehreren Forschenden Stipendien, um weitere Firmen und deren Verstrickungen in die Militärdiktatur und Repression der Zeit zu untersuchen.

Ergebnis dieser Forschung waren die Berichte über die Ermittlungen in zehn Unternehmen. Sie weisen auf die Tatbestände wie Inhaftierung, Folter und den Tod von Arbeitnehmer:innen hin, auch innerhalb des Werksgeländes von Unternehmen, auf die Erstellung sogenannter "schmutziger Listen" von entlassenen Arbeitnehmern, auf die gewaltsame Unterdrückung von Streiks sowie auf die Vertreibung von Indigenen, Quilombolas, Bäuerinnen und Bauern von ihrem Land, damit sich die Unternehmen dort niederlassen konnten.

Die Arbeit der Wissenschaftler:innen zielt darauf ab, Beweise, Indizien und Zeug:innenaussagen zu den von den Unternehmen begangenen Menschenrechtsverletzungen zu sammeln, um die Untersuchungen der Justiz anzuleiten. Diese können zu zivilrechtlichen Maßnahmen zur Wiedergutmachung führen.

"Diese Arbeit nimmt mir drei oder vier Jahre Ermittlungsarbeit ab", sagte der Staatsanwalt für Bürgerrechte im Bundesstaat Rio Grande do Sul, Enrico Rodrigues de Freitas, gegenüber Medien anlässlich der Vorstellung der Berichte. Er untersucht den Fall der Menschenrechtsverletzungen durch die Josapar-Gruppe, bekannt durch den "Tio João"-Reis.

"Ein Dialog mit den Opfern, den sozialen Bewegungen und den Forschern ist dabei unerlässlich", sagte de Freitas. Er deutete an, dass er einem außergerichtlichen Verfahren den Vorzug vor einer öffentlichen Zivilklage geben werde, bei der es zehn oder sogar 20 Jahre dauern kann, bis ein endgültiges Ergebnis vorliegt.

Laut de Freitas wird die Aufgabe der Bundesstaatsanwaltschaft nun darin bestehen, zu überprüfen, welche der von den Forscher:innen vorgebrachten Elemente Menschenrechtsverletzungen darstellen und welche der gesammelten Belege als Beweismittel in einer möglichen öffentlichen Zivilklage dienen oder an den Verhandlungstisch gebracht werden, um mit den Unternehmen oder ihren Nachfolgern zu verhandeln und ein Schuldeingeständnis zu erreichen und eine Vereinbarung auszuhandeln.

Im Fall der deutschen Mannesmann, zu denen der Bericht Ende des Jahres vorliegen soll, wäre dies die britische Vodafone.