Chile: Kommission zur Lösungsfindung der Landfrage der Mapuche einberufen

Die "Kommission für Frieden und gegenseitiges Verständnis" soll einen Fahrplan zur Rückgabe von Land der indigenen Mapuche erarbeiten

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Boric stellt am 21. Juni seine "Kommission für Frieden und gegenseitiges Verständnis" vor
Boric stellt am 21. Juni seine "Kommission für Frieden und gegenseitiges Verständnis" vor

Santiago. Im Regierungsgebäude in der chilenischen Hauptstadt hat sich zum ersten Mal die achtköpfige "Präsidialkommission für Frieden und gegenseitiges Verständnis" getroffen. Vier Vertreter:innen der Mapuche und weitere vier Personen, die rechten Parteien und Großgrundbesitzer:innen nahe stehen, sollen gemeinsam einen konkreten Plan zum Umgang mit den Mapuche-Ländereien vorschlagen.

Im Januar 2024 will Präsident Gabriel Boric die Ergebnisse der Öffentlichkeit vorstellen. Dies soll anlässlich des 200. Jahrestages des Vertrags von Tapihue geschehen, dem letzten Abkommen, in dem der chilenische Staat die Autonomie der Mapuche anerkannte.

Mitglieder der Kommission auf Seiten der Mapuche sind unter anderem der ehemalige Bürgermeister der Kleinstadt Tírúa, Adolfo Millabúr, die Parlamentarierin der Sozialistischen Partei, Emilia Nuyado, und der Senator der Christdemokratischen Partei, Francisco Huenchumilla.

Auf Seiten der Rechten und Großgrundbesitzer:innen sind unter anderem die Senatorin der ultrarechten Partido Republicano, Carmen Gloria Aravena, und Alfredo Moreno vertreten, der unter Präsident Sebastián Piñera Intendant in der Región de la Araucanía war.

Moreno und Huenchimilla gelten als politische Schwergewichte in der Region, dementsprechend wurden sie von Präsident Boric dazu ausgewählt, die "Comisión Presidencial para La Paz y el Entendimiento" als Doppelspitze zu leiten.

Die Kommission habe nicht zum Ziel "ein weiteres Mal festzustellen, welche Probleme es gibt, sondern konkrete politische Aktionen vorzuschlagen, um die historische Schuld mit den Mapuche zu begleichen", sagte bereits im Januar Victor Ramos gegenüber amerika21. Ramos wurde von der Regierung eingesetzt, um sie ins Leben zu rufen. Inhaltlich basiert ihre Arbeit auf dem "Bericht zur historischen Wahrheit und einen neuen Umgang mit den indigenen Völkern" aus dem Jahr 2003. Damals stellte eine weitere Kommission unter anderem fest, dass den Mapuche Ländereien durch den Staat und später durch Siedler:innen weggenommen wurden.

Auf der Grundlage des damaligen Berichts wurde die Corporación Nacional de Desarrollo Indígena (Conadi) damit beauftragt, Ländereien aufzukaufen und an Mapuche-Gemeinschaften zu verteilen. Doch der Prozess läuft für die Gemeinschaften zu langsam und die Conadi wird laufend dafür kritisiert, nicht einmal alle verfügbaren finanziellen Mittel für den Landkauf einzusetzen.

Der Historiker und Mapuche, Claudio Alvarado Lincopi, sieht die Gründung der Kommission als positiv, "wenn deren Mitglieder es schaffen, die Rückgabe der Ländereien zu beschleunigen. So würde es einen enormen Vertrauensschub für zukünftige Kommissionen und die Suche nach einer institutionellen Lösungen geben", sagt er gegenüber amerika21. Zu häufig hätte der Staat in den letzten 30 Jahren Versprechen gemacht und sie später nicht eingehalten. Um die Gewalt zu mindern, bräuchte es aber Vertrauen in gewaltfreie Lösungswege.

Der ultrarachte Sebastián Naveillán, der ebenfalls als Vertreter der Siedler:innen und Großgrundbesitzer:innen in der Kommission sitzt, sieht dies nicht so. Er erklärt gegenüber amerika21, es habe keinen Landraub durch Siedler:innen gegeben und fügt hinzu: "Ich bin gegen Landverteilung". Für ihn stehe vielmehr finanzielle Entschädigung und eine Liberalisierung des Gesetzes für indigene Ländereien im Raum.

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Die Kommission (v.l.n.r.): Sebastián Naveillán, Carmen Gloria Aravena, Francisco Huenchumilla, Alfredo Moreno, Emilia Nuyado, Adolfo Millabúr und Gloria Callupe. Es fehlt Juan Pablo Lepin
Die Kommission (v.l.n.r.): Sebastián Naveillán, Carmen Gloria Aravena, Francisco Huenchumilla, Alfredo Moreno, Emilia Nuyado, Adolfo Millabúr und Gloria Callupe. Es fehlt Juan Pablo Lepin

Bislang verbietet ein Gesetz, ursprünglich aus der Zeit des sozialistischen Präsidenten Salvador Allende, den Verkauf und die Vermietung von indigenen Ländereien an Nicht-Indigene. Dies soll dem Verlust ihrer Ländereien vorbeugen und den Betrug verhindern. Bis weit in die 1980er Jahre kam es trotzdem zu Landkauf und -verpachtungen zu Spottpreisen.

Der Verkauf und die Vermietung soll zur Kapitalisierung der Ländereien führen, behaupten rechte Akteure seit Jahren. Auch der ehemalige Präsident Piñera versuchte dies zu ermöglichen. Linke Akteure und viele Mapuche entgegnen, dass es an staatlicher Hilfe für Indigene fehle, um Landwirtschaft zu betreiben und etwa Maschinen oder Saatgut zu kaufen. Die Möglichkeit des Verkaufs an Nicht-Indigene würde einzig zum Verlust der eigenen Ländereien und zur erneuten Vertreibung in die Städte führen.

Nicht beteiligt an der Kommission sind Vertreter:innen von militanten Mapuche-Organisationen, wie der Coordinadora Arauco Malleco, die regelmäßig Angriffe gegen Forstunternehmen und Großgrundbesitzer durchführen. Sie äußerten sich nicht zur Gründung der Kommission.

Die Rechtsanwältin Karina Riquelme kritisiert gegenüber amerika21 das reduzierte politische Spektrum innerhalb der Kommission. Sie sagt: "Die Mitglieder kommen ausschließlich aus einem Zirkel von Akteuren, die immer im Rahmen der offiziellen Politik gearbeitet haben. Indigene Gemeinschaften, die mehr Autonomie vom Staat haben wollen, wurden komplett außen vor gelassen".

Riquelme verteidigt als Anwältin Mapuche, die vom Staat juristisch verfolgt oder Opfer von Polizeigewalt wurden. Sie kritisiert zudem die Präsenz von politischen Akteuren, die durch rassistische Aussagen in der Öffentlichkeit aufgefallen seien. Gemeint ist damit unter anderem der Vertreter von Großgrundbesitzer:innen, Sebastián Naveillán.

Abgesehen von Naveillán hüllen sich die Mitglieder bislang in Schweigen über ihre politischen Positionen innerhalb der Kommission. Es heißt einzig, der Umgang sei höflich und man habe sich darauf geeinigt, alle Beschlüsse im Konsens zu verfassen. In den kommenden Monaten will die Kommission sowohl in der Hauptstadt Santiago als auch in verschiedenen Städten und Dörfern der betroffenen Region tagen.