Bolivien / Politik

Offener Konflikt in Boliviens Regierungspartei MAS

MAS-Kongress schließt Präsident Arce und weitere Regierungsvertreter aus. Zahlreiche soziale Organisationen nahmen am Parteitag nicht teil. Morales zum Präsidentschaftskandidaten gewählt

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Morales (am Mikrophon) beim MAS-Kongress in Lauca Ñ
Morales (am Mikrophon) beim MAS-Kongress in Lauca Ñ

Lauca Ñ/La Paz. Der am Donnerstag zu Ende gegangene Kongress der regierenden Bewegung zum Sozialismus (MAS) hat die Anhänger:innen von Parteichef und Ex-Präsident Evo Morales und die der Regierung von Präsident Luis Arce endgültig entzweit.

Auf dem zehnten Kongress der MAS in Lauca Ñ in Cochabamba am 3. und 4. Oktober, den Morales einberufen hatte und an dem rund 15.000 Delegierte teilgenommen haben sollen, wurde dieser im Amt des Parteivorsitzenden bestätigt. Elizabeth Paco, die der Gewerkschaftsbund der interkulturellen Gemeinschaften Boliviens vorgeschlagen hatte, wurde zur Vizevorsitzenden gewählt.

Präsident Arce und sein Vizepräsident David Coquehuanca und zahlreiche weitere Regierungsmitglieder nahmen nicht teil.

Die Spannungen innerhalb der Regierungspartei ziehen sich bereits durch die gesamte Regierungszeit Arces und begannen mit Streitigkeiten um die Zusammensetzung des Kabinetts. Die Krise hatte sich zugespitzt, seit der sogenannte "radikale" Flügel um Morales den "Erneuerern" um Arce vorwirft, von den Leitlinien des Parteiprogramms abzuweichen und rechte Politik zu betreiben, auch Fälle von Korruption und Verbindungen zum Drogenhandel in der Regierung wurden angeprangert. Belege hierfür wurden indes öffentlich nicht bekannt gemacht.

Der Konflikt spiegelte sich auch im Parlament wider, wo sich die Regierungsfraktion im Januar nach dem Ausschluss von mindestens zwölf Abgeordneten des "Erneuerer"-Flügels aus der MAS aufspaltete. Der Streit eskalierte weiter, als im Juli der umstrittene Regierungsminister Carlos Eduardo Del Castillo im Amt bestätigt wurde.

Zum offenen Bruch kam es im August, nachdem Morales Justizminister Iván Lima der Korruption beschuldigt hatte. Lima kündigte daraufhin eine Verleumdungsklage gegen Morales an und erklärte, dieser sei nun zu weit gegangen und es gebe die Absicht, ihn abzusetzen.

Die MAS-Direktion bezeichnete diese Drohungen als "Hochverrat". Damit werde versucht, ihren Anführer ins Gefängnis zu bringen und seine Disqualifizierung für die Wahlen 2025 zu erreichen. Die Leitung forderte Arce auf, sich eine neue Partei zu suchen, falls er erneut kandidieren wolle.

Mit dem Kampf um die Präsidentschaftskandidatur für die Wahlen 2025 verschärfte sich die Situation in den letzten Wochen weiter. Morales hatte bereits einige Tage vor dem Kongress seine Kandidatur bekannt gegeben und sich damit gegen die Regierung gestellt. Dieser warf er vor, die MAS "mit politischen Prozessen zu entmachten, ja, uns sogar physisch zu eliminieren". Er beschuldigte sie des "Verrats" an der Bewegung. In seiner Abschlussrede unterstellte er der Regierung eine Sabotage des Kongresses, die schlimmer sei "als die Diktaturregierung und die neoliberalen Regierungen es versuchen wollten."

Aufgrund der Abwesenheit von Arce und Coquehuanca wurde am Ende des MAS-Kongresses der "Selbstausschluss" der beiden sowie weiterer Abgeordneter, die die Regierung unterstützen, beschlossen. Ex-Minister Carlos Romero begründet dies damit, dass sie sich "nicht mehr als Teil des Veränderungsprozesses" verstehen würden.

Arce selbst hatte in den Tagen vor dem Kongress in den sozialen Medien Schreiben verschiedener sozialer und gewerkschaftlicher Organisationen veröffentlicht, in denen sie ihre Loyalität gegenüber der Regierung bekundeten und Versuche verurteilten, diese "zu destabilisieren".

Mehr als 50 soziale Organisationen, darunter die wichtigste Vertretung der Arbeitnehmer:innen des Landes, COB, haben nicht an dem Kongress der MAS teilgenommen. Mitbegründer der Bewegung, wie der Gewerkschaftsbund der bolivianischen Landarbeiter (CSUTCB) und der Nationale Bund der indigenen Bäuerinnen Boliviens-Bartolina Sisa bezeichneten ihn als "illegal und illegitim" und kündigten an, seine Entscheidungen nicht anzuerkennen. Sie begründeten dies mit der schwindenden Teilhabe der sozialen Organisationen und Gewerkschaften, die die Bewegung von Anfang an getragen hätten. So wurden ihnen im Vergleich zu früheren Kongressen nur wenige Delegiertenplätze zuerkannt, stattdessen hätten Vertreter:innen des direkten Parteiapparats überwogen.

Als Alternative rufen sie zu einer Versammlung am 17. Oktober in El Alto "zur Verteidigung der Demokratie, des Landes und des politischen Instruments für die Souveränität der Völker" auf. Der vollständige Name der MAS lautet Movimiento al Socialismo – Instrumento Político por la Soberanía de los Pueblos (MAS-IPSP), Bewegung zum Sozialismus – Politisches Instrument für die Souveränität der Völker.

Einige Stunden vor Beendigung des Kongresses wurde bekannt, dass die Verfassungskammer des Gerichtshofs des Departamento Santa Cruz ihn für widerrechtlich erklärt hatte. Mit dem Urteil wurde der Klage der Sprecherin von "Bartolina Sisa", Felipa Montenegro, stattgegeben, die gegen den Ausschluss vom Kongress Einspruch erhoben hatte. Damit sind theoretisch auch die Kongress-Beschlüsse ausgesetzt "bis die verletzten Rechte wiederhergestellt sind". Das Urteil wird jedoch von der MAS ignoriert.

In der Zeitung El País erörterte der Journalist Fernando Molina die Möglichkeit, dass aus dem Konflikt zwei MAS-Parteien hervorgehen könnten. "Das Problem", wie er schreibt, "wird dann in die Hände des Wahlgerichts übergehen, das entscheiden muss, welche der beiden Gruppierungen legal ist und welche ihren Namen ändern muss. Die Konkurrenz um den traditionellen Namen und die Banner der größten Partei Boliviens ist sehr wichtig, um die Unterstützung der ländlichen Wählerschaft zu gewinnen, die in den letzten 20 Jahren immer für diese Symbole gestimmt hat."

Die MAS regierte mit Evo Morales ab Ende 2005 bis zum Putsch im 10. November 2019 das Land und stellt seit Dezember 2020 mit Luis Arce an der Spitze erneut die Regierung.