Bogotá. Präsident Gustavo Petro hat die Aufhebung seiner partiellen Immunität durch eine Entscheidung des Staatsrates als verfassungswidrig und als Weg zu einem "sanften Putsch" angeprangert. Laut Verfassung darf nur die Anklagekommission des Repräsentantenhauses gegen Kolumbiens Präsidenten ermitteln. Der Staatsrat entschied jedoch, dass der Nationale Wahlrat (CNE) Petro im Zusammenhang mit seiner Wahlkampagne 2022 untersuchen und anklagen darf.
Zwei Richter des CNE, die der rechten und mitterechten Opposition angehören, streben eine Anklage des Plenums der Wahlbehörde gegen Petro wegen angeblicher Überschreitung der zulässigen Obergrenzen für die Wahlkampffinanzierung an. Die Abstimmung findet am 30. September statt.
Einer der beiden Richter des CNE ist Álvaro Hernán Prada von der ultrarechten Partei Centro Democrático. Gegen ihn läuft derzeit ein Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wegen Komplizenschaft mit Ex-Präsident Álvaro Uribe bei der Manipulation von Zeugen. Prada ist auch seit langem für seine ausgeprägte Feindseligkeit gegenüber Petro bekannt, den er als Teil der "Inthronisierung des Kommunismus" bezeichnete, der "unschuldige Militärs, Polizisten und Politiker mit allen möglichen Lügen verfolgt".
Der andere CNE-Richter, Benjamin Ortiz von der Liberalen Partei, soll sein Amt einem ehemaligen Funktionär verdanken, der ein Mitglied des Centro Democrático im Korruptionsskandal um das brasilianische Bauunternehmen Odebrecht gedeckt haben soll.
Laut einer Untersuchung der beiden CNE-Richter soll eine Spende für die Wahlkampagne von Petro im Jahr 2022 die zulässige Finanzierungsobergrenze um 5,3 Milliarden Pesos (rund 1,2 Millionen Euro) überschritten haben. Darunter 2,1 Milliarden Pesos, die der damalige Kandidat Petro nach Ansicht der CNE-Richter für Flüge mit einem gemieteten Flugzeug der Firma Sadi SAS während des Wahlkampfes ausgegeben hatte und die dem CNE nicht gemeldet worden waren. Der Präsident bezeichnete dies als "stümperhafte These".
Laut den Anwält:innen von Petro zählte die Untersuchung des CNE andere Flüge des Sadi-Flugzeugs zwischen März und Juni 2022, die nichts mit den Reisen des damaligen Kandidaten zu tun hatten. Sie begründen dies mit Beweisen in einem detaillierten Bericht, den sie der Anklagekommission des Repräsentantenhauses vorgelegt haben.
Prada und Ortiz werfen Petros Wahlkampf außerdem vor, eine Spende von 500 Millionen Pesos (etwa 125.000 Euro) der Gewerkschaft der Dozent:innen nicht gemeldet zu haben. Die Sprecher:innen der Kampagne und Fecode selbst sagen, dass der Beitrag für Petros Partei Colombia Humana und nicht für die Wahlkampagne bestimmt war. In Kolumbien sind Spenden von juristischen Personen an Wahlkampagnen verboten.
Mit dem Geld von Fecode wurden Wahlzeug:innen bezahlt. Die Richter des CNE sagen, dies seien Wahlkampfkosten. Das Wahlbündnis hinter Petro erklärte hingegen, die Arbeit der Wahlzeug:innen fange an, nachdem der Wahlkampf beendet ist. Auch die Wahlkampagnen der Ex-Präsidenten Iván Duque und Juan Manuel Santos hätten solche Ausgaben nicht als Teil des Wahlkampfes deklariert und der CNE habe nichts dagegen unternommen.
Es bleibt offen, wie die neun Richter:innen des CNE-Plenums am 30. September abstimmen werden. Sie wurden von den Fraktionen des Kongresses gewählt. Die Regierungskoalition des Pacto Histórico zählt auf die Stimmen von drei Richter:innen. Sie hat keine Mehrheit in der Wahlbehörde.
Angesehene Jurist:innen kritisieren wie Petro, dass der Staatsrat den CNE ermächtigt hat, gegen den Präsidenten zu ermitteln und ihn anzuklagen. Neben dem Argument, dass der CNE keine Befugnisse gegenüber dem Präsidenten habe, weisen sie darauf hin, dass der Staatsrat als oberstes Verwaltungsgericht nicht befugt sei, Kompetenzkonflikte zwischen dem CNE und der Anklagekommission des Repräsentantenhauses zu entscheiden. Letztere sei kein Verwaltungsorgan und falle daher nicht unter die Zuständigkeit des Staatsrates. Zuständig sei das Verfassungsgericht.
Progressive Beobachter:innen innerhalb und außerhalb Kolumbiens sehen in den jüngsten Entwicklungen rund um den Staatsrat und den CNE den Versuch eines juristischen Krieges gegen die Regierung Petro. "Die lokalen Oligarchien geben ihren Putschgeist nicht auf und haben nun beschlossen, den Staatsrat als trojanisches Pferd zu benutzen", heißt es in einer Kolumne der argentinischen Philosophieprofessorin und Kolumbien-Expertin Luciana Cadahia.
Auch der landesweite Streik der großen Transportunternehmen in der ersten Septemberwoche wird von Cadahia, Regierungsvertreter:innen und alternativen Medien als Teil des Putschversuchs rechter Kreise eingeordnet. Viele mittelgroße Transportfirmen und die LKW-Fahrer:innen fühlten sich von den Streiks der Chefs nicht repräsentiert. Sie hatten ihre eigenen Forderungen, auf die die Regierung schnell einging. Nach einer Woche wurde der Streik beendet.
"Wir haben uns wie zu Hause gefühlt", sagte ein LKW-Fahrer, der mit der Regierung am Verhandlungstisch saß. "Endlich konnten wir direkt mit der Regierung verhandeln, ohne die großen Unternehmen."