Argentinien muss sich vor Interamerikanischer Kommission für Menschenrechte verantworten

Schwere Vorwürfe gegen Regierung Milei bei den Anhörungen. Kürzungen und Entlassungen in allen Bereichen führen zu Menschenrechtsverletzungen

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Die Anhörung vor dem CIDH fand per Telekonferenz statt
Die Anhörung vor dem CIDH fand per Telekonferenz statt

Buenos Aires/Washington. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (CIDH) hat den Staat Argentinien in drei öffentlichen Anhörungen zu der Situation der Menschenrechte unter der Regierung von Präsident Javier Milei befragt.

Die Anhörungen fanden am 14. November statt und hatten drei thematische Schwerpunkte: Auswirkungen der Sozialpolitik auf die Arbeitnehmer:innen; Situation der Maßnahmen zur Verhütung, Bestrafung und Beseitigung geschlechtsspezifischer Gewalt; sowie Erinnerungs- und Wahrheitspolitik und Menschenrechte.

In allen drei Anhörungen argumentierte der Ex-Richter Alberto Baños, der den Staat Argentinien vertrat, dass "die Kürzungen der Haushaltsmittel, die Schließung überflüssiger Stellen und der Abbau von ineffizientem Personal mit dem Willen zu einer Umstrukturierung zu tun haben, die eine Wiederbelebung der Wirtschaft ermöglicht".

Die Organisationen der Zivilgesellschaft legten ihrerseits ausführliche Berichte über die negativen Auswirkungen der staatlichen Anpassungs- und Deregulierungspolitik vor und betonten zudem deren Auswirkungen auf andere lateinamerikanische Länder.

In der ersten Anhörung berichtete Natalia Zara, Mitglied der Bewegung der marginalisierten Arbeiter, von der Situation in den Arbeitervierteln und mangelnder Lebensmittelversorgung durch Kürzungen bei den Suppenküchen: "Die Einrichtungen [...] sind ein wichtiges Instrument zur Eindämmung der Unterernährung. Aber wenn sich der Staat zurückzieht, nimmt der Drogenhandel zu."

Alejandro Gramajo, Generalsekretär der Gewerkschaft der Arbeitenden der popularen Wirtschaft, erläuterte die Folgen der Anpassungspolitik: "In unserem Land gibt es zehn Millionen Obdachlose, es gibt mehr als 20 Millionen Landsleute, die in Armut leben, die nicht jeden Tag essen können, die Mahlzeiten auslassen."

Die zweite Anhörung zum Thema "Situation der Politiken zur Verhütung, Bestrafung und Beseitigung von geschlechtsspezifischer Gewalt" behandelte die Schließung des Ministeriums für Frauen, Geschlechter und Diversität und seine anschließende Verkleinerung zum Untersekretariat für den Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt, die drastische Reduzierung der Zentren für den Zugang zur Justiz, und die Streichung der Programme, die Opfern von geschlechtsspezifischer Gewalt umfassende Unterstützung boten.

Natalia Gerardi, Exekutivdirektorin der Gruppe für Gerechtigkeit und Gender, beklagte vor der Kommission: "Seit ihrem Amtsantritt hat die derzeitige Regierung systematisch die Rechte von Frauen, Mädchen, Jugendlichen und LGBT-Personen angegriffen. Sie hat erfolgreiche staatliche Maßnahmen rückgängig gemacht, die für die Gewährleistung dieser Rechte zuständigen Institutionen ohne Beweise diskreditiert, willkürlich Haushaltsmittel gekürzt und das Personal, das die Umsetzung der staatlichen Maßnahmen unterstützt hat, durch massive Entlassungen reduziert. Mit diesen Maßnahmen verstößt der Staat gegen internationale Abkommen und Verträge."

Der Vertreter des argentinischen Staates vor der Kommission negierte, dass überhaupt politische Maßnahmen existieren würden, die auf den Schutz, die Begleitung und die Unterstützung dieser vulnerablen Personen abzielten und es dementsprechend auch keinen Rückgang in der Finanzierung oder eine Demontage gegeben haben könne.

ln der dritten Anhörung zu Erinnerungs- und Wahrheitspolitik legten zivilgesellschaftliche Organisationen die Rückschritte unter der aktuellen Regierung dar. Sie führten aus, wie die Exekutive seit Dezember 2023 ihre Wahlversprechen durch die symbolische und materielle Zerstörung der Politik der Erinnerung konkretisiert habe. Zentral beklagten sie die Streichung der Finanzierung der Nationalen Bank für Genetische Daten und der Belohnungen für die Suche nach Geflüchteten von Verbrechen gegen die Menschheit, die Schließung der Nationalen Kommission für das Recht auf Identität (CoNaDI) für die Suche nach entführten Enkelkindern und des Teams für Dokumentenerhebung und -analyse des Verteidigungsministeriums, das auf die Öffnung der Archive abzielt.

Juan Battaleme, Sekretär des Verteidigungsministeriums, begründete die "Anpassungen" mit der Notwendigkeit, angesichts der Wirtschaftskrise "die Ressourcen zu optimieren". Zur Position der Regierung bezüglich der Öffnung der Akten von Angehörigen der Streitkräfte, um deren Beteiligung am Staatsterrorismus zu ermitteln, sagte er: "Wir können unter keinen Umständen allgemeine Nachforschungen zulassen. Ich möchte Sie daran erinnern, dass alle Informationen in den Personalakten von Militärangehörigen als Militärgeheimnis eingestuft sind."

Beschwerdeverfahren vor der Interamerikanischen Kommission gegen den argentinischen Staat mehren sich seit dem Amtsantritt Mileis. Im Juli dieses Jahres gab es bereits eine Anhörung zur exzessiven Gewaltanwendung bei den Protesten gegen die Sozialreformen sowie zur Kriminalisierung von Protestierenden.

Die CIDH und ihr Büro des Sonderberichterstatters für Meinungsfreiheit untersuchen zudem Berichte zur massiven Polizeigewalt bei den Protesten gegen Kürzungen an den Universitäten. Sie fordern den Staat auf, die Rechte auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung zu respektieren sowie die Sicherheit der Teilnehmenden zu gewährleisten. Demonstrationen gegen Kürzungen an öffentlichen Universitäten bewegen das Land seit Anfang des Jahres (amerika 21 berichtete).