Montevideo. Nach 25 Jahren zäher Verhandlungen haben sich die Europäische Union (EU) und die Mercosur-Staaten auf ein Freihandelsabkommen geeinigt. Auf dem Gipfel des Mercosur in Montevideo gab EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Durchbruch bekannt. Das Abkommen soll die größte Freihandelszone der Welt schaffen, die über 700 Millionen Menschen umfassen könnte. Doch während die Delegierten von einem historischen Erfolg sprechen, regt sich aus Lateinamerika und Europa auch Kritik.
Grundsätzlich spiegeln die Produkte des Austauschs im Freihandel das traditionelle Schema der Ungleichheit. Während die Palette der Waren aus Lateinamerika nach Europa vorwiegend Rohstoffe und Agrarerzeugnisse umfasst, wird sich deren Markt für hochveredelte Produkte aus dem Maschinenbau und weitere hochtechnologisch erzeugte Waren aus Europa öffnen, die strukturell die höheren Gewinnmargen versprechen.
Schon einige Tage vor der öffentlichen Ankündigung auf dem 65. Gipfel des Mercosur – dem Brasilien, Argentinien, Venezuela, Paraguay und Uruguay angehören – gab es Hinweise auf ein Ende der Verhandlungen. So schrieb von der Leyen auf der Plattform X bereits am Donnerstag, dass die Einigung "in greifbarer Nähe liegt".
Ähnlich hatte sich Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva auf einer Veranstaltung des Nationalen Industrieverbands geäußert, als er versprach, dass das Abkommen trotz des Widerstands aus Frankreich unterzeichnet werde. Das Ziel seiner Regierung sei, das lang erwartete Übereinkommen in diesem Jahr abzuschließen.
Gerade Deutschland hatte in letzter Zeit darauf gedrängt, den finalen Text endlich den EU-Staaten zur Abstimmung vorzulegen. Dabei könnte der handelspolitische Teil der Übereinkunft per Mehrheitsentscheidung im Rat der EU und dem europäischen Parlament beschlossen werden und würde so keine Einstimmigkeit benötigen.
Sowohl aus Europa als auch aus Lateinamerika hagelte es indessen Kritik an dem Vertrag. Neben den Regierungen aus Polen und Frankreich sprachen sich in den letzten Wochen auch der Europäische Gewerkschaftsdachverband (ETUC) und die südamerikanische Koordination der Gewerkschaftszentralen (CSSCS) gegen das Abkommen aus. Bettina Müller von PowerShift, einem Verein für eine ökologisch-solidarische Energie- und Weltwirtschaft, sprach von einem "Schlag ins Gesicht all jener, die seit Jahren auf die krassen Folgen dieses Abkommens für Umwelt, Klima und Menschenrechte aufmerksam machen".
Der wichtigste französische Landwirtschaftsverband FNSEA erklärte, Präsident Emmanuel Macron müsse sich nun wirklich an die Arbeit machen, um eine europäische Mehrheit gegen den Freihandelspakt mit dem Mercosur aufzubauen, damit dieser "blockiert" werden könne. In einem Gespräch mit dem Fernsehsender BFM betonte FNSEA-Vizepräsident Franck Sander, wie wichtig das Engagement Macrons sei. Nach dem jüngsten Sturz der Regierung von Premierminister Michel Barnier könne er seit Donnerstag die Tagesgeschäfte des Landes alleine führen.
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Die Kritik von europäischen Bauern drückt die Befürchtung aus, dass ihre südamerikanische Konkurrenz sich nicht an dieselben Umweltstandards halten müsse, so dass sie einem unfairen Wettbewerb ausgesetzt sein werden.
Der uruguayische Präsident Luis Lacalle Pou erklärte hingegen: "Ein Abkommen dieser Art ist keine Lösung, es gibt keine magischen Lösungen (...), es ist eine Chance, und es liegt an jedem einzelnen von uns, wie schnell wir dieses Abkommen umsetzen, jeder einzelne von uns in seinen Ländern."
Einer der größten Gewinner des Abkommens könnte Brasilien werden. Nach Prognosen des Instituts für angewandte Wirtschaftsforschung (IPEA) könnte das Land mit einer Bevölkerung von etwa 217 Millionen Menschen aufgrund der Vereinbarung sein Bruttoinlandsprodukt zwischen 2024 und 2040 um 0,46 Prozent steigern. Es könne in der Handelsbilanz einen Gewinn von 302,6 Millionen Dollar erzielen, während der Vorteil für den Rest des südamerikanischen Blocks nur bei 169,2 Millionen Dollar liegen würde. Besonders die Landwirtschaft Brasiliens könnte profitieren. Nach China ist Europa der größte Importeur landwirtschaftlicher Erzeugnisse, laut Zahlen des zuständigen Ministeriums gingen 12,93 Prozent der Exporte nach Europa.
Die Frage der öffentlichen Ausschreibungen ist eine der wichtigsten Neuerungen des Textes von 2024 im Vergleich zur vorherigen Ausfertigung von 2019. Brasilien ist es gelungen, europäische Unternehmen von Ausschreibungen für sein öffentliches Gesundheitssystem fernzuhalten. Während dies vom Außenministerium als großer Erfolg herausgestellt wird, soll nun durch stärkere Umweltstandards auf europäische Vorbehalte eingegangen werden.
Trotz des Durchbruchs in Montevideo bleibt die Zukunft des EU-Mercosur-Abkommens ungewiss. Die EU-Kommission baut darauf, dass das Abkommen trotz der Widerstände aus Frankreich und anderen Ländern auf der erforderlichen nationalen Ebene verabschiedet werden kann und in Kraft tritt.
Abzuwarten sind die Auswirkungen eines möglichen Bündnisses zwischen Argentiniens Präsident Javier Milei und dem kommenden US-Präsidenten Donald Trump und dessen Einfluss auf Mercosur.