Covax: Von den guten Absichten an den Rand des Scheiterns

Dreißig Länder übergingen Covax und schlossen direkte Abkommen mit den Laboren ab. Und weil sie die Regale leerten, blieben nicht genug Dosen für Covax übrig

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Covax steckt voller guter Vorsätze ...
Covax steckt voller guter Vorsätze ...

Die Menschheit sah sich im Laufe der Geschichte regelmäßig mit der Bedrohung durch Epidemien und Pandemien konfrontiert. Die Versuche, die Bevölkerung zu schützen, hatten anfangs Erfolg durch die Entwicklung neuer Impfstoffe wie der gegen Pest und Cholera unter Führung des Bakteriologen Waldemar Haffkine. Es gab auch ernsthafte Hindernisse, wie einige Erfahrungen in Afrika und Asien belegen.

Die Pocken und die Schweinepest wurden merklich reduziert, ebenso die Diphterie, Typhus, die Poliomelithis und die Meningitis durch Haemophilus influenzae, Typ B.

Einige Coronaviren, die saisonal die Menschen infizieren und leichte Symptome verursachen, hat man identifiziert, aber das Auftreten des neuen zonotischen Coronavirus mit schwerem akutem respiratorischen Syndrom 2 (SARS-CoV-2) hat die aktuelle Erkrankung durch das Coronavirus 2019 (Covid-19) schnell zu einer weltweiten Pandemie ausgeweitet, verantwortlich für eine weit verbreitete Sterblichkeit.

Die schweren Verläufe von Covid-19 ähneln einer früheren infektiösen Gefahr, die man anfangs als Krankenhaus- oder Kindbettfieber, heute als Sepsis bekannt, bezeichnete. Untersuchungen bestätigen, dass die Infektion mit SARS-CoV-2 oftmals als eine Form der viralen Sepsis betrachtet wurde (bedingt durch die gemeinsamen Merkmale mit der bakteriellen Sepsis), der aber gleichzeitig einer Reihe von spezifischen und einzigartigen Symptomen zugeschrieben wird.

Die schnellen Fortschritte bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen SARS-CoV-2, besonders das Design von effizienten Impfstoffen mit RNA Botenstoffen (mRNA) und rekombinantem Adenovirus waren ausschlaggebend beim Ausbremsen der Pandemie. Sie sind jedoch zu einem anschaulichen Beispiel für die räuberische Natur des globalisierten Kapitalismus und dafür geworden, wie die Weltmacht agiert.

Covax steckt voller guter Vorsätze

Was auf Englisch "Covid-19 Vaccines Global Access" (Covid-19 Globaler Impfstoff-Zugang, Covax) genannt wird, ist eine Initiative des gleichnamigen Fonds, ein Bündnis von 190 Ländern, angestoßen durch staatliche und private Akteure mit dem Ziel, den gleichberechtigten Zugang zu den Impfstoffen, die gegen Covid-19 entwickelt werden können, zu garantieren.

Geleitet wird Covax von der Weltweiten Allianz für Impfstoffe und Immunisierung (Global Alliance for Vaccines and Immunisation, Gavi ), der Koalition für Innovationen in der Epidemievorbeugung (Coalition for Epidemic Preparedness Innovations, Cepi) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und ist "einer der Stützpfeiler für den beschleunigten Zugang zu Werkzeugen gegen Covid-19, eine Allianz, die im April 2020 von der Weltgesundheitsorganisation, der Europäischen Kommission und der französischen Regierung auf den Weg gebracht wurde."

Auf der Homepage von Gavi heißt es, dass es "die einzige wirklich globale Lösung für diese Pandemie ist, weil es die einzige Bemühung ist, um zu garantieren, dass die Menschen in allen Ecken der Welt und unabhängig von ihrem Reichtum Zugang zu den Impfstoffen gegen COVID-19 haben, sobald sie denn verfügbar sind".

Die Ziele des Covax-Mechanismus sind:

  • Impfdosen für mindestens 20 Prozent der Bevölkerung der jeweiligen Länder

  • Ein diversifiziertes und aktiv verwaltetes Impfstoffportfolio

  • Bereitstellung der Impfstoffe, sobald sie verfügbar sind

  • Die Akutphase der Pandemie zu beenden

  • Die Volkswirtschaften wieder aufzubauen

Gavi setzt sich zum Ziel, die Forschung, die Entwicklung und die Produktion eines breiten Spektrums von Impfstoffkandidaten gegen Covid-19 zu unterstützen und die Preise dafür zu verhandeln. Alle teilnehmenden Länder hätten – unabhängig von ihrem Einkommensniveau – gleichen Zugang zu diesen Impfstoffen, sobald diese entwickelt wären.

Das anfängliche Ziel war, bis Ende 2021 zwei Milliarden Impfdosen zur Verfügung zu haben, was genug sein sollte, um die Hochrisiko- und gefährdete Personen sowie die Beschäftigten an vorderster Front im Gesundheitswesen zu schützen.

Der Mechanismus käme in gleicher Weise den reichen wie den armen Ländern zu Gute, weil er die Möglichkeiten für Ausbrüche reduzieren würde, indem er dafür sorgt, dass auch der Rest der Welt inmitten einer Pandemie, die die Weltwirtschaft jeden Monat 375 Milliarden Dollar kostet, Zugang zu den Impfstoffen hätte.

Andererseits wollten die Pharmaunternehmen das Risiko der Erweiterung ihrer Infrastrukturen nicht eingehen, bis ihre Impfstoff-Kandidaten Wirksamkeit bewiesen haben und zugelassen sind. Dies führte zu einer bedeutenden Verzögerung und anfangs zu einer Impfstoffknappheit führt.

Deshalb sah der Mechanismus vor, Investitionen und Fördermittel zur Verfügung zu stellen, um zu garantieren, dass die Produzenten bereit und in der Lage sind, die benötigten Dosen zu produzieren, sobald ein Impfstoff zugelassen wird. Ebenso würde man die gebündelte Nachfragemacht, die sich aus der Beteiligung von so vielen Ländern ergibt, nutzen, um äußerst wettbewerbsfähige Preise mit den Herstellern auszuhandeln und diese dann an die teilnehmenden Länder weitergeben.

Wenn die Realität eintritt

Verschiedene akademische und politische Stimmen haben Covax als gescheitert bezeichnet; die meist verbreitete war die eines Positionspapiers in der angesehenen britischen Medizin-Zeitschrift The Lancet, unterzeichnet von Ann Danaiya Usher. Darin werden die reichen Länder scharf kritisiert und für das Versagen des Mechanismus verantwortlich gemacht. Sie bekräftigt, dass die Initiative geschaffen wurde, um auf der Grundlage der Solidarität und Gleichheit Impfstoffe gegen Covid-19 für alle bereitzustellen: "Statt dessen basiert er auf dem 'guten Willen' der reichen Länder, ihre Impfdosen zu teilen."

In einer Erklärung aus dem vergangenen Mai sagte die Exekutivdirektorin des UN- Kinderhilfswerks (Unicef), Henrietta Fore, dass das Programm Covax, dafür ausgelegt, den gleichberechtigten Zugang zu den Impfstoffen zu garantieren, in Bälde seine 65 millionste Dosis übergeben würde (bis zum heutigen Tag wurden 72 Millionen verteilt), aber es hätten schon mindestens 170 Millionen sein müssen. Sie sagte voraus, dass sich bei Anhalten der tödlichen Welle in Indien und seinen Nachbarländern das Defizit Anfang Juni, wenn die G7-Führer zusammentreffen, schon auf 190 Millionen Dosen belaufen würde.

Die WHO schätzt, dass elf Milliarden Impfdosen gebraucht werden, um mit der Pandemie fertig zu werden und Covax davon zwei Milliarden verteilen würde, um 30 Prozent der von den 92 Ländern mit niedrigem Einkommen benötigten Mengen abzudecken, was derzeit unmöglich ist.

Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind zwar zwei Milliarden Impfdosen verteilt worden, aber in sehr ungleicher Weise und Covax zeichnete für weniger als vier Prozent verantwortlich.

Schwierig schien das Ziel zu erreichen, 8,3 Milliarden Dollar einzusammeln, jedoch hat Covax schon mehr als 6,6 Milliarden zusammen bekommen, das sind 80 Prozent des Haushaltes.

Sogar die Länder, die schon in den Genuss des Mechanismus gekommen sind, laufen Gefahr, die Verabreichung der zweiten Dosis nicht zu schaffen, zwischen 30 und 40 Länder sind dazu nicht in der Lage, weil es ihnen an Impfstoff fehlt.

Der Forscher Gavin Yamey von der Universität Duke (Durham, NC, USA), der an der Entwicklung des Covax-Mechanismus beteiligt war, sagte, dass "selbst bei vollständiger Finanzierung" die Bereitstellung durch Covax "viel langsamer war als in den Ländern mit hohen Einkommen" und dass "heute zehn Länder über 75 Prozent aller Impfstoffe gegen Covid-19 bestimmen, aber in den armen Ländern die Beschäftigten des Gesundheitswesens und die Menschen mit Grunderkrankungen keinen Zugang zu den Impfstoffen haben."

Währenddessen schlossen Länder, die die Impfstoffe bezahlen konnten, bilaterale Verträge mit den Pharmaunternehmen ab, "sicherten sich einen Platz vorne in der Schlange" und Covax wurde, da der Mechanismus nicht über die Mittel verfügt, um mitzuhalten, abgehängt, so die Kritik.

Das Serum-Institut in Indien (SII), der weltweit größte Produzent von Impfstoffen, der weitere 900 Millionen Dosen liefern sollte, kündigte an, bis Ende des Jahres nicht an Covax und auch an keinen anderen ausländischen Kunden weitere Mengen an Impfstoffen liefern zu können – bedingt durch den Anstieg der Fallzahlen und Todesfälle durch die Delta-Variante von SARS-CoV-2.

Im August 2020, während Donald Trump noch Schutzmaßnahmen und Lockdown ablehnte, hatten die USA schon sieben Vereinbarungen mit sechs Unternehmen erreicht, wodurch sie 800 Millionen Dosen bekommen würden, genug um 140 Prozent ihrer Bevölkerung zu impfen. Großbritannien schloss seinerseits sechs Abkommen, die ausreichen würden, 225 Prozent seiner Bevölkerung zu impfen; und die Europäische Union fünf Abkommen, die ihr 500 Millionen Dosen sicherten. Diese frühen Investitionen erlaubten es den reichen Ländern, sich die ersten Plätze bei der Belieferung mit Impfstoffen zu sichern, sobald diese bereitstünden.

Wie es weiter im The Lancet-Text heißt: "Dreißig Länder übergingen Covax und schlossen große Abkommen direkt mit den Laboren ab" und "hatten großes Glück, dass die Impfstoffe funktionierten. Und weil sie die Regale leerten, blieben nicht genügend Dosen für Covax übrig."

Ein verordnetes Scheitern?

Der transnationale US-amerikanische Konzern Pfizer vereinbarte im Januar, Covax im Jahr 2021 40 Millionen Dosen zur Verfügung zu stellen, aber Mitte Mai hatte er nur 1,25 Millionen Dosen geliefert, weniger als er an einem einzigen Tag produziert. Der Konzern hat mit der EU vereinbart, bis über die Mitte des Jahres 2023 hinaus 1,8 Milliarden Dosen zu liefern.

Covax hat andere Verträge, einige davon wurden im Mai während der Tagung der G20 angekündigt
aber es wurden wenige oder gar keine Impfdosen versandt:

  • Pfizer/BioNTech, Moderna und Johnson&Johnson verpflichteten sich, in den Jahren 2021 und 2022 3,5 Milliarden Impfdosen an die am meisten benachteiligten Länder zu spenden. In diesem Jahr sollen etwa 1,3 Milliarden Dosen geliefert werden, der Rest in 2022.

  • Pfizer soll zwei Milliarden Dosen zur Verfügung stellen.

  • Johnson& Johnson "bis zu" 500 Millionen.

  • Die EU kündigte an, dass sie 100 Millionen Dosen anbieten würde, Italien 300 Millionen Euro beitragen und Frankreich 30 Millionen Dosen, alles über Covax.

  • 350 Millionen Dosen des Impfstoffs Novavax sollen ab Ende 2021 bis 2022 geliefert werden.

Jedoch sieht die Wirklichkeit in Lateinamerika und der Karibik weiterhin so aus, wie im Folgenden aufgezeigt :

Schon im vergangenen April erklärten Politiker wie die Präsidenten Guatemalas und der Dominikanischen Republik, Alejandro Giammattei und Luis Abinader, den Covax- Mechanismus für gescheitert". So formulierten sie es in ihren Redebeiträgen bei einer Gesprächsrunde im Rahmen des Iberoamerikanischen Unternehmertreffens, das in Andorra stattfand.

Giammattei brandmarkte "eine kleine Gruppe von Ländern, die alle Impfungen hat, während die große Zahl der Länder gar keine hat" als unverantwortlich, während er gleichzeitig ankündigte, den Kauf des russischen Impfstoffs Sputnik V zu beenden: "Das System Covax ist gescheitert."

Abinader rief alle Länder zum Nachdenken auf, um zu analysieren, was falsch gemacht wurde. Er teilte die Auffassung Gianmatteis, dass "das Covax-System gescheitert ist" und erinnerte daran, dass die Dominikanische Republik um ein Abkommen mit den die Patente besitzenden Pharmaunternehmen ersucht habe, um im Land selbst Impfstoffe herstellen zu können und auch andere Länder damit zu versorgen. Er fügte hinzu: "Wir verstehen, dass die Länder ihre eigene Bevölkerung zuerst impfen wollen", aber er bestand darauf, anderen die Möglichkeit zu geben, Impfstoffe zu produzieren.

Eine Tatsache, die den ernsten Zustand von Covax belegt, war die Nicht-Lieferung von fünf Millionen Impfdosen an Venezuela, obwohl die Zahlung von 120 Millionen Dollar seitens der nationalen Regierung vollständig erfolgte.

Wie die amtierende Vizepräsidentin der Republik, Delcy Rodriguez, am 10. Juni bekannt gab, wurden die vier letzten Zahlungen der venezolanischen Regierung an Covax, die geleistet wurden, um die Impfstoffe gegen Covid-19 zu bekommen und den Prozess der Immunisierung im Land fortzusetzen, eingefroren und "werden untersucht".

Es handelt sich dabei um zehn Millionen Dollar, die von der UBS-Bank blockiert werden, die damit den einseitigen Zwangsmaßnahmen der USA gegen Venezuela folgt.

Die Panamerikanische Gesundheitsorganisation (OPS) kündigte am 9. Juni an, dass die Verfahren zur Bereitstellung der Impfstoffe von Covax für Venezuela "laufen", dem Land aber noch zehn Millionen Dollar fehlten, um die Zahlung an Covax vollständig zu leisten.

"Bis zum jetzigen Zeitpunkt haben wir keine Bestätigung, dass die Zahlung vollständig geleistet wurde. Noch gibt es eine Lücke von zehn Millionen Dollar, und wir hoffen, dass die Entscheidung des Covax-Mechanismus zugunsten der venezolanischen Bevölkerung und aller Länder der Region ausfällt. Diese Entscheidung wird verbunden sein mit anderen internen Prozessen", sagte der Direktor für Gesundheits-Notsituationen der OPS, Ciro Ugarte.

Venezuela hatte bei Covax um fünf Millionen Dosen des Impfstoffes Janssen (Johnson&Johnson) ersucht. Weil die Mittel aufgrund des Einflusses der USA und des Antichavismus derzeit blockiert sind, hat Covax nicht zugestimmt, die Pharmazeutika freizugeben.

"Sie sollen uns das Geld zurückgeben und damit kaufen wir die Impfstoffe in Russland, China oder Kuba oder von wem auch immer", sagte der venezolanischen Außenminister,Jorge Arreaza vom Internationalen Diskussionsklub Waldai in Moskau aus.

Er wies erneut darauf hin, dass ungefähr sechs Milliarden Dollar weiterhin blockiert sind, wodurch das Land daran gehindert wird, Medikamente und Materialien für die Pandemiebekämpfung zu kaufen.

"Wir haben als Volk sehr gelitten aufgrund dieser einseitigen Strafmaßnahmen (…) Es leiden nicht nur die Unternehmer und ihre Beschäftigten, 30 Millionen Venezolaner erleiden Mangelversorgung, das Fehlen von Medikamenten. Das ist eine kollektive Bestrafung", betonte er.

Angesichts einer historischen Herausforderung wie der, der sich die Menschheit mitten in einer weltumspannenden Pandemie gegenübersieht, ist der Covax-Mechanismus nur ein Aspekt des Problems, es braucht stabile, funktionierende, nicht-marktorientiert ausgerichtete Gesundheitssysteme.

Die Konsolidierung des erwähnten Mechanismus' ist jedoch von vitaler Bedeutung, um die Gefahren der zweiten und dritten Wellen der Pandemie in den armen Ländern zu überwinden.

Sein Scheitern wäre das Scheitern der menschlichen Spezies sowie einer Struktur des Staatensystems, die ständig von Spannungen und imperialen und (neo-)kolonialen Ansprüchen auf unipolare Kontrolle und Vorherrschaft heimgesucht wird.