Ciao Souveränität, Ciao Hoffnung: Argentinien hat sich dem IWF unterworfen

Gewerkschaftliche und politische Organisationen protestieren gegen das IWF-Abkommen. Ihr Hauptargument: die Aufnahme des Kredits durch Macri war illegal

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Die Proteste gegen das Abkommen mit dem IWF reißen in Argentinien nicht ab
Die Proteste gegen das Abkommen mit dem IWF reißen in Argentinien nicht ab

Der argentinische Kongress hat den Gesetzentwurf der Regierung von Alberto Fernández zur Refinanzierung der von seinem Vorgänger Mauricio Macri beim Internationalen Währungsfonds aufgenommenen Auslandsschulden gebilligt.

Gewerkschaftliche und politische Organisationen – einige von ihnen Mitglieder der regierenden Frente de Todos – protestierten vor dem Parlament gegen das "Abkommen über erweiterte Zahlungserleichterungen" zwischen Argentinien und dem IWF und schlugen alternative Wege vor. Das Hauptargument der Bewegungen ist die unrechtmäßige Aufnahme des Macri gewährten Kredits und die Notwendigkeit, dies zu untersuchen. Sie sind außerdem der Ansicht, dass das Abkommen einen massiven Souveränitätsverlust darstellt und auf einem extraktivistischen Modell basiert, das auf der Ausbeutung von Bodenschätzen beruht (Agrobusiness, Bergbau, Öl, Gas).

Dieses Abkommen schaffe die Voraussetzungen für die Rückkehr derjenigen, die den Betrug begangen haben, betonten sie mehrfach während der zwei Tage des Widerstandscamps und der Mobilisierung vor dem Parlamentsgebäude, besorgt wegen der "Anpassungsmaßnahmen", die die Argentinier für das nächste Jahrzehnt nach der Unterzeichnung des Abkommens und dieses Mal mit Billigung des Kongresses würden ertragen müssen.

Die Organisationen schlugen unter anderem vor, den IWF vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu verklagen, was jedoch kaum durchführbar ist, da die Regierung selbst dies tun müsste, die sich gerade erst mit dem IWF geeinigt hat, und es keinerlei Anzeichen für eine entsprechende Absicht gibt.

Zudem sollte die Forderung nach einem Referendum unterstützt werden, damit die Argentinier selbst darüber entscheiden, ob die Verhandlungen über eine Umstrukturierung des von Macri 2018 aufgenommenen Kredits fortgesetzt werden, oder ob die Zahlungen mit der Begründung abgelehnt werden sollten, dass das Geld zur Kapitalflucht verwendet wurde.

Dies wäre jedoch eine längerfristige und weitreichendere Initiative, deren Durchführbarkeit geprüft werden müsste.

Der Generalsekretär der Gewerkschaft CTA Autónoma, Ricardo Peidro, argumentierte, aus dieser Vereinbarungen mit dem IWF gehe hervor, dass sie eine "Anpassung" zur Folge haben werde: "Dies scheint eine direkte Auflage des IWF zu sein. Das Parlament kann das Macri-Abkommen nicht für gültig erklären und die Beschneidung der Souveränität und die Mitregierung bestätigen. Das ist inakzeptabel. Alle drei Monate werden die dafür Verantwortlichen wirtschaftlich mitregieren und uns sagen, welchen Weg wir zu gehen haben, und das ist eine Abtretung von Souveränität", sagte er.

"Wenn uns Arbeitern gesagt wird, dass es eine Senkung des Haushaltsdefizits, eine Erhöhung der Zinssätze und eine Anhebung der Tarife geben wird, dann wissen wir bereits, dass wir es sind, die die Opfer stellen und dass unser Volk die Folgen tragen wird. Diese Verschuldung ist illegal und wird zur Verschuldung dieser Regierung werden, wir werden damit die Schulden Macris legalisieren", fügte er hinzu.

"Wie werden wir diese Schulden begleichen, wenn nicht mit den Dollars aus natürlichen Ressourcen? Es handelt sich also offensichtlich um ein Modell für das Land zur Vertiefung des Agrobusiness und des Mega-Bergbaus. Wenn dieses Abkommen abgeschlossen wird, steht es in direkter Beziehung zu diesem Modell, denn die Dollars werden nicht von woanders herkommen. Die Geschichte wiederholt sich", sagte Agustín Suárez von der Landarbeitergewerkschaft Unión de Trabajadores de la Tierra.

Eine unerfüllbare Vereinbarung

Der Wirtschaftswissenschaftler Horacio Rovelli ist eindeutig: Das ganze Abkommen ist falsch. Es erzwingt eine steuerliche und handelspolitische Anpassung von nie dagewesenem Ausmaß; fünf Millionen Rentner und Pensionäre werden bis mindestens 2034 mit mageren Einkünften bestraft, die unter der Armutsgrenze liegen; es wird angeboten, unsere natürlichen Ressourcen auszubeuten, wie sie es schon immer getan haben, ohne Rücksicht auf die Umweltauswirkungen und ohne Geld im Land zu lassen (und das nicht einmal offiziell), während sie unseren Reichtum stehlen.

40 Prozent der Argentinier leben unterhalb der Armutsgrenze und die Bevölkerung wird zudem zu einer permanenten Inflation verurteilt, die ihre Kaufkraft auffrisst; Einkommensverbesserungen werden nur einer Minderheit garantiert, die ein Prozent der Bevölkerung nicht übersteigt und sich den größten Teil der Schulden unter den Nagel gerissen hat; diese Minderheit ist im Rohstoff-, Landwirtschafts-, Automobil-, Handels- und Finanzsystem verankert. All dies, anstatt das Bankgeheimnis aufzuheben, den Devisennotstand auszurufen und die Afip1 und andere Aufsichtsorgane aufzufordern, große Devisenkäufer einer Kontrolle zu unterziehen.

Rovelli weist darauf hin, dass man mit den ersten 100 Käufern beginnen könnte, die dies während der Macri-Regierung mit Milliarden Dollar getan haben, damit sie erklären können, wie das gelaufen ist. Er fügt hinzu, dass sie mit einer Geldstrafe belegt werden sollten; zudem solle ein Teil dieser Käufe zurückgefordert werden, und zwar in Pesos, und dieser Gelder sollten dabei helfen, die öffentlichen Ausgaben zu finanzieren und so natürlich das Haushaltsdefizit zu verringern und einen Überschuss zu erzielen, der es dem Staat ermöglichen würde, Devisen zu kaufen, um die Schulden beim IWF zurückzuzahlen.

Entgegen der von den Machthabern verbreiteten Vorstellung wächst die argentinische Wirtschaft im Takt des Binnenmarktes und nicht mit den Exporten (65 Prozent davon Primärprodukte oder Fertigwaren landwirtschaftlichen Ursprungs, die sich auf einige wenige Unternehmen konzentrieren).

Terrorkampagne der Medien und das Gespenst der Zahlungsunfähigkeit

Die vom IWF, der Regierung und der hegemonialen Presse im Vorfeld der Entscheidung des Kongresses inszenierte mediale Terrorkampagne signalisierte, dass im Falle einer Ablehnung des Abkommens bei der ersten vorsätzlichen Nichterfüllung einer Rate automatisch ein Zahlungsausfall droht. Abgesehen davon, dass beim IWF ein Verwaltungsverfahren eingeleitet wird, das bis zu einer wirksamen Sanktion sechs Monate und bis zu einem Verweis bis zu zwei Jahre dauern kann.

Wenn das IWF-Abkommen nicht unterzeichnet wird, geschieht gar nichts. Im August 2001, als Adolfo Rodríguez Saa provisorischer Präsident war, setzte der argentinische Staat die Zahlung der Auslandsschulden aus, um dieses Geld für die Pläne zur Schaffung von Arbeitsplätzen und sozialem Fortschritt zu verwenden. Diese Erklärung wurde kurz nach der sozialen Explosion abgegeben, bei der 39 Menschen starben und die zum Rücktritt des Präsidenten Fernando de la Rúa von der Partei Unión Cívica Radical (und zu seiner Flucht per Hubschrauber) führte.

"Die Menschen erinnern sich an mich, weil ich der Präsident war, der es in einem tragischen nationalen Moment gewagt hat, die Verantwortung für das Land zu übernehmen und die Institutionen zu retten. Sie sprechen von Zahlungsausfall, aber was ich getan habe, war, die Zahlung der Auslandsschulden auszusetzen", merkte Rodríguez Saa kürzlich an.

Es war eine Kampagne, um Angst und Schrecken einzujagen, möglicherweise folgte sie den Leitlinien der Experten für soziale Kommunikation des IWF. Die Argumente sind vollkommen anfechtbar und die Schlussfolgerungen über eine völlige Isolierung von der Welt, wenn die Forderungen der Gläubiger nicht akzeptiert werden, sind absurd.

Weiter wurde in der Kampagne behauptet, dass der Länderrisikoindex sofort in die Höhe schießen würde, was zur Folge hätte, dass der Kursverfall der argentinischen Staatsanleihen und Unternehmensaktien an den lokalen und internationalen Börsen fast sofort einsetzen würde. Dies würde außerdem zu unmittelbaren Auswirkungen auf die Kurse des Finanz- und Parallel-Dollars auf dem lokalen Markt führen.

Innerhalb von zwei Wochen begänne die Kürzung aller Finanzierungen und Auszahlungen seitens Einrichtungen wie der Weltbank, der Interamerikanischen Entwicklungsbank und der Entwicklungsbank für die Andengemeinschaft, die Argentinien Mittel für soziale und produktive Programme in Höhe von fünf Milliarden Dollar pro Jahr zur Verfügung stellen; und der Zufluss von Dollars aus chinesischen Investitionen in die Infrastruktur und darüber hinaus jeglicher Zufluss von nicht spekulativen ausländischen Direktinvestitionen würde gestoppt.

Die Terrorkampagne signalisierte auch, dass der offizielle Dollarkurs und die Finanzdollars weiter ansteigen und Druck auf das Wechselkursgefälle und die Inflation ausüben würden; somit würden ausländische Lieferanten beginnen, die Bezahlung von Importen im Voraus, also zum Zeitpunkt der Bestellung zu verlangen. Und alle Dollarkredite zur Vorfinanzierung von Exporten würden gestrichen.

Für die hegemonialen Medien wäre ein Zahlungsausfall ein Übel, das viel schlimmer ist als das Übel, sich jetzt mit dem IWF zu einigen, das Problem auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, den zweijährigen Beistandskredit in ein auf zehn Jahre verlängertes Kreditprogramm umzuwandeln, die Zahlungskurve abzuflachen und die argentinische Wirtschaft davon zu befreien, bis 2026 auch nur einen einzigen Dollar für Macris Beistandskredit bereitstellen zu müssen.

Und so kam aus der zuckersüßen Hand der IWF-Publizisten die "Nachricht" in die hegemonialen Medien, dass der IWF mittlerweile vielversprechende Anzeichen für einen Wandel zeige. Nicht nur werde anerkannt, dass der Klimawandel erhebliche Risiken für die Finanzstabilität birgt, sondern der IWF reagierte auch mit einer umfangreichen Zuteilung von Sonderziehungsrechten (den Reserveaktiva des Fonds) auf die Corona-Pandemie und kritisierte die Unzulänglichkeit des G20-Rahmens für das Management der Schuldenkrise.

Das ist eine Auslegung so ganz nach dem Geschmack der Ansichten von Joseph Stiglitz, dem Mentor des argentinischen Finanzministers Martin Guzmán, dem Verantwortlichen für die vom IWF gewünschte Vereinbarung.

Eine ganz andere Meinung vertritt der Ökonom Jorge Marchini, der betont, dass die Schlussfolgerungen einer totalen Isolierung von der Welt, die eintreten würde, wenn man die Forderungen der Gläubiger nicht akzeptierte, völlig fragwürdig und absurd sind.

Er fügte hinzu: "Paradoxerweise könnte dies in Zeiten enormer Ungewissheiten aufgrund des Krieges in der Ukraine genau umgekehrt sein. Wenn Argentinien wegen der Ablehnung der vom IWF geforderten Anpassungen mit einem Boykott seiner Lebensmittelexporte sanktioniert würde, hätte die Welt noch viel schwerwiegendere Probleme, da sie in einer Zeit, in der diese am meisten gebraucht werden, die alternative Versorgung mit sehr bedeutenden und lebenswichtigen argentinischen Getreide-, Ölsaaten- und Fleischexporten verlieren würde."

Die Argumente für eine Akzeptanz des Abkommens wurden von dem regierungsnahen Abgeordneten Carlos Heller – ehemaliger Kommunist und jetziger Vorsitzender der Partido Solidario, Ex-Vizepräsident des Fußballvereins Boca Juniors und Ex-Präsident der Kreditbank Banco Credicoop – zusammengefasst: "Diese Regierung hätte sich aufgrund ihrer Prinzipien niemals an den IWF gewandt, sondern sie hat eine echte Zeitbombe vorgefunden und musste sich an den Tisch setzen, um zu verhandeln."

In jedem Fall werden sich die Perspektiven, die Bedeutung und die Folgen des Wirtschaftsprogramms unter der Aufsicht des IWF in der Realität zeigen. Die Welt verändert sich sehr schnell und das Ticken der Uhr der Geschichte ist in Argentinien, einem Land, in dem 40 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, stets deutlich zu spüren.

Aram Aharonian aus Uruguay ist Journalist und Kommunikationswissenschaftler. Er leitet das Lateinamerikanische Zentrum für strategische Analysen (Centro Latinoamericano de Análisis Estratégico - Clae). Claudio Della Croce aus Argentinien ist Wirtschaftswissenschaftler und Lehrer und ein assoziierter Forscher beim Clae

  • 1. Administración Federal de Ingresos Públicos (Afip): Autonome Behörde auf Verwaltungsebene, die der Aufsicht des Finanzministeriums untersteht. Sie führt die von der Exekutive festgelegte Steuer- und Zollpolitik aus