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Die Schweiz und Kuba: Scheinheiligkeiten in Zeiten einer Pandemie

Es ist bedauerlich, dass gewisse Schweizer Organisationen die Solidaritätsarbeit Kubas in der Corona-Krise nicht einmal erwähnen

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Eine zweite Brigade Gesundheitsexperten aus Kuba wurden am 13. April in Turin herzlich empfangen
Eine zweite Brigade Gesundheitsexperten aus Kuba wurden am 13. April in Turin herzlich empfangen

Die Covid-19-Pandemie führt uns weltweit das völlige Scheitern neoliberaler Politik vor Augen: Die tragische Situation in Italien, Spanien, Frankreich und den USA ‒ heute am stärksten betroffen – ist vor allem auf die jahrzehntelange Sparpolitik und die Kürzungen in der öffentlichen Gesundheitsversorgung zurückzuführen.

Hinzu kommt die Kurzsichtigkeit der Kapitalistenklasse, die die Regierungen daran hindert, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Eine privatisierte, profitorientierte Medizin, wie sie vom Neoliberalismus implementiert wird, kann mit solchen Pandemien einfach nicht fertig werden. Es fehlt an grundlegender Ausrüstung und Material wie Masken, Krankenhausbetten, Beatmungsgeräte und dem notwendigen geschulten Personal, um mit gefährlichen Viren umzugehen.

Sozialistisch orientierte Länder wie China und Vietnam bewältigen die Krise viel besser. Auch Venezuela unternimmt selbst nach jahrelangen Wirtschaftssanktionen durch die USA und ihre Verbündeten viel mehr für seine Bevölkerung als die von der Mainstream-Presse so gelobten Nachbarländer Ecuador und Kolumbien ‒ ganz zu schweigen von Brasilien.

Allen voran steht Kuba, das ebenfalls unter jahrelangen Sanktionen und Blockaden leidet und nicht nur in Bezug auf die Pandemie die Situation im eigenen Land meistert, sondern darüber hinaus auch noch unverzichtbare medizinische Hilfe ins Ausland schicken kann.

Dass Kuba seit Jahrzehnten ein Leuchtturm der Süd-Süd-Kooperation ist, ist bekannt: Kubanische Ärztinnen und Ärzte sind in vielen Ländern Lateinamerikas und in Afrika präsent, wo sie eine Schlüsselrolle bei der Kontrolle des Ebola-Virus spielten.

Neu ist jedoch, dass Kuba westeuropäischen Ländern wie Italien oder Frankreich hilft. Die Arbeit, die das kubanische Personal in der italienischen Region Lombardei leistet, ist bemerkenswert und muss gewürdigt werden. Indem Kuba in Italien an der Bekämpfung der Pandemie mitarbeitet, trägt es auch dazu bei, die Ausbreitung des Virus auf Nachbarländer wie die Schweiz zu verhindern.

Es ist umso bedauerlicher, dass gewisse Schweizer Organisationen die kubanische Solidaritätsarbeit in der aktuellen Krise, mit der wir alle konfrontiert sind, nicht einmal erwähnen.

Für Alliance Sud, die politische Plattform der wichtigsten Schweizer Entwicklungsagenturen (Caritas CH, Fastenopfer, HEKS, Brot für alle, SwissAid und Helvetas) scheint Kuba gar nicht zu existieren. Im jüngsten Newsletter von Alliance Sud wird in einem Artikel mit dem Titel "Eine globale Krise braucht globale Solidarität" die Solidaritätsarbeit Kubas nicht erwähnt.

Noch immer unterstützen Schweizer Banken die von den USA gegen Kuba verhängten Wirtschaftssanktionen vollumfänglich. Folglich ermöglicht keine Schweizer Großbank finanzielle Transaktionen mit Kuba.

Kleine Schweizer Organisationen haben bei der Regierung eine Petition zur Beendigung der Sanktionen gegen Kuba eingereicht, ohne Erfolg. Im erwähnten Newsletter stellt Alliance Sud vier öffentliche Forderungen an die Schweizer Regierung, von denen keine das Ende der Sanktionen der Schweizer Banken gegen Kuba beinhaltet.

Um es klar und deutlich zu sagen: Während Kuba Risiken eingeht, medizinisches Fachpersonal entsendet und dazu beiträgt, Leben in Italien und damit im benachbarten Schweizerkanton Tessin zu retten, bestrafen die Schweizer Banken Kuba. Für Alliance Sud verdient Kuba offensichtlich keine Solidarität.

Es gibt einen Grund für diese Doppelmoral: Neoliberalismus wird von der Schweizer Regierung – wie auch von der Europäischen Union – seit langem praktiziert.

In der neoliberalen Ideologie haben die Privatwirtschaft und letztlich der Markt die eigentliche Entscheidungsgewalt über die Verteilung des von der Gesellschaft produzierten Reichtums. Für Kuba hingegen haben die Menschen diese Entscheidungsgewalt und die Menschen kommen vor dem Markt.

Es ist die Exzellenz der von der kubanischen Öffentlichkeit finanzierten und staatlich unterstützten Ärztinnen und Ärzte und des ausgebildeten Fachpersonals, die Italien, Frankreich, Brasilien und anderen Ländern im Kampf gegen die Pandemie helfen. Dass Kuba das Versagen des privaten Sektors – und damit des Markts und der neoliberalen Ideologie – im Umgang mit dem Coronavirus deutlich macht, ist eine Tatsache, die anscheinend um jeden Preis vor dem öffentlichen Bewusstsein versteckt werden soll.

Die Schweizerische Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza), Hauptfinanziererin der meisten großen Schweizer Nichtregierungsorganisationen und Entwicklungsagenturen, hat die Ideologie der Überlegenheit des Privatsektors bei der Förderung der sozialen Entwicklung und der Gesellschaftsordnung längst verinnerlicht.

In ihrer Zeitschrift “Eine Welt" vom Dezember 2015 lautete der Titelbeitrag "Privatsektor: Motor der Entwicklung”. Der Artikel lobt die Leistungen des Privatsektors und ich konnte keinen Artikel der Deza finden, der die grundlegende Bedeutung des öffentlichen Sektors vergleichend lobt.

Parallel zur Verteidigung des Privatunternehmertums und der Idee des Marktes als Schlüsselelement in der Organisation und Entwicklung der Gesellschaft werden die Errungenschaften der sozialistisch orientierten Länder angegriffen.

Ein weiterer “Eine Welt"-Artikel des Schweizer Journalisten Sandro Benini vom März 2014 lobt beispielsweise die Leistungen Kolumbiens bei der Armutsbekämpfung im Vergleich zu Venezuela. Und das kürzlich erschienene Magazin “Eine Welt" vom März 2020 enthält einen Artikel über die Menschen, die vor der venezolanischen Wirtschaftskatastrophe flüchten. Die Flüchtlinge vor der honduranischen Wirtschaftskatastrophe verdienen offenbar nicht die gleiche Aufmerksamkeit der Deza, auch nicht die wirtschaftliche Katastrophe, die von der neoliberalen Regierung von Mauricio Macri nach Argentinien gebracht wurde und die von Sandro Benini in anderen Artikeln so sehr gelobt wurde, um nur einige Beispiele zu nennen.

Dann, im Jahr 2019, kam die Reaktion auf die neoliberale Katastrophe: Die Explosion beispielloser öffentlicher Kundgebungen in Chile, in Kolumbien, in Ecuador (aber überraschenderweise nicht in Venezuela) gegen die jeweiligen Regierungen dieser Länder. Es scheint, dass die Menschen in Kolumbien, Chile und Ecuador mit der Vision der Deza nicht einverstanden sind.

Die venezolanischen Errungenschaften in den Bereichen Wohnen und Bildung wurden auf den Seiten von “Eine Welt" nicht gelobt und ich bezweifle, dass die Deza jemals erwähnen wird, wie Kuba und Venezuela viel besser als das "Vorzeigeland" Kolumbien oder Ecuador mit der Coronavirus-Pandemie umgehen.

Aus Sicht der Deza, der Schweizer Banken und Alliance Sud geben offensichtlich der Neoliberalismus, der Markt und der Privatsektor die angemessenen Antworten auf die COVID-19-Pandemie, nicht Kuba, unabhängig von den konkreten Beweisen.

Für ihre neue Strategie 2021-2024 will sich die Deza in der Entwicklungshilfe noch stärker in öffentlich-privaten Partnerschaften mit dem Privatsektor engagieren und damit die neoliberale Ideologie bekräftigen.

Angesichts des neoliberalen Scheiterns, das durch die COVID-19-Pandemie reichlich belegt ist, dürften wir jedoch erwarten, dass eine vertiefte Diskussion über die Rolle des öffentlichen Sektors in der Entwicklung einer Gesellschaft angestoßen wird.

Die Deza, Alliance Sud, Schweizer Großbanken und andere werden alles daransetzen, eine solche Diskussion zu verhindern, wie die Leugnung der Rolle Kubas in der Pandemiebekämpfung bereits zeigt.

Ich kann nur hoffen, dass diejenigen in der Schweiz, die Kuba dankbar sind und die die fundamentale Bedeutung einer tiefgreifenden Veränderung in der Organisation unserer Wirtschaft und Gesellschaft erkennen, ihre Stimme erheben und wichtige Fragen an Schweizer Organisationen stellen.