Amerika21 dokumentiert einen Beitrag von gut zwei Dutzend Wissenschaftlern aus Brasilien, die gegen die Einladung des brasilianischen Bundesrichters Sérgio Moro an die Universität Heidelberg protestieren. Moros Auftritt im Rahmen eines Kongresses zur Korruptionsbekämpfung war zuvor bereits in gewerkschaftlichen Kreisen in Deutschland auf Kritik gestoßen. Die Autoren des folgenden Briefes an den Organisator des Vortrags, Prof. Dr. Markus Pohlmann, beanstanden vor allem die Einordnung Moros als "Korruptionsbekämpfer" und führen eine Reihe von Gegenargumenten auf.
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Markus Pohlmann,
erlauben Sie uns eine kurze Vorstellung. Wir sind Historiker, Politologen und Rechtsprofessoren von verschiedenen brasilianischen öffentlichen und privaten Hochschulen in den Bereichen der Rechtstheorie, Verfassungshermeneutik, Verfassungsrecht, Straf- und Strafprozessrecht und Wirtschaftsrecht. Wir haben viele Jahre wissenschaftlicher Tätigkeit hinter uns und werden weiterhin die Ereignisse in unserem Land beobachten, vor allem während und nach dem Putsch gegen unsere junge Demokratie vom April bis August 2016. Mit dem gleichen wissenschaftlichen Interesse und als Bürger, die das Ende der militärischen Herrschaft von 1964 bis 1985 immer noch nicht verdaut haben, verfolgen wir aufmerksam die sogenannte "Operação Lava Jato" (auf Englisch "Operation Carwash")1 sowie die Rolle der Justiz und der Staatsanwaltschaft in Brasilien. Auf diesem Weg haben wir die Leistung des Herrn Bundesrichters Sérgio Fernando Moro und der Mitglieder der Bundesstaatsanwaltschaft aufmerksam mitverfolgt.
Wir waren überrascht, als wir erfuhren, dass Sie und Ihre renommierte Universität Heidelberg den Bundesrichter Sérgio Fernando Moro eingeladen und ihn als "Korruptionsbekämpfer" für die Konferenz am 9. Dezember 2016 bezeichnet hatten. Die von Herrn Bundesrichter Sérgio Moro verfassten Entscheidungen haben dazu beigetragen, den Sturz einer legitimen Regierung erst zu ermöglichen und auf diese Weise hat er den schlimmsten undemokratischen Interessen gedient, wie wir hier zusammenfassend darstellen:
- Richter Sérgio Moro verfolgt offenbar nur ein Ziel: den Ex-Präsidenten Luis Inacio Lula da Silva festzunehmen. Im März 2016 verfügte er eine illegale Zwangsvorführung des ehemaligen Präsidenten Luis Inacio Lula da Silva. Die Sache wird derzeit vom Menschenrechtsausschuss des internationalen Paktes für bürgerliche und politische Rechte der UNO untersucht;
- Richter Sérgio Moro veröffentlichte abgehörte Telefongespräche zwischen Lula und Präsidentin Rousseff wenige Stunden vor Lulas Ernennung zum Präsidialamtsminister und damit verfolgte er allein politische Zwecke. Diese kriminelle Veröffentlichung der Abhörprotokolle dieser Telefongespräche der damaligen Präsidentin von Brasilien und das Senden dieser Gespräche an die Rede Globo TV2 lassen keinen Zweifel an der Parteilichkeit des Bundesrichters;
- Richter Sérgio Moro stützt seine Verfügungen über willkürliche, vorläufige Festnahmen nicht auf die Verfassung und die Gesetze der demokratischen Rechtsstaatlichkeit, sondern auf die medialen Auswirkungen der von ihm zugelassenen Operationen, wie er selbst im Jahr 2004, in seinem Aufsatz mit dem Titel "Operation Mani Pulite" über die Operation in Italien erkannt hat;
- Richter Sérgio Moro hat von Rede Globo TV Auszeichnungen und Ehrungen erhalten und hat in seinem Nachrichtenmagazin offen politisch Stellung gegen die Regierungen von Luis Inacio Lula da Silva und Dilma Rousseff genommen;
- unter Verstoß gegen die Verfassung, die Bundesgesetze und die nationale Souveränität liefert Richter Sérgio Moro sensible Informationen an die Gerichtsbarkeit der USA und unterhält sich mit Beamten der dortigen Heimatschutzbehörden über die Fortschritte brasilianischen Prozesse, so dass brasilianische Angeklagte dazu gezwungen werden, Kooperationsvereinbarungen mit der US-Justiz auf Kosten der nationalen Interessen der brasilianischen Unternehmen abzuschließen.
Es gibt in den Ermittlungs- und Strafverfahren im Rahmen der "Operação Lava Jato" viel Missbrauch, viele Rechtswidrigkeiten und eine enorme Voreingenommenheit seitens des Herrn Richters Sérgio Moro zugunsten der Opposition des rechten Lagers in Brasilien und gegen die Regierungen der vergangenen 13 Jahre.
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Pohlmann, viele andere Einzelheiten würden nicht in diese Brief passen, aber jeder von uns wäre bereit, Sie mit Dokumenten aufzuklären. Die wichtigste Rolle des Richters Sérgio Moro war sein entscheidender Beitrag zum Putsch, der im August 2016 mit dem Sturz von Präsidentin Dilma Rousseff endete. Verbunden mit leistungsfähigen Medienbaronen Brasiliens hat Sérgio Moro zusammen mit dem Justizsystem und der Bundesstaatsanwaltschaft es fertiggebracht, die brasilianische Demokratie zu besiegen. Sie schafften es in Brasilien, das politische Klima des Faschismus und der politischen Intoleranz zu installieren. Sie selbst, Prof. Pohlmann, sowie alle von uns, die diesen Brief unterzeichnen, wissen, wie die Justiz für den richtigen Schein von Legalität bei der Verfolgung politischer Gegner verwendet werden kann.
Aus diesen Gründen, Prof. Dr. Markus Pohlmann, halten wir es nicht für angebracht, dass Ihr Gast als "Korruptionsbekämpfer” bezeichnet wird. Im Gegenteil stellt er die Rückkehr zu einer Zeit dar, die wir politisch und verfassungsrechtlich hinter uns zu haben dachten.
Brasília, am 6. Dezember 2016
Hochachtungsvoll,
Alexandre Melo Franco de Moraes Bahia - UFOP - Bundesuniversität Ouro Preto/Minas Gerais
André Karam Trindade - FG - Fakultät Guanambi/Bahia
Antônio Gomes Moreira Maués - UFPA - Bundesuniversität Pará
Beatriz Vargas Ramos Rezende - Universität Brasília – UnB
Carol Proner - UFRJ - Bundesuniversität Rio de Janeiro
Cynara Monteiro Mariano - UFC - Bundesuniversität Ceará
Emílio Peluso Neder Meyer - UFMG - Bundesuniversität Minas Gerais
Enzo Bello - UFF - Bundesuniversität Fluminense/Rio de Janeiro
Eugênio Guilherme Aragão - UnB - Universität Brasília
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