Herr Jean Arnault,
Repräsentant des Generalsekretärs der Vereinten Nationen und Sondergesandter für den Friedensprozess in Kolumbien
Das letzte Kontingent der Guerillakämpfer bestehend aus Kämpfern der 3., 14. und 15. Front der Farc ist bereits in der Übergangszone (Zona Veredal Transitoria de Normalización) Agua Bonita in Montañita Caquetá angekommen. Damit wurde der Zyklus für die Konzentration der Farc-Ep in den 26 Übergangszonen und -lagern vereinbarungsgemäß abgeschlossen. Mit diesem weitreichenden, historischen Schritt haben wir unsere unerschütterlichen Entschlossenheit zum Frieden erneut bekräftigt.
Allerdings ist inzwischen öffentlich bekannt, dass in keinem der 26 Übergangszonen und –lager die notwendige Infrastruktur eingerichtet wurde, um die Guerilleros unter normalen Bedingungen unterzubringen. Sie alle übernachten in behelfsmäßigen Unterkünften und es trifft nicht zu, dass 80 Prozent der Gemeinschaftsräume fertiggestellt sind, wie das Außenministerium und das Amt des Hohen Kommissars für den Frieden (OACP)1 behaupten. Unsere Leute müssen ihre Schlafräume mit Kunststoffplanen und Stöcken zurechtzimmern und sie bauen mit eigenen Händen die erwähnten Gemeinschaftsräume und das, was ihre Unterkünfte sein sollen, auf. Wenn es Verzögerungen beim Aufbau gibt, dann nicht wegen des fehlenden Willens der Farc, sondern weil die Baumaterialien nicht rechtzeitig ankommen. Wir weisen darauf hin, dass in dieser letzten Etappe mehr Engagement zur Problemlösung seitens der Regierung wahrzunehmen ist.
Wir müssen erneut betonen, dass die vom Außenministerium und dem Hohen Kommissar für den Frieden als Dritte Phase bezeichnete Etappe, in der die Unterkünfte durch die Farc errichtet werden sollen, nicht in unserer sondern in der Verantwortung der Regierung liegt. Trotzdem bieten wir unsere Zusammenarbeit an, um diese Arbeit voranzubringen.
Jeder, der in die Übergangszonen kommt stellt fest, dass es keine Empfangsbereiche gibt und die Guerilleros in der Umgebung der Lager kampieren, eben weil diese nicht fertig sind. In den allermeisten Zonen sind die Probleme wie Trinkwasserversorgung, Elektrizität, Kommunikationsverbindungen mit der Außenwelt und Zufahrtsstraßen nicht gelöst. Wenn es keine Übergangslager gibt, auf welche Protokolle kann man sich beziehen, die nicht dem gesunden Menschenverstand entsprechen? Auf jeden Fall handelte die Guerilla diszipliniert, verantwortlich und mit absoluter Herzlichkeit und integriert in die umliegenden Gemeinden, denen wir für den warmherzigen Empfang danken.
Die Äußerung der Regierung, dass der Kontrollmechanismus Stillschweigen bewahren solle "angesichts vieler Verletzungen der Protokolle hinsichtlich des bilateralen Waffenstillstands und der Waffenübergabe", erscheint uns waghalsig. Das ist nichts anderes als eine Beschuldigung der Farc, sie würden die Protokolle verletzen. Damit werden alle unsre Bemühungen, trotz des Mangels an Organisation und der Improvisation seitens der Regierung in die Übergangszonen zu gelangen, geleugnet. Gleichzeitig bewegt sich der Paramilitarismus ungehindert und breitet sich aus, bedroht und ermordet Anführer der Volksbewegungen in den Gebieten, die die Farc verlassen haben, und ist sogar unweit der Zonen, in denen sich die Farc jetzt befinden, aktiv.
Nie haben das Außenministerium oder der Hohe Kommissar für den Frieden im Rahmen der Begleitungs- und Verifizierungskommission vorgeschlagen, mit dem Drei-Parteien-Mechanismus eine Auswertung der bisherigen Entwicklungen vorzunehmen. Das wird aus ihren Protokollen ersichtlich. Deshalb ist es nicht gut, wenn die Regierung nun voreingenommen den Farc und der Mission der Vereinten Nationen die Schuld für die Mängel gibt. Es klingt auch nicht gut, wenn jetzt der Hohe Kommissar für den Frieden beabsichtigt, die Kontrolle des Überwachungsmechanismus zu übernehmen.
Wenn die Übergangszonen nicht fertig sind, wo sollen dann die Waffencontainer aufgestellt werden? Die Regierung scheint sich mehr für die Einrichtung der Waffendepots als für die Unterbringung der Leute zu interessieren. Wir sind völlig damit einverstanden, dass als nächster Schritt die Aktivierung der Protokolle stattfinden soll. Doch auch die minimalen Voraussetzungen dafür müssen geschaffen sein. Auch die vollständige Umsetzung aller Vereinbarungen muss in Gang gebracht werden.
Die Frage der Übergangszonen und die Frage der Waffenübergabe sind mit der Umsetzung aller Vereinbarungen verbunden. Die Erfüllung der Verpflichtungen muss auf Gegenseitigkeit beruhen. Pacta sunt servanda (Verträge sind einzuhalten): Das Vereinbarte ist verpflichtend und muss in gutem Glauben erfüllt werden. Beantworten wir diese einfache Frage: Wenn das Friedensabkommen von Havanna bereits vom Kongress als Volksvertretung gebilligt wurde, warum wollen dann einige Sprecher der Institutionen den Wortlaut der Vereinbarungen verändern?
Wir alle wissen, dass es ein wahres Orchester von Feinden der Versöhnung gibt, die schon seit einiger Zeit die Sonderjustiz für den Frieden zerstören wollen, indem sie sie sabotieren und in Spitzfindigkeiten verstricken, um Dritte zu schützen, das heißt diejenigen, deren Anordnungen Opfer verursachten ohne dass sie selbst direkt Hand anlegten, oder die, die den Paramilitarismus finanzieren. Sie alle haben einen gemeinsamen Nenner: die Angst vor der Wahrheit. Man kann nicht Wasser mit Öl mischen, nicht die spezielle Friedensjustiz mit der gewöhnlichen Justiz, und böswillig für die permanente Verfolgung gewöhnlicher Straftaten argumentieren.
Es ist der Gipfel, dass es nach mehreren Monaten seit Vertragsunterzeichnung noch keine Rechtssicherheit für die Guerilleros der Farc gibt.
Die Umsetzung soll doch bitte nicht in eine Neuverhandlung des Friedensvertrages umgewandelt werden. Und es sollte klar sein, dass die Verpflichtungen für beide Seiten gelten. Bevor also beispielsweise Fristen für die Waffenübergabe festgesetzt werden, sollten wir Fristen für die Umsetzung derjenigen Aspekte der Vereinbarungen festlegen, die bereits erfüllt sein müssten.
Das vom Kongress vor 45 Tagen verabschiedete Amnestiegesetz muss angewendet werden, um das Vertrauen in den Friedensprozess zu festigen. Die Guerilleros und alle, die aufgrund ihrer Verwicklung in den Konflikt und besonders als Folge sozialen Protests gefangen genommen wurden, müssen entlassen werden. Niemand soll glauben, man könne die Guerilleros betrügen.
Wir sind bereit, in Kürze die Listen all derjenigen Genossinnen und Genossen vorzulegen, die im ganzen Land im Rahmen der Friedenspädagogik arbeiten sollen. Doch wie sollen wir die Namen vervollständigen, solange wir noch auf die Freilassung der Amnestierten warten? Es kamen noch nicht einmal alle die aus dem Gefängnis, die aufgrund des Gesetzes 418 begnadigt wurden.
Im Hinblick auf all diese Tatsachen fordern die Farc-EP von der gemeinsamen Kontroll- und Verifizierungskommission nicht nur den Beginn der zweiten Mission der Vereinten Nationen, sondern auch die sofortige Aktivierung des internationalen Elements der Umsetzung gemäß den Vereinbarungen, die Teilnahme aller dafür vorgesehenen internationalen Instanzen.
Und unter diesen Umstände erscheint es notwendig, die Termine des Prozesses der Waffenübergabe neu zu regeln2
Mit herzlichem Gruß
Zentraler Generalstab der Farc-EP
- 1. Von Kolumbiens Regierung 1994 eingerichtete Institution zur Beratung und Begleitung des Präsidenten bei Friedensgesprächen
- 2. Der Generalstabschef der kolumbinaischen Streitkräfte, General Javier Flores, hatte am 21. Februar einseitig verkündet, dass die Übergabe der ersten 30 Prozent der Waffen an die Vereinten Nationen am 1. März zu beginnen habe