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Debatte um Biowaffen der Pinochet-Diktatur

Aufklärung zum Fund von Nervengift in der chilenischen Gesundheitsbehörde wird vom Militär behindert

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Verantwortlich für den Tod Tausender: Diktator Augusto Pinochet
Verantwortlich für den Tod Tausender: Diktator Augusto Pinochet

Santiago de Chile. In einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa) hat die ehemalige Leiterin der chilenischen Gesundheitsbehörde ISP, Ingrid Heitmann, über den Fund von Nervengift in ihrer Behörde berichtet. Heitmann war von 2007 bis 2010 Leiterin der Behörde.

Bereits im Jahr 2008 wurden demnach bei einer Reinigungsaktion zwei Kisten mit Botulinumtoxin-Ampullen im Keller der ISP gefunden. Laut Heitmann stammen diese aus der Zeit der Militärdiktatur Augusto Pinochets (1973-1990) und hätten ausgereicht, um tausende Menschen zu töten. Botulinumtoxin zählt zu den gefährlichsten Biowaffen. Nach der Abwahl Pinochets bei den ersten freien Präsidentschaftswahlen nach der Diktatur am 11. März 1990 lagen die Boxen mit dem Nervengift fast dreißig Jahre lang unentdeckt in den Kellern der Gesundheitsbehörde.

Nach Angaben von Heitmann haben Beamte der Ermittlungsbehörden die Einrichtung nach dem Ende der Pinochet-Ära immer wieder durchsucht, die Kellerräume jedoch nicht. Sie selbst informierte nach dem Fund der Kisten damals nicht die chilenische Regierung oder Justiz, sondern ließ die Kisten vernichten. "Ich hatte damals nicht gedacht, dass sie für ein Ermittlungsverfahren wichtig sein könnten", sagte Heitmann, die hinzufügte, dass der Fund sie damals sehr erschreckt habe. Gesundheitsminister Jaime Mañalich kündigte nun eine gründliche Untersuchung des Vorfalls an.

Aus gerichtlichen Unterlagen geht hervor, dass das Nervengift über einen diplomatischen Kurier aus Brasilien nach Chile gelangte. Es soll aus dem Institut Butantan im brasilianischen São Paulo stammen. Ein Bote der Polizei erklärte, er habe Anfang der 1980er Jahre ein Paket mit dem Nervengift vom Büro des Außenministeriums im Regierungssitz Palacio de La Moneda abgeholt und in der Gesundheitsbehörde ISP abgegeben.

Die Behörde wurde damals von Oberst Eduardo Esquivel Padilla in der Nachfolge von Oberst Joaquín Larraín Gana geleitet. Eine wichtige Rolle bei der Produktion und Erprobung von Nervengift soll auch der Biochemiker und Agent der ehemaligen militärischen Geheimpolizei DINA Eugenio Berríos gespielt haben. Nach Chiles Wandel zur Demokratie flüchtete Berríos 1991 nach Uruguay, wo er unter mysteriösen Umständen ermordet wurde.

Das Militär behauptet, das Botulinumtoxin wäre zur Produktion von Gegengift gedacht gewesen, da man einen Chemiewaffenangriff aus Argentinien befürchtet habe. Doch die Funde bestätigen den seit langem bestehenden Verdacht, dass das Pinochet-Regime politische Gegner mit Giften wie Botulinumtoxin, Sarin und Thalium ermordet hat.

Wie die argentinische Tageszeitung Clarín berichtet, wurden bereits in mehreren Prozessen wegen Menschenrechtsverletzungen Zeugenaussagen und Beweise dafür gesammelt, dass die Repressionsbehören der Diktatur Botulinumtoxin, Sarin und Thallium einsetzten. Ein gut dokumentierter und durch ein Gerichtsurteil bestätigter Fall ist die Ermordung des spanischen Diplomaten Carmelo Soria, der 1976 mit Sarin getötet wurde, nachdem er zuvor gefoltert worden war. Ein weiterer Fall betrifft Mitglieder der Bewegung der revolutionären Linken (MIR), die am 7. Dezember 1981 im Gefängnis von Santiago de Chile mit Botulinumtoxin vergiftet wurden. Dieses Verbrechen geschah nur einen Tag bevor der ehemalige Präsident Eduardo Frei (1964-1970 in der Klinik Santa María einen septischen Schock erlitt, nachdem er von einem Team von Ärzten operiert worden war, die sich als Geheimagenten herausstellten, wie in dem anschließende Strafverfahren nachgewiesen wurde. Derzeit wird noch untersucht, ob es Verbindungen zu dem Tod Pablo Nerudas gibt, der im Jahr 1973 in derselben Klinik nach offiziellen Angaben an Herzversagen starb. Neruda selbst hatte vor seinem Tod berichtet, dass man ihm in der Klinik eine ominöse Spritze verabreicht habe. Am 8. April 2013 ordneten die chilenischen Ermittlungsbehörden auf Antrag der Kommunistischen Partei an, dass Nerudas Leiche exhumiert wird.

Die Information über die Funde lässt erneut Kritik an der mangelnden Aufarbeitung der Pinochet-Zeit laut werden. Eduardo Frei Ruiz-Tagle, Präsident Chiles von 1994 bis 2000 und Sohn von Eduardo Frei Montalva, sagte gegenüber Radio Cooperativa:  "Warum halten die Befehlshaber weitere Informationen zurück? Heißt es am Ende mal wieder wie so viele Male zuvor, dass sie von nichts wussten?"