Kriminelle Gruppen in Kolumbien wollen in Friedensprozess einbezogen werden

Paramilitärische Kriminelle zeigen Interesse an Übergangsjustiz. Präsident Santos spricht von möglichen Strafvergünstigungen. Gewalt geht indes weiter

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Stadtviertel Comuna 1 in Medellín
Stadtviertel Comuna 1 in Medellín

Bogotá. Mit Paramilitärs verbundene kriminelle Banden haben Kolumbiens Präsidenten Juan Manuel Santos in einem Brief um Friedensgespräche gebeten. In dem Schriftstück, das in den sozialen Netzwerken zirkulierte, bezeichnen sich die Absender als "gemeinsame Führung der bewaffneten Gruppen". Dabei handelt es sich offenbar um eine schon länger bestehende kriminelle Wirtschaftsstruktur aus Medellín, deren enge Beziehungen zu regionalen Politikern und Sicherheitskräften in der Vergangenheit für mehrere Skandale gesorgt haben. Ihr früherer Chef ist der in die USA ausgelieferte Paramilitär Diego Murillo, alias "Don Berna".

In dem Brief bekunden die Paramilitärs ihre Unterstützung für die Friedensverhandlungen mit den Guerillaorganisationen sowie ihre Bereitschaft, "radikal zum Frieden im Land beizutragen" und "ein großes nationales Friedensabkommen" zu schaffen. Die Übergangsjustiz sei ein Weg zur "politischen, juristischen und sozialen Auflösung" ihrer bewaffneten Strukturen. Ebenso ruft sie die paramilitärischen "Gaitán-Selbstverteidigungsgruppen" (AGC) dazu auf, sich ihrem Gesuch anzuschließen: "Wir wissen um ihren Willen, den Frieden, den Kolumbien verdient, mit allen und für alle aufzubauen", heißt es weiter. Als Vermittler schlagen sie Erzbischof Darío Monsalve, die linke Friedensaktivistin Piedad Córdoba, den Bürgermeister von Medellín und den Gouverneur des Departamento Antioquia, Luis Pérez, vor.

Laut Pérez hält Santos diese Anfrage für positiv. Obwohl der Präsident den Brief nicht offiziell bekommen hat, wolle er mit dem Generalstaatsanwalt über einen Weg diskutieren, der die freiwillige Unterwerfung bewaffneter Strukturen unter die Justiz mit einer Strafmilderung und der Möglichkeit belohne, Teile des Vermögens zu behalten, sagte Pérez gegenüber der Presse. Dies habe Santos ihm bei einem Gespräch am Samstag mitgeteilt. Von einem Friedensprozess wie mit den Guerillas war allerdings nicht die Rede.

Laut der Zeitschrift Semana arbeiten Anwälte aus Medellín und "führende Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft" seit Monaten an einem juristischen Rahmen zur Entwaffnung der kriminellen Strukturen. Tatsächlich hatte die "gemeinsame Führung bewaffneter Stadtgruppen abseits des Gesetzes in Medellín" bereits im März in einem Kommuniqué mitgeteilt, sie sei bereit, mit der Unterstützung ihrer "Basisorganisationen" Friedensgespräche aufzunehmen.

Das Kommuniqué wurde nur wenige Wochen vor einem bewaffneten Streik der paramilitärischen "Gaitán-Selbstverteidigungsgruppen" (AGC) veröffentlicht, als diese 36 Landkreise lahmgelegt und für eine Demonstration der ultrarechten Partei des Ex-Präsidenten Álvaro Uribe gegen die Friedensverhandlungen mit der Farc mobilisiert hatten. Damals ging es den AGC laut Experten darum, Macht zu demonstrieren, um Verhandlungen mit der Regierung zu erreichen.

Unterdessen haben die AGC letzte Woche zu einer Friedensdemonstration im Norden des Departamento Antioquia aufgerufen. Sie wurde für den 11. November angekündigt, einen Tag nach der Veröffentlichung des Briefes an Santos. Die AGC zwangen die Einwohner in Busse einzusteigen, die sie zum Landkreis Caucasia fuhren, wo die Demonstration stattfand. In jedem Bus wartete ein Bewaffneter auf die Passagiere. Bei der Kundgebung betonten die Paramilitärs, dass der Frieden "für alle Kämpfer" gelten müsse. In den Tagen zuvor hatten sie den Druck auf die Bevölkerung erhöht. AGC-Männer liefen von Haus zu Haus und erklärten den Bewohnern, die Teilnahme an der Mobilisierung sei Pflicht. Wer sich verweigere, müsse 500.000 Pesos (circa 150 Euro) Strafe bezahlen. Das ist etwas weniger als ein monatlicher Mindestlohn. Zu den Zwangsdemonstranten gehörten Fahrer sowie Händler und Prostituierte, informierte die ökumenische Kommission Gerechtigkeit und Frieden.

Die Paramilitärs sind seit 1996 in der Region präsent, als die damaligen Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC) zahlreiche Massaker verübten. Das Gebiet ist für die Stromproduktion wichtig, doch der Bau von Wasserkraftwerken wurde von den Einwohnern stets abgelehnt. Ende der Neunzigerjahre führten die Aktionen der Paramilitärs zu Massenvertreibungen. Seitdem haben die Namen der paramilitärischen Gruppen gewechselt. Sie sind trotz der offiziellen Entwaffnung der AUC im Jahr 2006 nie verschwunden. Darüber hinaus hört der landesweite paramilitärische Aufmarsch, der Ende 2015 landesweit gestartet war, nicht auf: Gemeinden aus dem nordwestlichen Urabá, den südlichen Departamentos Meta und Putumayo, dem nördlichen Córdoba, dem westlichen Cauca sowie aus dem nordöstlichen Catatumbo und aus der Hafenregion Buenaventura werden  weiterhin Drangsalierungen, Todesdrohungen und Morde gemeldet.

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