Großdemos für und gegen Regierung in Venezuela, neue Tote bei Protesten der Opposition

Kundgebungen beider politischer Lager. Präsident Maduro kündigt Schutz von Ernährungsinitiativen an. Neue Tote und gegenseitige Vorwürfe

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Protestzug von Ernährungsministerium in Caracas, Venezuela
Protestzug von Ernährungsministerium in Caracas, Venezuela

Caracas. Tausende Anhänger und Gegner der linksgerichteten Regierung in Venezuela haben am Freitag und Samstag in der Hauptstadt Caracas und anderen Orten des Landes erneut demonstriert, um die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung zu unterstützen oder zurückzuweisen. Die Demonstration des Regierungslagers im historischen Zentrum der Kapitale war Teil einer Serie von Aufzügen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen zur Unterstützung der Regierung. Aufgerufen hatte das Ministerium für Ernährung. Die Teilnehmer zogen vom Sitz des Ministeriums zum Präsidentenpalast Miraflores. Zuvor waren Studierende, Frauen und andere Gruppierungen auf die Straße gegangen. 

Präsident Nicolás Maduro kündigte bei der jüngsten Abschlusskundgebung per Telefon-Liveschaltung an, bestehende Initiativen zur Ernährungssicherheit in von einer reformierten Verfassung explizit schützen zu lassen. Programme wie die "Mission Ernährung" und die "Lokalen Versorgungs- und Produktionskomitees" (Claps) würden einen verfassungsrechtlichen Rang erhalten und könnten dann nicht mehr abgeschafft werden, so Maduro.

Am Samstag fand unter dem Motto "Wir sind Millionen" auch ein Protestzug der Opposition gegen die Regierung Maduro statt. Nach Angaben der Regierungsgegner nahmen daran mehr als 200.000 Menschen teil, allein in der Hauptstadt Caracas seien es 160.000 gewesen, hieß es aus den Reihen des Oppositionsbündnisses Tisch der demokratischen Einheit (MUD). Die Zahlen lassen sich jedoch nicht überprüfen, in Venezuela geben die Behörden – anders als in Deutschland – keine Schätzungen ab. Bei dem Protest der Opposition kam es erneut zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten, Dutzende Menschen wurden verletzt. Oppositionspolitiker Henrique Capriles kündigte an diesem 50. Tag der Proteste "mehr Schlagkraft" an.

Aus Caracas tauchten Aufnahmen auf, die das zunehmend brutale Vorgehen von Kommandos der Opposition zu belegen scheinen. In einem Video, das unter anderem die linksgerichtete spanische Zeitung La República veröffentlichte, ist offenbar zu sehen, wie oppositionelle Demonstranten einen mutmaßlichen Chavisten mit einem Brandbeschleuniger übergießen und anzünden. Das Video zeigt, wie der Mann brennend durch die Straßen rennt; sein Schicksal ist ungewiss. Die Aufnahme war zuerst vom lateinamerikanischen Fernsehsender Telesur veröffentlich worden, der der venezolanischen Regierung nahe steht. Weitere Quellen zu dem Vorfall gibt es bislang nicht.

Bei Protesten der Opposition sind in den vergangenen Tagen indes zwei weitere Menschen ums Leben gekommen. Die Zahl der Toten ist seit Beginn der Demonstrationen von Regierungsgegnern am 4. April damit auf 54 angestiegen. Erneut kam es zu Zusammenstößen zwischen Gegnern der Regierung Maduro und Sicherheitskräften sowie zu Angriffen oppositioneller Gruppen auf öffentliche Einrichtungen. In der Nacht zum Sonntag wurde im Verwaltungsbezirk Valera ein Jugendlicher durch einen Schuss in die Brust getötet. Die Umstände sind unklar, die Opposition macht "Paramilitärs des Regimes" verantwortlich, ohne diese Vorwürfe belegen zu können. 

Im Fall des Todes eines 46-Jährigen im Bundesstaat Táchira wurden auf Anweisung der Generalstaatsanwaltschaft drei Nationalgardisten festgenommen. Zuvor waren in Táchira bereits drei Polizeibeamte wegen Mordes an zwei Protestteilnehmern verhaftet worden. Der Bundesstaat an der Grenze zu Kolumbien ist seit Jahren ein Brennpunkt gewaltsamer Konfrontationen zwischen Oppositionellen und Sicherheitskräften. Am Dienstag wurden dort zwei sogenannte Infocentros – staatliche Internetcafés – attackiert und die Einrichtungen fast vollständig zerstört. Am Mittwoch wurde eine Militärbasis sechs Stunden lang belagert und mit Molotow-Cocktails angegriffen. Sechs Paramilitärs wurden bei einem weiteren Zwischenfall verhaftet. Venezuelas Verteidigungsminister hat indes 2.000 zusätzliche Nationalgardisten entsandt.

Im Bundesstaat Lara wurde laut einem Bericht der Lokalzeitung Ciudad Barquisimeto ein sozialer Aktivist und Mitglied der Sozialistischen Partei PSUV entführt und ermordet.  Nach Angaben von Augenzeugen wurde er am Dienstag von maskierten Männern in einem Truck entführt, die gesagt hätten: "Schnapp ihn, das ist ein Chavist".  Sein Leichnam wurde am Donnerstag aufgefunden und wies nach Angaben eines örtlichen PSUV-Politikers Brandmale und Folterspuren auf, "die übliche Praxis kolumbianischer Paramilitärs".

Im Teilstaat Zulia starb bei einer Demonstration am Donnerstag ein weiterer Mann, der in der Hauptstadt des Bundesstaates, Maracaibo, von einem LKW überfahren worden war.

Indes wurden neue Ermittlungsergebnisse zu Todesfällen in den vergangenen Wochen bekanntgegeben. Innen- und Justizminister Néstor Reverol erklärte, die Autopsien hätten ergeben, dass zwei weitere junge Männer mit selbstgefertigter Munition aus nächster Nähe beschossen und tödlich verletzt wurden. Die Untersuchungen hätten ergeben, dass die Schützen sich unter den Demonstranten befunden haben müssten. Dennoch beschuldige  die Opposition die Nationalgarde.

Im Staat Barinas machte ein Angehöriger eines getöteten Jugendlichen die Opposition für seinen Tod verantwortlich und wies "die Propaganda" zurück, die sie betreibe, indem sie der Regierung die Schuld gebe. Der 17-Jährige war in der Stadt unterwegs und wurde am Rande einer Demonstration ebenfalls mit einer selbstgefertigten Waffe in den Kopf geschossen. 
Laut den Daten, die das Partnerportal von amerika21, venezuelanalysis.com, seit Beginn der Proteste zusammengetragen hat, wurden zwölf Menschen direkt von Oppositionellen und acht von Sicherheitskräften getötet. Weiter fünf kamen bei Unfällen aufgrund von Barrikaden und acht bei Plünderungen durch Stromschläge ums Leben. Die Todesumstände von 20 Menschen sind noch nicht geklärt.

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