Santiago de Chile. Konservativ-christliche Gruppierungen haben in Chile am Wochenende in 28 Städten zu Demonstrationen gegen "Genderideologie" aufgerufen. Teilgenommen haben unter anderem Gruppierungen wie die Soziale Patriotische Bewegung (Movimiento Social Patriota) und die Idenditäre Aktion (Acción Identitaria). Letzte beruft sich in ihren Aktionen auf die europäische Idenditäre Bewegung.
Die Demonstration "für Jesus" wurde im Rahmen des "Nationalen Tags der Evangelikalen und Protestantischen Kirchen" durchgeführt, der seit 2008 am 31. Oktober gefeiert wird. Das diesjährige Thema war unter anderem durch das vor gut einen Monat angenommene Gesetz über Gender-Identität bestimmt, über das auch amerika21 berichtete. Nun waren erneut Schilder mit dem Slogan "No+Ideología de Género" (Keine Genderideologie mehr), wie sie schon bei den Protesten gegen das Gesetz zu sehen waren. Die chilenische Polizei, bekannt für ihr gewaltsames Einschreiten bei Studierendenprotesten oder feministischen Demonstrationen, soll die evangelikale Demonstration eskortiert haben. In Santiago kam es zu gewalttätigen Zusammenstößen der Evangelikalen mit einer als antifaschistisch deklarierten Gegendemonstration.
Der Konflikt zwischen Evangelikalen, offen faschistischen Gruppen und linken Organisationen schwelt bereits seit Jahresbeginn. So haben Vertreter der konservativ-evangelikalen Bewegung in der Nähe von Santiago de Chile ein Wandbild mit ihren Plakaten verunstaltet, das an den Frauenmord an Marjorie Varas erinnert. An einer Demonstration für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs im Juli leerten Mitglieder des Movimiento Social Patriota Behälter mit Schweineblut auf der Straße, Teilnehmerinnen wurden von Männern mit Fausthieben attakiert. Auf einem einschlägigen Blog wurde diese Attacke auf "Feminazis" als notwendiger Schlag gegen den Werteverfall gefeiert.
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Die politische Rechte reagiert mit den zunehmend aggressiven Angriffen auch auf mehrere Gesetze, die Frauen, Homosexuellen und Transmenschen mehr Rechte zugestehen. Auch hatte die feministische Bewegung zuletzt an Einfluss gewonnen, so dass sich konservative Kreise in die Ecke gedrängt fühlen. Seit einiger Zeit werden beispielsweise an öffentlichen Schulen Weiterbildungen und Programme zum Thema Gender und Antidiskriminierung durchgeführt – mit derartigen Veränderungen erklärt sich auch der Anspruch der Evangelikalen, dem Staat die Entscheidungsgewalt über die Kinder zu entziehen.
Andererseits zeugt das aggressives Auftreten der Rechten auch davon, dass konservativ-christliche Bewegungen in Chile ein großes Mobilisierungspotential haben. Wie auch in Brasilien, wo die Stärke der evangelikalen Kreise nach der Wahl Jair Bolsonaros ersichtlich wurde, sind diese Kirchen in Chile sehr präsent. Unter anderem die "Iglesia Universal", eine Kirche, die einen Millionenumsatz macht und deren Ursprung in Brasilien liegt, wo sie heute die größte evangelikale Kirche ist. Ihr Gründer Edir Marcedo pflegt enge Verbindungen mit Bolsonaro.
Pfingstkirchen sind in Chile, wie in Brasilien, weit verbreitet und predigen unter anderem, dass die Mapuche-Kultur des Teufels sei. Die Gruppe Adler Jesu (Águilas de Jesús) – in Brasilien besteht eine gleichnamige Bruderorganisation – versucht derweil, Universitäten zu evangelisieren, ist offen rassistisch, misogyn, homophob und bezieht sich auch auf Bolsonaro. Zudem hat sie wie viele andere evangelikale Gruppen und Personen, bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen in Chile den ultrarechten Kandidaten José Antonio Kast unterstützt, der offen die Gewaltverbrechen der Diktatur Augusto Pinochets verteidigt.