Caracas. Im Zuge der Krise in Venezuela nimmt der Streit über humanitäre Hilfslieferungen für die Bevölkerung des südamerikanischen Landes zu. Die venezolanischen Behörden haben offenbar eine mehrspurige Brücke zum Nachbarland Kolumbien blockiert, über die der selbsternannte "Interimspräsident" Juan Guaidó Hilfsgüter aus den USA einführen wollte, um sie dann verteilen zu lassen. Beobachter gehen davon aus, dass der Disput über diese Hilfsgüter den auch international ausgetragenen Konflikt weiter anheizen könnte. Die UNO und Vertreter der EU warnten indes vor dem Missbrauch humanitärer Hilfe durch politische Akteure. Die USA bezeichnen die wirtschaftliche und soziale Krise in Venezuela als Gefahr für die regionale Sicherheit und drohen mit militärischen Schritten.
Die Brücke Tienditas nahe der Grenzstadt Cúcuta zwischen Venezuela und Kolumbien wurde offenbar auf Weisung der Regierung mit dem Anhänger eines Tanklastzugs und zwei Containern sowie Gittern blockiert. US-Außenminister Mike Pompeo forderte Venezuelas Präsidenten Nicolás Maduro daraufhin auf, die Überführung freizugeben. "Das Maduro-Regime muss die Hilfe die verhungernden Menschen erreichen lassen“, so Pompeo auf Twitter. Die Tienditas-Brücke war 2016 zu Ende gebaut worden, sie wurde wegen des bilateralen Konfliktes zwischen Venezuela und Kolumbien jedoch nie in Betrieb genommen.
Der selbsternannte venezolanische "Interimspräsident" Guaidó hat angekündigt, humanitäre Hilfe von Kolumbien nach Venezuela schaffen lassen. Unklar bleibt allerdings, wie die Güter verteilt werden sollen. Sie wurden von der US-Agentur USAID nach Kolumbien geliefert und sollten offenbar von Anhängern des Gegenpräsidenten verteilt werden. Präsident Maduro hat das Vorhaben entschieden abgelehnt. Die humanitäre Hilfe sei lediglich ein Vorwand für eine US-Militärintervention in Venezuela, sagte er gegenüber dem russischen Auslandssender Russia Today. Die Regierung will Proteste gegen die ihrer Meinung nach politisch motivierte Aktion mobilisieren.
Die Vereinten Nationen haben indes davor gewarnt, dass die humanitäre Hilfe für Venezuela politisch missbraucht werden könnte. "Humanitäre Maßnahmen müssen unabhängig von politischen, militärischen oder anderen Zielen sein", sagte der Sprecher der Vereinten Nationen, Stephane Dujarric, gegenüber Pressevertretern in New York. "Wenn wir die aktuelle Krise betrachten, wird immer deutlicher, dass ernsthafte politische Verhandlungen zwischen den politischen Lagern erforderlich sind, um eine Lösung zu finden, die zu einem dauerhaften Frieden für die Bevölkerung Venezuelas führt", fügte er hinzu. Nach Angaben eines EU-Diplomaten haben auch Vertreter der EU-Kommission in internen Beratungen vor einem politischen Missbrauch humanitärer Hilfen in dem eskalierenden Konflikt zwischen der Regierung Maduro und Teilen der Opposition des südamerikanischen Landes gewarnt.
Venezolanische Medien verwiesen indes darauf, dass die Blockade der Maduro-Regierung gegen Hilfslieferungen aus den USA und der EU mehr mit dem politischen Agieren dieser Akteure zu begründen ist als mit einer grundsätzlichen Ablehnung solcher Hilfen durch die Regierung. Das regierungsnahe Internetmagazin misionverdad.com etwa weist darauf hin, dass die Panamerikanische Gesundheitsorganisation (Paho), die regionale Vertretung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), seit Jahren in die gesundheitspolitischen Planungen der venezolanischen Regierung eingebunden ist. Dies sei vor allem seit 2018 der Fall, als in erhöhtem Maße Malaria-, Diphtherie- und Masernausbrüche zu verzeichnen waren.
Auf der Website der Paho seien alle Hilfestellungen in Zusammenarbeit mit venezolanischen Behörden aufgeführt, schreibt misionverdad.com. Zudem sei erst im Juni letzten Jahres eine Vereinbarung über Zusammenarbeit bei der Lieferung von Medikamenten und Verhütungsmitteln sowie über die Schulung im Bereich der Seuchenbekämpfung unterzeichnet worden.
Im Januar dieses Jahres habe die Paho den venezolanischen Behörden Medikamente für rund 3.000 venezolanische Patienten zur Verfügung gestellt, zusätzlich zu drei Millionen Tabletten für die antiretrovirale Therapie. Im Zuge der Zusammenarbeit sei zugleich eine Impfrate von über 95 Prozent gegen Masern und Diphtherie erreicht worden.
Bereits im November 2018 hatten die Vereinten Nationen in Zusammenarbeit mit dem Zentralen Notfallreaktionsfonds (Common Emergency Response Fund, CERF) Mittel in Höhe von 9,2 Millionen US-Dollar für humanitäre Programme in Venezuela bereitgestellt. Ziel war eine Verbesserung der Gesundheits- und Ernährungsversorgung für schwangere Frauen, stillende Mütter nach Risikoschwangerschaften und Kinder unter fünf Jahren.
Dies seien "klare Beispiele dafür, dass die bolivarische Regierung keine humanitäre Hilfe abgelehnt, sondern akzeptiert hat, um einige der schwerwiegendsten Probleme zu lösen“, heißt es bei misionverdad.com. Deren Autoren führen die Krise im Gesundheitswesen und bei der Medikamentenversorgung auf die US-Sanktionen zurück.