Brasilien zwischen Diktatur und Bolsonaro, Protest auf der Berlinale

Regisseur Wagner Moura widmet seinen Film dem Widerstand gegen Bolsonaro. Dieser kündigt Kürzungen von Filmförderung an. Botschaft setzt Empfang aus

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Schauspieler und Regisseur Wagner Moura und die Filmcrew von "Marighella" protestieren vor dem Berlinale-Palast für die Aufklärung des Mordes von Marielle Franco
Schauspieler und Regisseur Wagner Moura und die Filmcrew von "Marighella" protestieren vor dem Berlinale-Palast für die Aufklärung des Mordes von Marielle Franco

Berlin. Etwa 100 Personen sind am Freitagabend dem Aufruf des "Fórum Brasil Resiste – Berlin", einem Zusammenschluss mehrerer Brasilien- und Menschrechtsinitiativen in der deutschen Hauptstadt gefolgt. Anlass war die Weltpremiere des brasilianischen Filmes "Marighella" auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin (Berlinale). Der Film thematisiert den bewaffneten Widerstand gegen die brasilianische Militärdiktatur (1964-1985). Während der Vorführung fand eine Kundgebung statt, auf der die Teilnehmer gegen die gegenwärtige Politik der ultrarechten Regierung unter Präsident Jair Bolsonaro protestierten und die Menschenrechtsverletzungen problematisierten, die im Zuge des Rechtsschwenks in Brasilien zugenommen haben.

Die Aktivistin Heloísa Avante berichtete von den Bedrohungen gegen linke Aktivisten durch rechte paramilitärische Milizen. Der Mord an der schwarzen Aktivistin und Linkspolitikerin Marille Franco (PSOL) und ihrem Fahrer Anderson Gomes vom März 2018 sei immer noch nicht aufgeklärt. "Zuletzt musste der gewählte Abgeordneter und LGBTI-Aktivist Jean Wyllys wegen ernstzunehmender Morddrohungen das Land verlassen. Er sah sich unter der aktuellen Regierung nicht mehr ausreichend geschützt. Bolsonaro hat Wyllys‘ Entscheidung sogar gefeiert. Das ist absurd", so Avante. Tatsächlich fällt das Erstarken der Milizen in Rio de Janeiro mit der politischen Karriere des Präsidenten und seinen vier Söhnen zusammen. Deren Verwicklungen mit dem organisierten Verbrechen sind Teil offizieller Ermittlungen. Ferner forderten die Teilnehmer die Freilassung des Ex-Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva. "Lula sitzt seit fast einem Jahr im Gefängnis und noch immer gibt es keine wirklichen Beweise gegen ihn", so die Aktivistin vom "Fórum Brasil Resiste – Berlin".

Die Kulturmittlerin Helga Dressel warnte vor einem Abbau des Rechtstaates in Brasilien. Die Regierung plane Maßnahmen, die die Menschenrechtslage erheblich verschlechtern werden. So soll zukünftig nicht gegen Polizisten ermittelt werden, die jemanden im Einsatz töten. "Bolsonaro will Polizisten vor Strafverfolgung schützen. Dies ist eine Einladung zum Mord." Auch werde die Regierung das Auskunftsrecht zu Informationen staatlicher Institutionen erheblich einschränken. Dies wird die Arbeit der Presse und Zivilgesellschaft behindern. "All die Politik-Skandale, die in den letzten Jahren öffentlich wurden, wird es zukünftig nicht mehr geben. Denn diejenigen, die etwas zu verbergen haben, sind jetzt an der Regierung", so Dressel.

Der Protest gegen Bolsonaro ging auch im Berlinale-Palast weiter. Als bei der Live-Übertragung im Kino Bilder von Demonstranten mit Plakaten "Es lebe Marielle" hochgehalten wurden, applaudierte das Publikum. Im Saal feierte der Schauspieler Wagner Moura mit seinem Regie-Debüt "Marighella" über den gleichnamigen, brasilianischen Untergrundkämpfer der späten 1960er Jahre Weltpremiere. Den Film widmete Moura "all jenen, die gegen die Militärdiktatur gekämpft haben sowie jenen, die heute Widerstand leisten". Da der Film den bewaffneten Widerstand gegen die Militärdiktatur und deren brutales Gesicht zeigt, sei es schwierig, den Film in Brasilien zu zeigen, so Moura. Bolsonaro ist bekennender Anhänger der Militärdiktatur (1964-1985). Unter der derzeitigen Rechtsentwicklung im Land rechne man mit Boykott und Protesten gegen den Film.

Die brasilianische Botschaft in Berlin hat dies bereits bewiesen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Berlinale gab es für die Mitglieder der zwölf brasilianischen Festivalproduktionen keinen Empfang in der Botschaft. Dieser wurde ohne Begründung abgesagt. "Alle diesjährigen brasilianischen Filme handeln von Themen, die die aktuelle Regierung verabscheut, wie Menschenrechte, Umweltkonflikte oder den Bereich LGBT. Nichts, das der Familie Bolsonaro gefällt", schreibt der Reporter Flávio Aguiar von RedeBrasilAtual.

Der Schauspieler Wagner Moura hat sich in der Vergangenheit immer wieder für Demokratie und gegen die Absetzung der Ex-Präsidentin Dilma Rousseff ausgesprochen und dies als nicht legitimen Akt bezeichnet. Moura gewann als Hauptdarsteller im Film "Tropa de Elite" 2008 den Goldenen Bär und war zuletzt als Pablo Escobar in der Netflix-Serie "Narcos" zu sehen.

Unterdessen hat Bolsonaro angekündigt die Filmförderung des staatlichen Erdölkonzerns Petrobras massiv zu kürzen. Er habe angeordnet, alle Vereinbarungen zur Kulturförderung zu überprüfen. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter teilte Bolsonaro mit, "Ich schätze den Wert der Kultur. Aber der Staat hat wichtigere Prioritäten". Etwa 160 Millionen Reais (rund 40 Mio. Euro) könnten laut Petrobras jährlich an Förderung kritischer Filme und Kunst wegfallen. Laut Bolsonaros Tweet handelt es sich um drei Milliarden Reais (ca. 720 Mio. Euro). Über die Einnahmen der Petrobras hat der brasilianische Staat in der Vergangenheit Teile der Finanzierung der Kultur und Gesundheitsversorgung gesichert.