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Opposition in Venezuela nimmt Telesur ins Visier

Lateinamerikanischer Fernsehsender soll übernommen werden. Juan Guaidó erklärt endgültigen Rückzug aus den Gesprächen mit der Regierung Maduro

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Das Motto von Telesur war von Beginn an: "Nuestro Norte es el Sur" (Unser Norden ist der Süden)
Das Motto von Telesur war von Beginn an: "Nuestro Norte es el Sur" (Unser Norden ist der Süden)

Caracas. Die Führungsfigur der radikalen venezolanischen Opposition, Juan Guaidó, will offenbar gegen den lateinamerikanischen Fernsehsender Telesur vorgehen. Bei einer Kundgebung in der Hauptstadt Caracas kündigte der selbsternannte Interimspräsident Aktionen zur "Rückeroberung" des multistaatlichen Senders "auf dem Kontinent" an. Konkrete Ausführungen machte er nicht. Mitarbeiter des Senders zeigen sich besorgt.

Im Jahr 2005 war der multistaatliche Sender "Fernsehen des Südens" (Televisión del Sur, Telesur) auf Initiative der damaligen Präsidenten von Venezuela, Hugo Chávez, und Kuba, Fidel Castro, gegründet worden. Ziel war, ein Gegengewicht zu internationalen Fernsehsendern wie CNN (USA) und BBC (Großbritannien) sowie zu den großen Mediengruppen in den lateinamerikanischen Ländern zu schaffen. Die redaktionelle Linie des Senders beruhte von Beginn an darauf, die Nachrichtenlage aus der Perspektive des globalen Südens zu bearbeiten. Entsprechend lautet sein Motto "Unser Norden ist der Süden" (Nuestro norte es el sur). Ein Wortspiel: "Norte", der Norden, steht im Spanischen auch für Ziel oder Orientierung. Telesur stand dabei den fortschrittlichen und linksgerichteten Regierungen nahe, von denen das Medium getragen wurde und ist als Projekt der lateinamerikanischen Integration konzipiert. Im Zuge der Abwahl und von Putschen gegen beteiligte Staatsführungen kündigten Argentinien und Bolivien ihre Mitarbeit auf. Die argentinische Regierung unter Präsident Mauricio Macri strich den Sender zudem aus dem Angebot der öffentlich empfangbaren Kanäle im Land, die De-facto-Regierung von Bolivien hat den Empfang Ende November 2019 unterbunden. In Ecuador, wo das englischsprachige Programm von Telesur produziert wird, steht der Sender seit dem Amtsantritt von Präsident Lenín Moreno unter massivem Druck und war zeitweise abgeschaltet.

Derzeit wird Telesur von Venezuela, Kuba, Nicaragua und Uruguay finanziert.

"Morgen werden wir die Schritte ankündigen, um das Signal von Telesur zurückzuerobern", erklärte Guaidó in der Gemeinde El Paraíso von Caracas. "Stellt Euch vor, dass es dann auf dem ganzen Kontinent keinen Sender mehr gibt, der lügt, der unausgewogen berichtet, Desinformation verbreitet und terroristische und destabilisierende Gruppen fördert, sondern nur nur noch Sender, die der Demokratie in der Region dienen, die der Stärkung der Bürger dienen", sagte er unter dem Beifall seiner Anhänger.

Telesur selbst reagierte nicht auf die Drohungen des Oppositionspolitikers, auch die kolumbianische Journalistin und Chefredakteurin Patricia Villegas kommentierte sie bislang nicht. Mitarbeiter in Caracas und Quito zeigen sich jedoch beunruhigt.

Guaidó gab am Wochenende auch den endgültigen Rückzug der mit ihm verbundenen Oppositionsgruppen aus dem Verhandlungsprozess bekannt, der von Norwegen moderiert und von der Eurpäischen Union unterstützt wird. Er sei über den bevorstehenden Besuch einer Kommission der norwegischen Regierung Anfang dieser Woche informiert worden, werde jedoch an keinem Treffen des "Oslo-Barbados-Prozesses“ mehr teilnehmen. Präsident Nicolás Maduro habe "jede Verhandlungslösung verhindert", sagte er mit Blick auf das Vorgehen chavistischer Abgeordneter und einer gemäßigten Minderheitenfraktion in der Nationalversammlung, die in der vergangenen Woche Luis Parra von der rechtspopulistischen Partei Primero Justicia zum Parlamentspräsidenten gewählt hatten.

Die Spaltung der venezolanischen Opposition hatte sich im Laufe der Gespräche mit der Regierung Maduro bereits abgezeichnet. Vergangenen Mai wurden zunächst geheime Gespräche, zu denen Norwegen Opposition und Regierung an einen Tisch gebracht hatte, erstmals öffentlich. Nach Dialogrunden in Oslo wurde dieser Prozess auf der Karibikinsel Barbados weitergeführt.

Vertreter Maduros und Guaidós verständigten sich, an einer politischen Vereinbarung zu arbeiten, um aus der katastrophalen Krise des Landes herauszukommen. Die Hoffnungen der Regierungsgegner, einen schnellen Sturz Maduros zu erreichen, hatten sich bereits als unrealistisch erwiesen. Das venezolanische Militär war weder zu einem von Guaidó angeführten noch zu einem von Washington ferngesteuerten institutionellen Bruch zu bewegen.

Die begonnenen Gespräche standen jedoch unter massivem Druck. Die USA torpedierten den Fortschritt im Verhandlungsprozess sogar hinter dem Rücken der Opposition und verhinderten, dass sich eine Lösung konkretisiert. Kurz vor einem entscheidenden Verhandlungstreffen zwischen Regierung und Opposition Anfang August kündigte die US-Regierung weitere schwerwiegende Sanktionen gegen Venezuela an.

Venezuelas Regierung setzte die Gespräche mit dem Guaidó-Lager aus, solange dieses die US-Sanktionen und sogar eine Militärintervention der USA unterstützten. Statt dessen präsentierte Maduros Verhandlungsführer Jorge Rodríguez wenige Wochen später erste Verhandlungsergebnisse mit kleineren Parteien der Opposition. Diese beinhalteten Notprogramme gegen die Versorgungskrise, eine Reform der Wahlbehörde, die Überprüfung von Strafen, die im Zuge der politischen Eskalation verhängt worden waren, die einhellige Verurteilung der US-Sanktionen und eine gemeinsame Position bezüglich eines schwelenden Territorialkonflikts mit dem Nachbarland Guyana.